US-Präsident Bidens Bankrotterklärung

US-Soldaten der Baker Company, des 1. Bataillons, des 15. Infanterieregiments, des 3. Schweren Brigadekampfteams, der 3. Infanteriedivision bei einer Patrouille durch ein Dorf südöstlich von Salman Pak, Irak, im Februar 2008. Bild: army.mil, CC BY 2.0

Die militärischen Konzepte des Westens seit 1945 sind gescheitert. Höchste Zeit, umzudenken und die Gelder statt in Waffen in die Zukunft zu investieren

Sicherheit neu denken ist ein begrüßenswerter und notwendiger Teil der neuen Aufklärung, die unsere Welt so dringend braucht.

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome.

Während deutsche Politikerinnen wie Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) oder frühere Politiker wie Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) und Otto Schily (SPD) über das Afghanistan-Debakel noch herumeiern, hat US-Präsident Joe Biden bei diesem blamablen Thema inzwischen zum Klartext gefunden.

Am 31. August 2021 sagte Joe Biden klare und bemerkenswert starke Worte:

Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Jeden Tag haben sich seit Beginn des Krieges 18 Veteranen das Leben genommen. Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden.

Joe Biden

Das ist die deutlichste Bankrotterklärung der Nato-Politik der letzten Jahrzehnte durch einen US-Präsidenten. Fakt ist: Damit gesteht der US-Präsident, dass nach 1945 sämtliche militärischen Interventionen des Westens gescheitert sind – vielleicht mit Ausnahme der Kriege um Jugoslawien.

Das war so in Vietnam, in Syrien, im Irak und nun auch in Afghanistan. Es geht jetzt endlich darum, Sicherheit völlig neu zu denken.

Bisher galt der altrömische Grundsatz: "Si vis pacem, para bellum": Wenn Du Frieden willst, bereite den Krieg vor.

Das Ergebnis: Massenmord, Gewalt, Staatsterror, Vertreibung und Elend über Jahrtausende. Jetzt, spätestens im Atomzeitalter, wo jeder Krieg der letzte sein könnte, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten, müssen wir dieses katastrophale Motto vom Kopf auf die Füße stellen.

Es gilt, wie Präsident Biden sagte, "aus Fehlern zu lernen". Das neue Motto könnte heißen: "Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten."

Es gibt nicht nur die erschütternde Suizidrate von US-Soldaten, die an schweren posttraumatischen Folgen ihrer Kriegseinsätze litten und zerbrachen -– die New York-Times und die Neue Züricher Zeitung sprechen sogar von 20 Suiziden von US-Militärs täglich und das Pentagon berichtet, dass die Suizid-Rate bei US-Militärs seit 2014 dramatisch gestiegen sei.

Die New York Times:

Seit 2014 haben sich 45.000 US-Soldaten und Veteranen das Leben genommen. Seit 2001 sind mehr Soldatinnen und Soldaten durch ihre eigene Hand gestorben als in Frontkämpfen im Irak und Afghanistan zusammen." Die meisten Opfer seien unter 30 Jahre alt gewesen.

Eine deutlichere Bankrotterklärung des eigenen Verhaltens ist kaum denkbar.

Nicht nur diese erschütternden Zahlen, sondern viele weitere Ergebnisse der militärischen Interventionen erfordern neues Denken und erst recht neues Handeln, wenn es um mehr Sicherheit geht.

Die Hauptergebnisse der Kriege des Westens nach 2001

Diese "Kriege gegen den Terror" kosteten etwa 1,5 Millionen Menschenleben, etwa die Hälfte waren Zivilisten, unter ihnen etwa 300.000 Kinder. Das ist auch das Ergebnis von Waffenexporten aus Deutschland. Waffenexport bedeutet immer auch Teilhabe an Massenmord.

Die Nato-Kriege brachten Millionen Menschen Hunger und Zerstörung - auch mit deutschen Waffen.

Die Waffengewalt verursachte ein beispielloses Flüchtlingselend, das nur vom Flüchtlingselend des Zweiten Weltkriegs noch übertroffen wurde. Das "Costs-of-war-Project" in den USA spricht von 5,9 Millionen afghanischen Flüchtlingen, von 3,7 Millionen pakistanischen Flüchtlingen, von 9,2 Millionen irakischen Flüchtlingen und von 7,1 Millionen syrischen Flüchtlingen.

Die US-Wissenschaftler schätzen, dass durch die "Kriege gegen den Terror" rund 60 Millionen Menschen - auch in ihren eigenen Ländern - auf der Flucht sind. Auch dafür sind deutsche Waffen mit verantwortlich.

Wobei die reichen Staaten des Westens, welche die Kriege zu verantworten haben, sich durch Mauern und Stacheldraht vor den Flüchtlingen schützen.

Jürgen Todenhöfer hat ausgerechnet, dass wir heute etwa 50 Mal mehr Terroristen haben als am Beginn des "Krieges gegen den Terror".

Es gibt sehr viele Gründe, weshalb wir aus den Erfahrungen mit diesen Kriegen sehr viel lernen müssen. Braucht es noch mehr Katastrophen, noch mehr Tote und Flüchtlinge und nochmal eine Vervielfachung der Terroristen, um endlich etwas aus der Geschichte zu lernen?

Eine weitere schlimme Folge: Die Welt hat jetzt in Afghanistan die am besten aufgerüstete und militärisch ausgerüstete Armee eines Taliban-Staates.

Noch nie hatte ein Terror-Regime so viele modernste und gefährliche Waffen – die Hinterlassenschaft von Nato-Armeen. Denn die meisten Waffen, mit denen die Nato-Staaten in Afghanistan operierten, sind jetzt in den Händen der Taliban-Regierung. Das ist die traurige Bilanz des Anti-Terror-Kriegs.

Das Szenario "Sicherheit neu denken: Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik" zeigt auf, wie Deutschland analog dem Ausstieg aus der Atom- und Kohleenergie bis zum Jahr 2040 die militärische Aufrüstung überwinden könnte.

Was könnte eine Alternative sein?

Die realistischste Alternative zum bisherigen militärischen Interventionismus hat in den letzten Jahren die Evangelische Landeskirche Badens erarbeitet. Der Vorschlag heißt: "Sicherheit neu denken".

Die Hauptthese: So wie wir in den letzten Jahren den Ausstieg aus der Atomenergie erfolgreich begonnen haben und aus der Kohle aussteigen werden, so müsste es auch möglich sein, bis 2040 aus dem alten militärischen Denken auszusteigen und alles Geld, das bisher ins Militär und in Kriegsvorbereitung floss, in zivile soziale und ökologische Projekte umzuwidmen.

Ein Land muss damit mal anfangen. Aufgrund seiner Geschichte wäre Deutschland gerade prädestiniert dazu.

Afghanistan lehrt: Mit immer mehr Waffen können wir keinen Frieden schaffen. Eine neue Politik beginnt mit neuem Denken. Helmut Kohl hatte mal vorgeschlagen: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.

Das ist ein realistischer und realisierbarer Vorschlag, den die Evangelische Kirche Badens jetzt in einem klug ausgearbeiteten Papier zur Diskussion stellt.

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