Biotechnologie, Staat und Kapital

Eine wirtschaftssoziologische Betrachtung zum Zusammenhang zwischen der Corona-Krise und der Stamokap-Theorie

Aufgrund der im Ersten Weltkrieg in Deutschland zu beobachtenden Interessenverstrickung zwischen Staat und Wirtschaft sieht Lenin in seiner 1917 erschienenen Schrift "Staat und Revolution" das Wesen des Stamokap in der totalen Verschmelzung der Monopolmacht der Wirtschaft mit der Regierungsmacht zu einem sich wechselseitig bedingenden einheitlichen Machtkomplex.

Wirtschaftslexion 24. Ausgabe 2020

Dass das Finanzkapital das entwickelte kapitalistisch verfasste Wirtschaftssystem dominiert, ökonomische Monopolisierungs- und politisch-militärische Expansionsprozesse fördert, weiß man schon länger als hundert Jahre – etwa seit John A. Hobson: Der Imperialismus (1902), Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital (1910) oder Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917).

Dieser Einfluss des Finanzkapitals auf die Realwirtschaft erfolgte zunächst über Banken

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Einfluss der Banken und Versicherungen durch den der Investitionsagenten (Fonds, Vermögensgesellschaften), die gegenwärtig die Aktienmärkte beherrschen, ergänzt. Es bildete sich ein Finanzmarkt-Kapitalismus (Paul Windolf, 2005) und eine Finanzoligarchie (Albrecht, 2020) heraus.

Damit ging einher, dass die Produktion nicht mehr (nur oder allein) auf den zeitlich festgelegten Zinssatz des vorgeschossenen (fiktiven) Kapitals der Banken ausgerichtet wurde; sondern auf das Anlageverhalten zur Profitmaximierung und Renditensicherung der Investmentbanken und -fonds. Da Investitionen dieser Institutionen in die Realwirtschaft kurzfristiger erfolgen können, wird das Wirtschaftssystem schnelleren Entscheidungen ausgesetzt, damit auch verletzbarer.

Ebenfalls bekannt ist, dass unter den Akteuren des Finanzmarktkapitals, zwischen seinen Märkten (Aktiengesellschaften, Banken, Versicherungen, Investmentfonds, Ratingagenturen sowie Vermögensverwaltungen) und dem Staat sowohl enge Verflechtung als auch Konkurrenz herrscht. Dies ergibt sich aus dem ökonomischen Zwang zur unternehmensbezogenen Profitrealisierung.

Er nötigt auch zu immer stärker werdenden machtpolitischem Einfluss von Industrie- und Finanzkonzernen mittels Lobbyismus (wie auch schon Jahrzehnte bekannt in seiner institutionalisierten Form z.B. über Conseil on Foreign Relation [1921], Atlantikbrücke [1952], Bilderberg-Konferenz [1954], World Economic Forum [1971], Trilaterale Kommission [1973], Group of Thirty [1978]) auf Staat und Gesellschaft.

Der Staat wird vom gesamtgesellschaftlichen Interessenvermittler und Agent fürs Kapital zu einem ökonomischen und polit-sozialen integralen Bestandteil des Kapitals selbst: Die Herrschaft des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) bildet und etabliert sich.

Seit den 1980er-Jahren, nachdem es schon in den 1970ern mit der Aufhebung der Goldbindung des USA-Dollars, der keynsianistischen Staatsverschuldungspolitik zur Überwindung zyklischer Wirtschaftskrisen und der Ablösung des politischen Kolonialismus durch den wirtschaftlichen gekommen war, gelang es dem Finanzkapital ausgehend vom anglo-amerikanischen Raum (Thatcherismus 1979-1990; Reaganomics 1981-1993), mehr und mehr das Staatshandeln kaum verdeckt zu korrumpieren, um staatliche oder gemeinwirtschaftliche Tätigkeitsfelder zu privatisieren und staatliche Regulierungen auszuhebeln. Dies war auch möglich wegen der zunehmenden Staatsverschuldung, die mit einer Abhängigkeit vom internationalen Finanzmarkt einhergeht.

Diese Ausweitung des Finanzmarktsektors und die Ausbildung zunehmend parasitärer Geschäftsfelder und Sektoren führte auch zu erhöhter Krisenanfälligkeit seit Ende der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts:

  • 1998: Zypern-Krise;
  • 2000: Dotcom-Blase;
  • 2007/8: US-Hypothekenkrise und Weltfinanzkrise;
  • 2009: Griechenlandkrise;
  • 2011: Eurokrise;
  • 2019: Einbruch des Repomarktes;
  • 2020: weltweiter Finanzeinbruch (Ernst Wolff 20201).

Diese Krisen im Finanzsystem beinhalten das Potenzial eines Zusammenbruchs des gesamten Weltfinanz- und damit Weltwirtschaftssystems (Krall, Otte, Friedrichs, Wolff, Kaufmann/Muzzupappa, 20202).

Auch gefährden sie die Macht der Herrschenden, wenn offensichtlich wird, dass die Rettung des Finanzsystems zu einer tiefgreifenden Ausplünderung und Verarmung breiter Volksmassen führen muss. Denn die Regierungen der großen Wirtschaftsräume hatten Schulden aufgenommen, um einen Großteil der privaten "faulen" Finanzanleihen zu garantieren und das Finanzsystem zu stützen.

So verdoppelten sich die weltweiten Staatsschulden zwischen 2007 und 2019 auf 70 Billionen US-Dollar. Staatliche und private Schulden addiert, erreichten 2019 den Rekord von 255 Billionen US-Dollar. Das entsprach über 320 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Und bedeutet: Die globale Wirtschaftsleistung war noch stärker durch Kredit vorfinanziert und dadurch aufrecht erhalten worden.

Kaufmann/Muzzupappa, 2020

Unter dem Deckmantel der Corona-Krise konnte nicht nur der Zusammenbruch des Finanzsystems; sondern auch seine Rettung mit Milliarden Steuergeldern versteckt werden. Allein die EU schüttete 2020 für ihre Mitgliedsländer 500 Milliarden Euro an Zuschüssen und 250 Milliarden Euro an Darlehn aus (Europäische Kommission: Eurostat/Statista), hinzu kommen allein für die Bundesrepublik 2020 haushaltswirksame Maßnahmen von 353,3 Milliarden Euro und Garantien von 819,7 Milliarden Euro (BMF) sowie eine Aussetzung der Schuldenbremse mit einer Schuldenüberschreitung im Bundeshaushalt von 164,2 Milliarden Euro (BMF).

Stärkung des digital-finanziellen Komplexes

Mit der Rettung des Finanzsystems soll zugleich aber auch der digital-finanzielle-Komplex gestärkt werden. Deshalb beinhalten die sogenannten Coronahilfen auch immer Förderung der Digitalisierung in jedweder Form. Dieser digital-finanzielle Komplex besteht aus

  • den Digitalgiganten Amazon, Google, Microsoft, Netflix, Apple;
  • den Wallstreet-Banken ergänzt um USB-Schweiz, Deutsche Bank und HSBC-Bank;
  • sowie den größten Vermögensverwaltungen Blackrock, Vanguard u.a.

Diese gelten jetzt schon jetzt durch die Politik der "Lockdowns" als die Profiteure der Corona-Krise.

Einher mit der Krise ging und geht die Erschließung von Geschäfts- und Profitfelder im Bereich neuer Technologien wie im Energiesektor, bei der weiteren Digitalisierung, innerhalb von Computer-, Multimedia- und Telekommunikation sowie von mathematisierter Wissenserschließung und -vermarktung für Waren und Dienstleistungen. Hierzu gehört auch das Geschäftsfeld der Biotechnologie mit eigener Medizintechnik und (vorsorgenden) Gesundheitstechnologie.

Unter Biotechnologie versteht man die Form von marktbezogener Wissenschaft, die sich mit der Nutzung von Enzymen, Zellen und Kleinorganismen und deren technologischen Anwendung beschäftigt. Ziel sind Diagnosemethoden und Heilverfahren auf der Basis chemischer Verbindungen.

Moderne biotechnische Verfahren kommen im 20. Jahrhundert im Kontext der Chemieindustrie auf und umfassen mikrobielle und enzymatische Umwandlung organischer Stoffe.

Mit der Klärung von Struktur und Wirkungsweise der Desoxyribonukleinsäure (DNA) und den damit einhergehenden Möglichkeiten der Beeinflussung bis Veränderungen des Erbgutes startete 1990 das Humangenomprojekt mit dem Ergebnis der Entschlüsselung und Sequenzierung des menschlichen Genoms. Darauf baut Gentechnik, Gentherapie und Stammzellenforschung auf, mit deren Hilfe rekombiniert hergestellte Proteine der Pharmazie zugänglich gemacht wurden.

Das Marktvolumen dieser biotechnischen Unternehmen (Pflanzen-, Tier- und Menschenbereich) erreichte 1999 ein Nettovolumen von zehn Milliarden US-Dollar. Eine spezielle Untergruppe in der Biotechnologie stellt die sogenannte rote Biotechnologie mit ihren gentechnischen Anwendungsbereichen für den Menschen dar. In der Corona-Krise erlangte sie mit mRNA (messenger ribonucleic acid)-Impfstoffen besondere Bedeutung.