Schlaf, Astronaut, schlaf

Esa-Astronaut Paolo Nespoli im typischen Schlafsack auf der ISS. Bild: Nasa, gemeinfrei.

Die alte Idee vom Winterschlaf für Weltraumreisen wird von Forschern neu erkundet

Lang ist der Weg zum Jupiter, lang und ereignislos. Während im Film 2001: A Space Odyssey (1968) die Astronauten Bowman und Poole über die Discovery One wachen, endlos joggend in der Zentrifuge, liegen drei weitere Mannschaftsmitglieder schlafend wie in weißen Sarkophagen. Mit heruntergefahrenen Lebensfunktionen sparen sie kostbare Energie, um am Ziel ausgeruht geweckt werden zu können. Dass der Bordcomputer HAL sie sterben lässt, war nicht geplant.

Den Gedanken, Astronauten für lange Raumreisen in eine Art Winterschlaf zu versetzen, haben die Filmemacher Clarke und Kubrick vermutlich nicht erfunden. Zu offensichtlich sind die Vorteile:

Erstens ließe sich der Energieverbrauch der Astronauten drastisch senken, und damit die Nutzlast, die das Raumschiff tragen müsste. Die Stoffwechselrate von Säugetieren ist umso niedriger, je größer sie sind.

Bei Elefanten und Blauwalen nähert sie sich asymptotisch einer minimalen Stoffwechselrate an, die nicht unterschritten werden kann, und das ist gerade die Rate, auf welche alle winterschlafenden Tiere ihren Stoffwechsel absenken können. Man kann also ausrechnen, dass der Mensch rund drei Viertel seines Energiebedarfs im Winterschlaf sparen könnte.

Zweitens verhindert der Winterschlaf den Muskelabbau. Wie jeder weiß, der schon einmal eine Extremität im Gips hatte oder längere Zeit ans Bett gefesselt war, bauen sich die unbenutzten Muskeln und Knochen rasend schnell ab.

Auch Astronauten haben dieses Problem, denn in der Schwerelosigkeit braucht der Körper viel weniger Kraft als auf der Erde. Daher verbringen die Bewohner der ISS viel Zeit mit Sportübungen gegen künstliche Widerstände.

Ginge es winterschlafenden Tiere genauso, dann dürften sie im Frühling kaum imstande sein, sich auf den Beinen zu halten. Davon kann aber keine Rede sein – sie alle überstehen die lange Zwangspause ohne Kraftverlust.

Drittens verträgt der heruntergefahrene Körper auch Strahlung erheblich besser. Eines der großen und völlig ungelösten Probleme der bemannten Raumfahrt liegt darin, dass die Reisenden dabei der Weltraumstrahlung aus Röntgenwellen, Protonen und diversen schwereren Ionen ausgesetzt sind.

Erstere beide können leicht abgeschirmt werden, aber Kohlenstoffionen, Eisenionen und viele weitere rasen ungebremst durch die Wände des Raumfahrzeugs wie durch die Körper der Astronauten, und zerhauen wie winzige Schrotkugeln die DNA der Zellen. Jede wirksame Abschirmung würde das Fahrzeug viel zu sehr beschweren, also sucht man nach Möglichkeiten, seine Passagiere resistenter gegen die Strahlung zu machen.

Menschen auf Standby

Es spräche mithin viel dafür, Raumfahrer wie Murmeltiere in einen Torpor zu versetzen. Nur leider hält der Mensch von Natur aus keinen Winterschlaf. Und trotz eifrigen Forschens ist es auch nach über 50 Jahren noch nicht gelungen, Menschen gezielt in einen metabolischen Ruhezustand zu versetzen.

Versehentlich, und für überschaubare Zeit, ist es schon gelegentlich dokumentiert: Ein auch medizinisch berühmter Fall ist der von Anna Bågenholm, die 1999 beim Skifahren stürzte und unter der Eisdecke eines Baches gefangen war.

Nach vierzig Minuten verlor sie das Bewusstsein, nach achtzig erst wurde sie befreit und mit einer Körpertemperatur von kaum 14°C, ohne Atmung und Herzschlag ins Krankenhaus gebracht. Sie wurde wiederbelebt und gesundete vollständig.

Auch in anderen dokumentierten Fällen spielte Kälte eine wichtige Rolle: der Jugendliche, der eine Viertelstunde unter dem Eis überlebte, oder Erika Nordby, die Einjährige, die mitten in der Nacht aus dem Haus in den minus 24 Grad Celsius kalten Winter hinaustapste und nach zwei Stunden ohne Puls wiederbelebt wurde, auch sie ohne Folgeschäden.

In ihrem Fall sprachen die Ärzte von einem winterschlafähnlichen Zustand, der sie geschützt habe. Den Ausdauerrekord hält möglicherweise Mitsutaka Uchikoshi. Der Japaner stürzte mutmaßlich beim Bergsteigen ab, verlor das Bewusstsein und wurde vierundzwanzig Tage später gefunden.

Mehrere Organe hatten ihren Dienst eingestellt und seine Körpertemperatur lag bei 22 Grad Celsius. Auch er erholte sich vollständig. Wie er so lange überleben konnte, zumal ohne Flüssigkeitszufuhr, ist den Ärzten ein Rätsel.

Weshalb aber einige Menschen durch die Kälte geschützt werden, während die meisten daran erfrieren, ist noch unklar. Und solange es nicht geklärt ist, wird sich wohl niemand freiwillig herunterkühlen lassen.

In der Notfallmedizin ist es zwar mittlerweile Standard, die Körpertemperatur leicht zu senken, um Organschäden zu verhindern. Dabei aber werden 32 Grad Celsius nicht unterschritten - von "Winterschlaf" kann keine Rede sein.