Sachbücher des Monats: Dezember 2021

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

Jeden Monat neu präsentiert von der Neuen Zürcher Zeitung, der Literarischen Welt, RBB Kultur, dem ORF-Radio Österreich 1 und Telepolis.

Niall Ferguson
Doom
Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft

Katastrophen lassen sich nicht vorhersagen. Sie treten nicht in Zyklen auf. Und dennoch: Wenn das Unheil zuschlägt, sollten wir besser gerüstet sein als die Römer beim Ausbruch des Vesuv, die Menschen im Mittelalter bei der rasenden Verbreitung der Pest in ganz Europa oder die Russen bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Aber sind wir das? Haben wir nicht gerade in der Corona-Pandemie alles erlebt an imperialer Überheblichkeit, bürokratischer Erstarrung und tiefer Spaltung? "Doom" schaut mit dem Blick des Historikers und Ökonomen auf die unterschiedlichsten Katastrophen in der Menschheitsgeschichte. Wir müssen unsere Lektionen aus diesen historischen Beispielen lernen, damit künftige Katastrophen uns nicht in den Untergang führen.
Übersetzt von Jürgen Neubauer.
Deutsche Verlags-Anstalt, 592 Seiten, € 28,00
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Svenja Flaßpöhler
Sensibel
Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren

Mehr denn je sind wir damit beschäftigt, das Limit des Zumutbaren neu zu justieren. Wo liegt die Grenze des Sagbaren? Ab wann ist eine Berührung eine Belästigung? Svenja Flaßpöhler tritt einen Schritt zurück und beleuchtet den Glutkern des Konflikts: die zunehmende Sensibilisierung des Selbst und der Gesellschaft. Menschheitsgeschichtlich steht die Sensibilisierung für Fortschritt: Menschen schützen sich wechselseitig in ihrer Verletzlichkeit, werden empfänglicher für eigene und fremde Gefühle, lernen, sich in fremde Schicksale hineinzuversetzen und mit anderen zu solidarisieren. Doch diese Entwicklung hat eine Kehrseite: Anstatt uns zu verbinden, zersplittert die Sensibilität die Gesellschaft. Erleben wir gerade den Kipppunkt fortschreitender Sensibilisierung? "Sensibel" ist ein Buch, das die Sensibilität dialektisch durchleuchtet und zu dem Schluss kommt: Die Resilienz ist die Schwester der Sensibilität. Die Zukunft meistern können sie nur gemeinsam.
Verlag Klett-Cotta, 240 Seiten, € 20,00
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Richard Ovenden
Bedrohte Bücher
Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens

Seit Wissen schriftlich fixiert wird, haben Menschen versucht, es unter ihre Kontrolle zu bringen - oder zu vernichten. Richard Ovenden führt uns durch die dreitausendjährige Geschichte der Angriffe auf Bücher, Bibliotheken und Archive. Sie handelt von fragilen Tontafeln aus Mesopotamien und kostbaren Bänden mittelalterlicher Gelehrsamkeit, von den Bibliotheken in Alexandria und Sarajevo, von irakischen, indonesischen und bundesdeutschen Archiven. Bis in unsere digitale Gegenwart, zu Google, Twitter und Co. sowie den neuartigen Gefahren, denen das Wissen der Welt heute ausgesetzt ist, reicht diese Kulturgeschichte.
Übersetzt von Ulrike Bischoff.
Suhrkamp Verlag, 416 Seiten, € 28,00
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Valentin Groebner
Bin ich das?
Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft

Was steckt eigentlich hinter dem neuen Zwang, sich zu zeigen? Valentin Groebner erzählt eine kurze Geschichte der Selbstauskunft. Denn ob im Bewerbungsgespräch oder per Instagram-Account, bei der Teambildung oder im Dating-Profil: Ohne Selbstauskunft geht heute nichts. Sie ist sowohl Lockstoff als auch Pflicht, steht für Reklame in eigener Sache und das Versprechen auf Intensität und Erlösung, in den Tretmühlen der digitalen Kanäle ebenso wie in politischen Debatten um kollektive Zugehörigkeit.
S. Fischer Verlag, 192 Seiten, € 20,00
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Richard J. Evans
Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien
Wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzen

Nichts in der Geschichte passiert zufällig, alles ist Ergebnis geheimnisvoller Machenschaften - diese Vorstellung ist so alt wie die Geschichte selbst. Gerade jetzt, in Zeiten der Verunsicherung, von Populismus und Fake News, finden Verschwörungstheorien immer mehr Anhänger und treten nirgendwo offensichtlicher zutage als in den revisionistischen Geschichtserzählungen über das Dritte Reich. Längst diskreditierte Märchen erwachen zu neuem Leben, weil es angeblich neue Beweise gibt. Von den "Protokollen der Weisen von Zion", über die "Dolchstoßlegende", den Reichstagsbrand und Rudolf Heß' "Friedensangebot" an die Briten bis zu Hitlers Flucht aus dem Bunker zerlegt der Historiker Richard Evans die fünf einflussreichsten Legenden des Dritten Reichs und erkennt darin überraschende Muster.
Übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt.
Deutsche Verlags-Anstalt, 367 Seiten, € 26,00
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Anne Dufourmantelle
Verteidigung des Geheimnisses

Muss man alles zeigen, alles sehen, sagen und kennen? Angesichts eines immer blinderen Vertrauens in den Nutzen von Wissen und Information und entgegen der scheinbar unabweisbaren Forderung nach Transparenz auf allen Gebieten, verteidigt Anne Dufourmantelle das Geheime, das Verborgene, das Ungewusste und Rätselhafte als unverzichtbare Ressource menschlicher Existenz. Sie entwirft Elemente einer Ethik des Geheimnisses im Spannungsfeld von gesellschaftlicher Kontrolle und privater Sphäre jedes Einzelnen.
Übersetzt von Luzia Gast.
Diaphanes Verlag, 168 Seiten, € 20,00
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Ralph Konersmann
Welt ohne Maß

Ralf Konersmann zeigt: In der europäischen Geschichte waren Maß und Maße, Ethik und Technik, Moral und Wissen zwei Seiten ein und derselben Medaille. Es galt, sich nicht bloß hier oder da, sondern generell an das Maß zu halten - an das, was sowohl sachlich als auch sittlich geboten ist. Konersmann erzählt nun die Ideengeschichte des Maßes: wie dieses Verhältnis wechselseitiger Bestätigung von Maß und Maßen einmal gedacht und gesichert war, unter welchen Umständen es dennoch zerbrach und welche Konsequenzen das Auseinandertreiben der vormals verbundenen Begriffswelten nach sich zog. Konersmann rückt den heute allgegenwärtigen Vormarsch des Messens, Zählens und Rechnens in eine genealogische Perspektive.
S. Fischer Verlag, 320 Seiten, € 26,00
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Niklas Luhmann
Die Grenzen der Verwaltung

Anfang der 1960er Jahre wechselte Niklas Luhmann an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Dort entstand der Entwurf einer allgemeinen Theorie der Verwaltung. Luhmann bestimmt darin zunächst, was er als die Aufgabe einer Verwaltungsorganisation sieht: das Erzeugen verbindlicher Entscheidungen, um sich dann der wesentlichen Herausforderung zuzuwenden, der sich ein solches soziales System gegenübersieht: dem Management seiner eigenen Grenzen. Mit wenigen systemtheoretischen Begriffen und angereichert durch die eigene praktische Erfahrung, zeigt er, wie Verwaltungen die unterschiedlichen Erwartungen ihrer Umwelten so ausbalancieren, dass ihre Grenzen stabil und ihre Strukturen funktionsfähig bleiben.
Herausgegeben von Johannes F. K. Schmidt und Christoph Gesigora.
Suhrkamp Verlag, 254 Seiten, €28,00
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Paul Jankowski
Das Wanken der Welt
Wie 1933 der Weltfrieden verspielt wurde

Die Welt lief aus dem Ruder im Winter 1932/33. In Deutschland ergriff Hitler die Macht, Mussolini schielte nach Afrika, Japan griff China an und verließ den Völkerbund. In Frankreich gab es drei Regierungswechsel, die USA unter Roosevelt versuchten, die Weltwirtschaftskrise im Alleingang zu bewältigen. Paul Jankowski schildert, wie die Welt durch nationalen Egoismus endgültig ins Wanken geriet. Jeder kämpfte gegen jeden, die große Genfer Abrüstungskonferenz scheiterte grandios, weltweit gelangten Autokraten und Diktatoren an die Macht.
Übersetzt von Bernhard Josef.
S. Fischer Verlag, 576 Seiten, € 39,00
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Steven Pinker
Mehr Rationalität
Eine Anleitung zum besseren Gebrauch des Verstandes

Nachdem Steven Pinker die Aufklärung verteidigt hat, zeigt er nun in seinem neuen Buch die Bedeutung von Rationalität. Denn nur mit ihr kann man sich orientieren in einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht. Durch Rationalität entdeckt der Mensch Naturgesetze, fliegt zum Mond und entwickelt in kürzester Zeit Impfstoffe. Auch wenn manche Menschen an Verschwörungstheorien und Fake-News glauben - der Mensch ist rational. Das unterscheidet ihn von allen anderen Lebewesen.
Übersetzt von Martina Wiese.
S. Fischer Verlag, 432 Seiten, € 25,00
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Besondere Empfehlung des Monats Dezember von Konrad Paul Liessmann:

Rudolf Burger
Über Gott und die Welt und die Liebe
Gespräche und Interviews

"Am 19. April 2021 starb der österreichische Philosoph Rudolf Burger. Er hinterließ kein akademisches systematisches Werk, seine Stärke war die knappe, luzide, provozierende intellektuelle Intervention. Die kenntnisreichen Analysen und spitzen Bemerkungen, die Rudolf Burger, dieser gleichermaßen vornehme wie streitbare Philosoph, als öffentlicher Intellektueller formuliert hat, waren kaum in einem pädagogischen Sinn anregend, schon gar nicht mit dem Zeitgeist akkordiert, sodass man nur hätte nicken müssen. Sie waren im besten Sinne einer radikalen Aufklärung rücksichtslos, und nötigten dadurch, Überzeugungen und Begriffe ebenso zu überdenken wie moralische Werte und politische Illusionen. Die in dem nun posthum erschienenen Band versammelten Gespräche zeigen Rudolf Burger als kritischen Beobachter, der im Sinne Hegels versucht, seine Zeit in Gedanken zu erfassen. Solche in einer Dialogsituation entfalteten Reflexionen haben etwas Verblüffendes, ja Verstörendes an sich, sie sind produktiv gerade dann, wenn man widersprechen möchte. Und sie bestechen durch präzise Formulierungen, die im wahrsten Sinn des Wortes Phänomene unseres sozialen und politischen Lebens auf den Punkt bringen."

Konrad Paul Liessmann

Herausgegeben von Bernhard Kraller.
Sonderzahl-Verlag, 514 Seiten, € 35,00
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Die Jury: Tobias Becker, Der Spiegel; Manon Bischoff, Spektrum der Wissenschaft; Kirstin Breitenfellner, Falter, Wien; Natascha Freundel, RBB-Kultur; Dr. Eike Gebhardt, Berlin; Prof. Dr. Wolfgang Hagen, Leuphana Universität Lüneburg; Knud von Harbou, Feldafing; Prof. Jochen Hörisch, Universität Mannheim; Günter Kaindlstorfer, Wien; Dr. Otto Kallscheuer, Sassari, Italien; Petra Kammann, Feuilleton Frankfurt; Jörg-Dieter Kogel, Bremen; Dr. Wilhelm Krull, The New Institute, Hamburg; Marianna Lieder, Berlin; Prof. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität zu Berlin; Marc Reichwein, Die Welt; Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung; Prof. Dr. Sandra Richter, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar; Wolfgang Ritschl, ORF, Wien; Florian Rötzer, München; Norbert Seitz, Berlin; Anne-Catherine Simon, Die Presse, Wien; Prof. Dr. Philipp Theisohn, Uni Zürich; Dr. Andreas Wang, Berlin; Prof. Dr. Harro Zimmermann, Bremen; Stefan Zweifel, Zürich.

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