Festung EU: Die kalte Grenze

Der Stellenwert von Leben und Gesundheit an der EU-Außengrenze scheint ein anderer zu sein als vielerorts in der Corona-Politik. Symbolbild: ChrisiElliotMedia auf Pixabay (Public Domain)

Mehrere Tage Schneefall und Minusgrade werden für die Grenzregion von Belarus und Polen gemeldet. Migranten und Asylsuchende harren dort in den Wäldern aus

Es sind keine guten Nachrichten für diejenigen, die in der Grenzregion von Belarus zu Polen versuchen, auf illegale Weise das Gebiet der EU zu erreichen: "Der Schnee bedeutet, dass die Menschen im Wald sterben werden", erklärt Marysia Zlonkiewicz von der Hilfsorganisation "Grenzgruppe" auf Anfrage.

Durchnässt und erschöpft hätten die Migranten aus dem Nahen Osten und afrikanischen Ländern wenig Chancen im Frost. "Wir treffen nun Personen im weit schlechteren Zustand als noch einige Wochen vorher", so die Aktivistin, die zusammen mit anderen Helfern seit Monaten versucht, die Menschen im Wald mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Die Organisation fordert in ihrem Bericht zur humanitären Lage an der Grenze vom 1. Dezember dazu auf, auch die EU in die Problemlösung einzubinden. Sie spricht mehrfach ausdrücklich nicht von einer Migrations- oder Flüchtlingskrise, sondern benennt den belorussischen Staatschef Alexander Lukaschenko als Drahtzieher der Aktion, Menschen an die Grenze zu bringen, um auch Polen zu destabilisieren.

Durch die Pushback-Aktionen von polnischen Uniformierten und das Zurückschicken komme es jedoch zu humanitären Katastrophen, da die Betroffenen sich bei eisigen Temperaturen mehrere Tage im Wald aufhalten müssten. Auch das Poland Emergency Medical Team PCPM, eine Gruppe von freiwilligen Helfern mit medizinischer Ausbildung, beklagt die Situation der Menschen, die sie in den Wäldern retten.

Seit Mai lässt Lukaschenko Asylsuchende und Ausreisewillige aus dem Nahen Osten und Afrika nach Minsk einreisen und an die litauische, lettische und polnische grüne Grenze führen.

Dramatisch wurde es Anfang November, als mehrere Tausend Migranten von belorussischen Uniformierten an den Grenzübergang Brugi-Kuznica gebracht wurden. Die Situation entspannte sich nach einem Telefongespräch der geschäftsführenden deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Alexander Lukaschenko, dem die EU Wahlfälschung vorwirft und ihn deshalb offiziell nicht als Staatsoberhaupt anerkennt.

Und obwohl der belorussische Staatspräsident die Migranten aus seinem Land ausreisen lässt, halten sich vermutlich immer noch mehrere Hundert in der ehemaligen Sowjetrepublik auf. Die Lage an der über 400 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Ländern ist darum weiterhin angespannt.

Grenzschutz berichtet selbst von Pushbacks

So meldete der polnische Grenzschutz täglich über hundert Versuche, die Grenze illegal zu übertreten. Für die Nacht auf Mittwoch waren es 102 Versuche, dabei seien fünf Personen "veranlasst worden, das polnische Territorium zu verlassen". Dies gilt als illegale Pushback-Aktion, wenn sie einen Antrag auf Asyl stellen wollen oder aus gesundheitlichen Gründen schutzbedürftig sind.

Polnische Uniformierte, darunter Polizisten wie Soldaten, beschweren sich wiederum über Steinwürfe durch Migranten und Blendungen mittels Laser von Seiten der belorussischen Grenzer. Immer wieder werden Verletzte auf ihrer Seite gemeldet. "Wir haben eine Rückkehr zur Situation des Sturms auf den Grenzübergang bei Kuznica", so Stanislaw Zaryn, der Geheimdienst-Koordinator der polnischen Regierung. Die weißrussische Seite arbeite nun mit kleineren Gruppen an ausgesuchten Orten, von denen sie glaubten, sie seien nicht so gut überwacht.

Zaryn, der die ausländischen Korrespondenten mit Newslettern beliefert, spricht von einer aktuell zunehmende Gewaltbereitschaft der verbliebenen Migranten an der grünen Grenze.

Die Spannungen nehmen aber auch zwischen den Helfern und den Grenzschützern zu. So beklagte am Wochenende Jakub Sypianski, Arabisch-Dolmetscher und Mitglied der "Grenzgruppe", von Soldaten der "Armee zur Territorialverteidigung" überfallen und geschlagen worden zu sein. Die Mitglieder der Freiwilligenarmee hätten ihn verdächtigt, ein Schlepper zu sein.

Es soll bereits mehrere Übergriffe gegeben haben. Medizinische Helfer beschwerten sich, dass Uniformierte ihnen die Luft aus den Reifen gelassen hätten.

Richtig nahe an die Grenze können die meisten Helfer wie auch Journalisten nicht, im Grenzgebiet herrscht seit Anfang September Ausnahmezustand, nur Bewohner und besonders Befugte dürfen an den Straßenkontrollen vorbei. Offiziell endete der Ausnahmezustand zwar am 30. November, jedoch wurde eilig ein neues Gesetz durchgesetzt, das dem Innenministerium die Befugnis gibt, den Aufenthalt in der Grenzzone weiterhin zu verbieten.

Umfragen widersprüchlich, Gläubige gespalten

In Polen unterstützen nach einer etwas älteren Umfrage 54 Prozent der Befragten die Pushback-Aktionen, gleichzeitig sind 60 Prozent dafür, den Einreisewilligen Asylverfahren zu gewähren, was ein Widerspruch in sich ist, da viele von ihnen gar keinen Antrag stellen können, wenn sie auf diese Weise zurückgeschickt werden.

Auch die Gläubigen in dem einheitlich katholisch geprägten Land erscheinen in dieser Krise geteilt – so weigerten sich viele Priester, dem Aufruf des Posener Erzbischof Stanislaw Gadecki zu folgen, am vergangenen Sonntag Essen und Kleider für die Migranten aus Nahost und Afrika zu sammeln.

Bislang sind zehn Tote an der polnisch-belorussischen Grenze gefunden worden, doch humanitäre Organisationen gehen von viel mehr Leichen in den weiten Wäldern aus. Marysia Zlonkiewicz erwartet, dass sich die nationalkonservative Regierung mehr engagiert, "um weitere Tote zu vermeiden."

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