Corona-Pandemie: Wut, Spaltung und offene Fragen

Der Ton in Deutschland wird zunehmend aggressiver. Die allgemeine Impfpflicht scheint zu kommen und nur wenige besonnene Stimmen sind zu hören, die vor der drohenden Spaltung des Landes warnen. Was passiert in Deutschland? (Teil 1)

"Herzlichen Dank an alle Ungeimpfte! Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown. Um die Welle zu brechen, braucht es in der Pandemie schon einmal die Solidarität aller", lautete vor kurzem ein Kommentar der Tagesthemen. Ähnlich entnervt ist Kati Degenhardt:

Euch Ungeimpften verdanken wir die täglich steigenden Fallzahlen, die unkontrollierte Ausbreitung des Virus, die neuerliche Kapitulation der Gesundheitsämter und den drohenden Zusammenbruch der intensivmedizinischen Versorgung. Wenn ein Lockdown kommt, dann seid ihr daran schuld. Und meine Kinder hocken drin, wir alle hängen drin.

Aufruf zur Spaltung

Während Norbert Röttgen die Ungeimpften als Spalter sieht, wird der Ruf nach einer bewussten Abspaltung von den Ungeimpften in den Medien immer lauter. Christian Vooren, forderte in der Zeit gar Die Gesellschaft muss sich spalten und führt dies wie folgt aus:

Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet. Wenn davon die Rede ist, entsteht schnell ein Zerrbild im Kopf, als würde das Land in zwei gleich große Teile zerfallen. Doch so ist es nicht. Richtig und tief eingeschlagen, trennt er den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft.

Ähnlich argumentierte Jan Feddersen in der taz: Die Politik und die neue Regierung verhielten sich "wie auf einer Party, auf der sich alle einig sind, dass man eine Spaltung der Gesellschaft doch auf keinen Fall riskieren wolle und genau das ist falsch, weil Rücksicht genommen wird, hinter der sich Entscheidungsschwäche verbirgt."

Christian Stöcker schließt sich nach mehreren Drohmails, die er erhalten hat, vorsichtig an und kritisierte im Onlineangebot des Spiegels:

Einmal mehr wird der Wunsch nach gesellschaftlicher Solidarität (nun durch den Akt des Impfens) jetzt unter Verweis auf die Gefahr von "Spaltung" und die Bedrohung des "Zusammenhalts" infrage gestellt.

Die Sprache nimmt an Schärfe zu

Frank Ulrich Montgomery, der Ratsvorsitzende des Weltärztebundes spricht von der Tyrannei der Ungeimpften.

Der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Dieter Bauhaus, warnt vor dem Diktat der Ungeimpften.

Bernhard Junge-Hülsing, Pandemiekoordinator eines Landkreises, fordert Wir müssen die Diktatur der Ungeimpften brechen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des FDP-Bundesvorstands, nennt die Situation Terror durch Ungeimpfte.

In der Schweiz spricht der Epidemiologe Christian Althaus von Geiselhaft.

In Österreich tituliert die Gesundheitslandrätin Juliane Bogner-Strauß das ungeimpfte Pflegepersonal als Todesengel.

Höhepunkt der sprachlichen Aggression ist wahlweise ein Polizist, der einen ungeimpften Demonstranten als "indirekten Mörder" bezeichnete und diesem vorwarf er habe "jegliche Menschlichkeit verloren" (die Polizei distanzierte sich von diesen Aussagen) oder der Satire-Beitrag von Sarah Bosetti, die offenbar ganz bewusst mit Sprache und Metapher der Dritten Reiches spielt:

Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essenziell für das Überleben des Gesamtkomplexes.

Machtfrage

Selbstverständlich muss man an dieser Stelle auch auf die Gewalt bzw. angedrohte Gewalt extremer Impfgegner hinweisen.

Es handelt sich hier allerdings um extreme Elemente einer Gruppe, die aus etwa 16 Millionen Ungeimpften im Alter über zwölf Jahre besteht, und die man wohl kaum allen Ernstes als repräsentativ bezeichnen darf. Die Vielzahl der aggressiven Stimmen der Geimpften können hingegen als repräsentativ betrachtet werden, insbesondere weil sie auch viele unterschiedliche politische Spektren abbilden.

Angesichts der seit einigen Monaten steten zunehmenden Einschränkung der Freiheit von Ungeimpften (wobei nirgendwo ein Politiker oder Journalist sich hier die Mühe macht, zwischen Ungeimpften und Genesenen zu unterscheiden, deren Infektion älter als sechs Monate ist), verwundert der Schuldvorwurf der Diktatur, Tyrannei, Terror oder Geiselhaft ein wenig, da all dies ein Bild zeichnet, wonach Ungeimpfte unstatthaft ihre Macht ausspielen, obwohl deren Lebenskreis in Wirklichkeit seit Wochen Schritt für Schritt eingeschränkt ist.

Die ungeimpfte Susanna Zacharias antwortet in diesem Zusammenhang dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der Ungeimpften Egoismus und Gleichgültigkeit vorwirft:

Ich verstehe nicht, wie er das meint. Ich darf nicht mehr an Kultur teilhaben, nicht mehr ins Restaurant, meinen Sport nicht mehr ausüben. Ich bediene ein Feindbild. Ich bin jetzt eine von den Bösen. Vielleicht denkt Herr Müller, dass mir das Spaß macht und dass ich deshalb egoistisch bin. Für mich steht die Welt Kopf.

Es erschließt sich also nicht genau, worin eigentlich die Tyrannei, der Terror oder das Diktat der Ungeimpften bestehen sollen, außer dass sie für sich die Impfung ablehnen, also eine Entscheidung für sich selber, nicht aber für andere treffen.