Bis zum bitteren Boden-Burnout? Umweltpolitik im Kapitalismus

Wo Kohle und Autos hohes Ansehen haben, wird nicht zuerst an die Nahrungsmittelsicherheit in 30 bis 50 Jahren gedacht. Foto: Jody Davis auf Pixabay (Public Domain)

Die gerade noch "hinnehmbaren" Grenzen der Umweltzerstörung sind in diesem System nicht überschritten, solange kurz- und mittelfristig noch Profite möglich sind. Mittelfristig nur dank staatlicher Regulierung

Die technische Anwendung neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse erfordert heute gewöhnlich Aufwendungen, die nur größere Unternehmen erbringen können. Das geschieht ohne gesamgesellschaftliche Planung, also von privater Hand, nach Maßgabe der eigentumsrechtlichen Verfügungsgewalt über die nötigen Mittel. Dazu gehört auch und vor allem das Grundeigentum.

An den Wirkungen der technischen Prozesse interessiert den kapitalistischen Anwender erst einmal nur, inwiefern sie seinen Zielen – und das ist allemal die Erwirtschaftung von Profit – dienlich sind.

Schon bei unmittelbaren Wirkungen auf die Nachbarn kommt es dazu, dass Gesetzgeber und Gerichte gefragt sind, um Grenzen zu setzen. Umso illusorischer wäre es, Rücksicht auf entferntere Wirkungen auf gemeinschaftliche Güter wie Luft, Wasser (Oberflächenwasser und Grundwasser) sowie die wildlebende Pflanzen- und Tierwelt zu erwarten. Die Konkurrenz setzt die Rücksichtslosigkeit als das allgemeine ökonomische Gesetz durch: Wer Skrupel hat, wird zum Verlierer - nur Skrupellose können bestehen.

So erweisen sich im Kapitalismus alle Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik ebenso als Formen der Naturzerstörung. Das sei jenen gesagt, die darauf hoffen, dass sich innerhalb des Kapitalismus die Naturzerstörung durch technische Neuerungen kompensieren ließe oder gar erübrigen würde.

Staatliche Regulierung der Zerstörung von Arbeitskraft und Natur

Wie reagiert der Staat, der Wächter über das gesellschaftliche Leben, auf die ständige Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen? Um das besser zu verstehen, ziehen wir zum Vergleich die staatliche Behandlung der anderen Seite Grundwiderspruchs der kapitalistischen Produktionsweise heran: die Untergrabung der Arbeitskraft.

Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht weist auch die Arbeiterklasse Charakteristika eines allgemeinen gesellschaftlichen Guts auf, ist doch die menschliche Arbeitskraft selbst eine Naturkraft. Der Gebrauch dieses gemeinschaftlichen Guts unterliegt bekanntlich sozialstaatlichen Regelungen, die am besten verstanden werden können, wenn man sich die im Gebrauch der Arbeitskraft angelegten Tendenzen ansieht.

Wie auch andere gemeinschaftliche Güter, erscheint sie als ein "Pool", aus dem sich jeder Kapitalist bedient. Er wendet die von ihm beschäftigten Arbeiter profitbringend an und braucht sich nicht um dabei entstehende Schäden zu sorgen: am Arbeitsmarkt findet er jederzeit Ersatz, der Schaden trifft ihn also nicht direkt, sondern kumuliert sich gesellschaftlich, bis er zum Problem für die Kapitalistenklasse insgesamt wird.

Unnötig zu bemerken, dass unter diesem Aspekt betrachtet das Problem nicht in der persönlichen Misere erkrankter Lohnabhängiger und ihrer Familien besteht, sondern in der schwindenden Verfügbarkeit kräftiger und gesunder Arbeiter für das Kapital.

Hier ist nun der Staat als übergeordnete gesellschaftliche Instanz gefordert, um diesem die gesamte nationale Wirtschaft betreffenden Problem Einhalt zu gebieten. Die englische Zehn-Stunden-Bill war historisch der erste Fall, in dem per Gesetz die Tendenz des Kapitals zur Zerstörung ihrer eigenen Grundlagen beschränkt wurde.

Damit war die Sache historisch nicht beendet: im Gegenteil, die Zehn-Stunden-Bill war nur der Anfang davon, dass wegen der ständig neuen Übergriffe auf die Lohnabhängigen durch gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen gesetzliche Regelungen erkämpft werden mussten, so dass das Arbeitsrecht mittlerweile ganze Regale füllt.

Das Prinzip dabei ist: Damit die einzelnen Kapitalisten sich in ihrer Konkurrenz nicht wechselseitig zum Überschreiten jeder Grenze drängen und damit insgesamt das Florieren der nationalen Wirtschaft gefährden, werden per Gesetz Beschränkungen festgelegt, die für alle gültig sind, also Rahmenbedingungen für das Konkurrieren insgesamt darstellen, und die von der Staatsgewalt durchgesetzt werden.

Zurück zur Frage der Naturzerstörung: Dasselbe Prinzip gilt mutatis mutandis auch für die staatliche Umweltgesetzgebung. Wie bestimmen sich die gesetzlich festgelegten Grenzen? Damit stellt sich die Frage nach den Interessen, durch die der Staat dabei zugleich geleitet und beschränkt wird. Zu den Parallelen zwischen Zehn-Stunden-Bill und Kampf gegen Naturzerstörung hat sich beispielsweise Paul Burkett in seinem Werk "Marx and Nature - A Red Green Perspective" geäußert.

Umweltpolitik im Kapitalismus

Die auf Privateigentum, Klassengegensätzen und Konkurrenz beruhende kapitalistische Gesellschaft ist ohne den Staat als regelnde Instanz nicht möglich. Der Staat steht daher über der Gesellschaft, greift regulierend in die Wirtschaft ein, kann dabei auch finanzkräftigen Konzernen Vorschriften machen – einerseits. Andererseits ist er von der Wirtschaft als der materiellen Grundlage seiner Macht abhängig.

Er schöpft mittels Steuern Reichtum von der Gesellschaft ab und kann diese Einkommensquelle darüber hinaus als "Hebel" für weitere Finanzierung durch Kredite produktiv machen. Das geht selbstredend umso besser, je mehr seine nationale Wirtschaft floriert. Er steht vor dem Widerspruch, dass er einerseits - wie wir gesehen haben – die Wirtschaft einschränken muss, um die allgemeinen Produktionsbedingungen zu erhalten, andererseits aber die Wirtschaft als seine eigene Existenzgrundlage möglichst wenig belasten, sondern vielmehr fördern will.

Da kann es kein objektives Kriterium geben, welche Grenzen der Umweltbelastung als "hinnehmbar" zu deklarieren sind, sondern das ist Gegenstand ständiger politischer Auseinandersetzungen.

Die Staaten stehen zueinander in Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Dort entscheidet sich, wie viel die Währung eines Landes gilt, und ob Kredite und Kapital ins Land geholt werden können. Im Hinblick darauf bewerten Rating-Agenturen ständig die Wirtschaftsstärke und damit der Weltmarktposition der Staaten.

Eine Aufbesserung der unmittelbar nächsten Wirtschafts- und Staatsbilanzen wiegt dabei mehr als langfristige Perspektiven, wie uns die Finanzkrise von 2008 deutlich vor Augen geführt hat: das Rating ganzer Staaten kann in kürzester Zeit von "Prime" auf "Ramsch" abstürzen, aus Sicht der betroffenen Staaten ein Super-GAU. Es geht also nicht um eine "kurzsichtige Denkweise" der Staatslenker, sondern um objektive Zwänge des Weltmarkts.

Angesichts solcher Zwänge wird jeder Politiker die kurzfristigen Beeinträchtigungen der Wirtschaft durch Umweltgesetze mehr Sorgen bereiten als die anderenfalls zu erwartende, sich jedoch "nur" auf längere Sicht auswirkende Schädigung der Lebensgrundlagen. Wirtschaftswachstum

Was für die Position eines Landes am Weltmarkt zählt, ist Wirtschaftswachstum: der Zuwachs an wirtschaftlicher Stärke, der zugleich Grundlage für die Stärkung seiner Währung und damit Ausweis seiner Kreditwürdigkeit ist, also weiteren Machtzuwachs bedeutet. Umgekehrt: fällt Wachstum aus, oder bleibt es auch nur im Vergleich zur Konkurrenz zurück, so schwinden Kreditwürdigkeit und Macht des Landes.

Kein Wunder also, dass Wachstumszahlen das A und O jedes Konjunkturberichts sind: Wachstumsförderung ist das zentrale Ziel jeder Wirtschaftspolitik. Der Staat hat sehr wohl Hebel in der Hand, um die Rahmenbedingungen für profitables Wirtschaften und damit Wachstum im Land zu fördern, also sein Herrschaftsgebiet zum optimalen "Wirtschaftsstandort" herzurichten – was umgekehrt heißt, dass an allem gespart wird, was nicht unmittelbar zur Förderung der Wirtschaft beiträgt: vor allem an sozialen Belangen und Umwelt.

Dabei kommt zum Sparen noch dazu, dass gesetzliche Reglementierungen in den Bereichen Soziales und Umwelt Einschränkungen für das Kapital bedeuten, also ein Wachstumshindernis darstellen, das im Rahmen der Standortförderung nach Möglichkeit zu vermeiden ist.

So setzt der Staat Bedingungen für das Wirtschaftswachstum - der Grund des Wachstums ist das aber nicht, wie ebenfalls im Anschluss an die Finanzkrise deutlich wurde: der Staat warf den Unternehmen billiges Geld geradezu hinterher, in der Erwartung, damit die Wirtschaft anzukurbeln; indessen wurde es kaum angenommen, weil die Kapitalisten keine profitable Investitionsmöglichkeit dafür sahen.

Der Grund für das Wirtschaftswachstum liegt in der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Zweck der kapitalistischen Produktion ist der Profit. Als rein quantitativ bestimmte Größe kennt er kein immanentes Maß: immer so viel wie möglich - und dazu muss die Produktion ausgeweitet werden.

Dem kann sich kein einzelner Kapitalist entziehen, denn auch wenn er persönlich genügsam wäre, so bliebe dennoch die Größe seines Kapitals die entscheidende Konkurrenzbedingung: nur die bleiben dauerhaft im Geschäft, die beim allgemeinen Wachstum mithalten. Durch die Konkurrenz zwingen sich die Kapitalisten gegenseitig das Wachstum auf. So entsteht insgesamt das Wachstum der Gesamtwirtschaft.

Damit ist auch klar: dass es das Wirtschaftswachstum gäbe, um die Menschen bestmöglich zu versorgen, oder dass gar deren angeblich maßlose Gier und Konsumsucht der Grund für das Wirtschaftswachstum wären, gehört ins Reich der Märchen.

Die Versorgung der Menschen mit nützlichen Gütern – also das, was nach der sachlichen Seite hin als Zweck allen Wirtschaftens erscheinen könnte und es in jeder anderen Gesellschaft auch wäre – geschieht in der kapitalistischen Verwertungslogik nicht als Zweck der Produktion, sondern nur als Mittel; der tatsächliche Zweck ist der Profit, und die Versorgung der Leute ist nur das Mittel dafür: Weil halt jemand die Ware kaufen muss, damit der Kapitalist den in ihr steckenden Profit realisieren kann.

Fazit

Umweltpolitik heißt für den Staat, ständig abzuwägen zwischen dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einerseits und den Belangen des Wirtschaftswachstums, also der Profitinteressen andererseits. Bei so etwas kann es kein objektives Entscheidungskriterium geben; allerdings steht in jedem Fall fest, dass das Wirtschaftswachstum im Zweifel Vorrang hat.

Der Rest ist Gegenstand ständiger politischer Auseinandersetzungen. Umweltverbände und Klimabewegung können da gelegentlich den einen oder anderen kleineren Erfolg verbuchen. Dass sie jedoch grundsätzlich an der staatlichen Politik im Kapitalismus etwas ändern könnten, ist freilich eine Illusion.

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