Ende fast aller Corona-Regeln: Österreichs chaotisches "Frühlingserwachen"

Ob der österreichische "Freedom Day" am 5. März ein Grund zum Feiern wird, muss sich erst zeigen. Symbolbild: Lumpi auf Pixabay (Public Domain)

Österreichs Bundesregierung hat trotz beinahe Höchststand an Neuinfektionen weitere Öffnungsschritte angekündigt. Dabei geht es mehr um Politik als um Logik – und das schafft Verwirrung

Ab dem 5. März soll es in Österreich im Grunde keine Corona-Beschränkungen mehr geben. Der Termin steht seit einer Woche; Nachtlokale und Diskotheken haben dann keine Sperrstunde mehr, die Zutrittskontrollen aufgrund verschiedener "G-Regeln" fallen weg. Es heißt somit "Hereinspaziert" – auch für Ungeimpfte und Ungetestete. Maskenpflicht besteht nur mehr in Krankenhäusern, Altersheimen und Supermärkten.

Letztere werden besser geschützt als Diskos, weil der Besuch von Supermärkten für alle unumgänglich sei, Ausgehen aber ein Vergnügen ist, das mit individueller Risikoabschätzung genossen wird – oder eben nicht. Der "Grüne Pass" wird nicht mehr kontrolliert.

Eins muss man dem Coronavirus lassen: Es hat nach gut zwei Jahren Pandemie noch jede Prognose blamiert. In Österreich wurde es chronisch unterschätzt, denn hier wurde das Ende der Pandemie schon mehrmals verkündet. Gut möglich, dass es auch einmal umgekehrt sein könnte und die Gefahren durch die Omikron-Variante tatsächlich geringer und leichter handhabbar sind als zunächst erwartet.

Dennoch ist durch einen Blick auf die österreichischen Corona-Kennzahlen nicht ersichtlich, warum die Regierung mit einem sehr ambitionierten Öffnungsplan an die Öffentlichkeit tritt.

Die Infektionszahlen sind weiterhin exorbitant hoch, im Durchschnitt der letzten sieben Tage waren es mehr als registrierten 25.000 Neuinfektionen pro Tag, gerechnet auf weniger als neun Millionen Einwohner. Am Dienstag waren es 21.427, gleichwohl erwarten Experten sogar eine Steigerung, weil sich eine neue, noch infektiösere Variante von Omikron als "Welle hinter der Welle" aufbaue und entweder zu neuen Höchstständen führen oder aber eine Plateaubildung bewirken werde.

Die Zahl der hospitalisierten Fälle wächst stetig, ohne allerdings wieder jene bedrohlichen Maße anzunehmen, die als systemgefährdend gelten. Denn die Belegung der Intensivstationen stagniert seit langem und geht sogar etwas zurück.

Ist deshalb alles in bester Ordnung, kann also mit ruhigem Gewissen geöffnet werden? Der österreichische Komplexitätsforscher Peter Klimek, der für die Regierung Modelle im Covid-19-Prognose-Konsortium berechnet, nutzt ein Bild aus der Küche. Wenn ein Teig lange ausgerollt wird, dann wird er immer dünner und überall entstehen Löcher. Will sagen, die Krankenhäuser und die medizinische Versorgung im Land werden seit zwei Jahren stark durch die Pandemie gefordert, die Kräfte schwinden und überall drohen allein deshalb Versorgungslücken.

Was steckt hinter den Öffnungen?

Es geht aber nicht um das oft rhetorisch gefeierte und politisch wenig beachtete medizinische Personal. Es geht auch nicht mehr darum, möglichst alle Menschen zu schützen, die sogenannte "vulnerablen" Gruppe der Alten und der schwer und chronisch Erkrankten.

In der benachbarten Schweiz laufen die Sessellifte in der nur mehr kurzen Ski-Saison ohne lästige Maskenpflicht – und dort entwickelt sich die Pandemie nach der Öffnung auch nicht katastrophal. Deshalb glaubt eine Mehrheit der ausgesprochen tourismusfreundlichen Bundesregierung, es gehöre nun schnell noch gelockert.

"Hoffentlich hält sich das Virus an den Regierungsplan"

Dass die beratenden Wissenschaftler der entsprechenden Gremien, in Interviews zur Öffnung befragt, meist betreten auf den Boden schauen, wird gerne von der Regierung in Kauf genommen.

Wer "evidenzbasiert" argumentiert, kann der sehr schnellen Öffnung wenig abgewinnen. Man reize "den Spielraum" eben aus, ein kompletter Zusammenbruch des Systems sei nicht zu befürchten, eine langsamere Öffnung wäre aber sicherlich sinnvoller. "Hoffentlich hält sich das Virus an den Regierungsplan", befand die prominente Virologin Dorothee von Laer.

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) kommentierte die Öffnungsschritte mit dem Satz: "Wir sollten aus dem Auto aussteigen, wenn es steht, nicht wenn wir noch mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs sind." Wien macht deshalb nicht mit. In der Bundeshauptstadt gilt auch nach dem 5. März die 2G-Regel. Man wolle zwar ebenso auf weitere Öffnungsschritte setzen, dies aber langsamer und mit größerer Vorsicht.

Ein wohl überwiegender Teil der von den Eindämmungsmaßnahmen ausgelaugten Bevölkerung begrüßt die Öffnungsschritte sicherlich. Eine Euphorie macht sich allerdings nicht breit. Viel mehr zeigt sich, dass das unglückliche Pandemiemanagement und insbesondere die missglückte Kommunikationsstrategie längst demokratiepolitisch bedenkliche Dimensionen angenommen haben. Weite Teile der Bevölkerung hören nicht mehr hin und glauben der Regierung nichts mehr.

Was bedeutet eigentlich Pflicht?

Die Opposition hält somit die schnellen Öffnungen für ein Ablenkungsmanöver. Die Regierung fürchte sich vor dem anstehenden Untersuchungsausschuss, der die Korruption in der ÖVP klären soll und die schlechten Umfragewerte hätten den Koalitionären deutlich gemacht, dass die Regierungszusammenarbeit ein Ablaufdatum hat. Nach der nächsten Wahl wird es keine Mehrheit für ÖVP und Grüne mehr geben.

Wenn der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein die Öffnungsschritte kommentiert, dann sieht es ein wenig so aus, als stünde hinter der Fernsehkamera jemand, der Mücksteins Hund einen Revolver an die Schläfe hält. Der studierte Mediziner fürchtet sich vor den Fragen der Journalisten, weil er diese nicht authentisch beantworten kann. Er muss sein Wissen und seine Kenntnisse verbergen und laviert deshalb in einer Weise, dass seine Ankündigungen kaum mehr zu verstehen sind.

Am deutlichsten zeigt sich dies im Kontext der Impfpflicht. Die Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen scheint in einem offenkundigen Widerspruch zur soeben erst eingeführten Impfpflicht zu stehen. Die Impfskeptiker dürfen sich jetzt in ihrem Zögern bestätigt sehen. Warum impfen, wenn ohnehin nicht mehr kontrolliert wird? Oder wird doch noch der Impfstatus kontrolliert?

Hier erlebt das nur mehr wenig interessierte Publikum Austria at it’s best: Die Regierung erlässt eine Impfpflicht, niemand hält sich dran (am Tag nach der Einführung gab es in der Zwei-Millionen-Stadt Wien 400 Erstimpfungen) und dann wird eilig eine Kommission einberufen, die überprüft, ob die Impfpflicht überhaupt sinnvoll sei.

Stichproben hier, Stichproben da

Ein faszinierender Begriff von Pflicht. Den Geimpften wird vermittelt: "Brav habt ihr eure Pflicht erfüllt, noch bevor es eine war. Wer hingegen seine Pflicht nicht erfüllen will: Auch gut, war nur so ein unverbindlicher Vorschlag." Dieser Begriff der Pflicht könnte auf andere Bereiche ausgeweitet werden, indem die Regierung etwa zu Parkverbotszonen nur mehr Straßenbereiche erklärt, in denen kein Auto parkt; und sobald jemand dort parken will, wird per Kommission die Parkverbotszone aufgehoben.

Noch "besser" ist der Zeitplan durchdacht. Ab 15. März – zehn Tage nach der jetzt in Aussicht gestellten Öffnung – sei die Informationsphase der Impfpflicht vorbei und Ungeimpfte würden gestraft. Die jetzt einberufene Kommission wird dann Monate später feststellen, ob dies sinnvoll gewesen ist oder nicht. Fakt ist, der österreichische Gesundheitsminister betont einmal vor Medien, es würde stichprobenartig überprüft und bestraft, um dann später in einer Aussendung zu betonen, er wisse es noch nicht.

Bei so viel "Flexibilität" in der Auslegung der eigenen Erlasse und Gesetze, schafft die Politik eine kommunikative Verwirrung, die Ihresgleichen sucht. Es darf konstatieren werden, dass die Regierung hier "einen Lauf hat".

Weil eine langfristige Strategie fehlt, soll jede politische Maßnahme immer nur das soeben erst aufgerissene Loch stopfen. Bis vor kurzem wollte man die Impfmuffel noch mittels einer Lotterie verführen, die die Einhaltung der "Impfpflicht" mit bis zu 1200 Euro belohnen wollte. Es zeigte sich, dass dies aus verschiedenen Gründen nicht durchführbar ist und so ließ man es.

Eine Regierung im Panikmodus

Die Pleiten sind nicht auf das Impfen und die Pandemiebekämpfung beschränkt. Es zeigen sich überall die gleichen strukturellen Schwächen. Den stark gestiegenen Energiekosten will man nun durch die Zusendung von Gutscheinen beikommen, die an jeden Haushalt gehen, mit der Bitte sie nicht einzulösen, wenn man über ein zu hohes Monatseinkommen verfügt. Eine bizarre Auffassung von staatlicher Lenkung.

Weil auf die Schnelle keine Handhabe gefunden wurde, den Energiekostenzuschuss sozial ausgeglichen der Bevölkerung zukommen zulassen, bittet man Vermögende, mitzuspielen, will sich aber zugleich nicht auf deren gesellschaftliches Verantwortungsgefühl verlassen, sondern droht zugleich mit "Stichproben". Wer bei einer Überprüfung der Energiekostenzuschussbedürftigkeit als nicht bedürftig ertappt wird, muss die Gelder zurückzahlen. Eine überschaubare Gefahr bei Millionen Gutscheinen. Ob Impfpflicht oder Energiekostenzuschuss, "Stichprobe" könnte das Unwort des Jahres werden.

In all diesen Episoden zeigt sich, dass die Regierung kaum mehr ihren Aufgaben gewachsen ist. Die Koalitionäre können sich auf keine sinnvollen Maßnahmen mehr einigen und sehen wohl keine Perspektive mehr in ihrer Regierungszusammenarbeit.

Die aktuell sieben bis zehn verschiedenen Österreichischen Volksparteien haben nach dem Abgang von Sebastian Kurz das "Projekt Ballhausplatz" für beendet erklärt. Ihre volle Konzentration gehört dem Bedienen der jeweiligen Klientelpolitik in den Ländern und Verbänden. Der ÖVP-Mann im Kanzleramt ist eine Nebenfigur. Bei der Bekämpfung des immer noch tödlichen Virus könnte sich dies rächen.

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