Ukraine: Militärische Lage nach vier Wochen Krieg

Karte: Viewsridge/CC BY-SA 4.0

Nach vier Wochen Krieg ist die Bilanz erschreckend, was über 1.000 bestätigte Opfer unter Zivilisten angeht – doch wie ist die militärische Lage?

Verständlicherweise weicht die Darstellung der Krieg führenden Parteien weit voneinander ab. Das ukrainische Bild betont Abwehrerfolge und in jüngster Zeit auch einzelne Gegenstöße und bestimmt die Schilderung in den großen deutschen Medien.

Die russische Seite wiederum feiert die eigenen Truppen für die Eroberung jeder Kleinstadt, verschweigt aber durchweg eigene Fehlschläge. Eine Puzzle-Arbeit, an der Journalisten sitzen, ist es, daraus eine realistische Lageeinschätzung zu entwickeln, sofern sie an einer solchen interessiert sind.

Tatsächlich sind anfängliche russische Pläne zu einer schnellen Eroberung der strategisch wichtigsten Regionen der Ukraine gescheitert und in der letzten Woche gab es Fortschritte für die Invasoren aus Russland nur im Süden und Osten des Landes.

Anstatt an einer Stelle massiv anzugreifen, etwa im Donbass, wählte die russische Seite die genau umgekehrte Strategie und fiel an möglichst vielen verschiedenen Stellen – von Kiew über den Donbass bis hin zum Süden des Landes von der Krim aus – in die Ukraine ein.

Kiew und Charkiw – Russische Invesoren bleiben stecken

Der Erfolg gestaltete sich dabei unterschiedlich. Das ist nicht verwunderlich, sind es doch beispielsweise auf Höhe von Kiew vom nördlichen zum südlichen Kriegsschauplatz mehr als 500 Kilometer. Eher schlecht lief es bei der geplanten Eroberung der ukrainischen Hauptstadt Kiew, die auch nach einem Monat von den russischen Truppen nicht komplett eingeschlossen werden konnte.

Die zehn größten Städte der Ukraine (21 Bilder)

Die russischsprachige lettische Onlinezeitung Meduza, die als einer der wenigen Medien gleichermaßen ukrainische und russische Meldungen verarbeitet, führt das auf Koordinierungsschwierigkeiten der Truppenteile und Versorgungsschwierigkeiten zurück.

Während die Autobahn von der Hauptstadt in Richtung Westen unterbrochen werden konnte, gelang das nicht in östlicher Richtung nach Charkow. Das Stocken der russischen Offensive rund um Kiew verleitete die ukrainische Armee in der vierten Kriegswoche zu einzelnen Gegenangriffen. Ob diese ein einzelner Versuch bleiben oder sich zu einem operativen Erfolg entwickeln, ist nach Meinung der Beobachter von Meduza völlig offen.

Auch ist unklar, wie umfangreich die ukrainischen Reserven sind, die für erfolgreiche Offensivaktionen benötigt werden - laut russischen Angaben sind sie (natürlich) erschöpft.

Ähnlich ist die Lage etwas weiter östlich rund um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw (russisch Charkow). Durch die vielen parallelen Angriffsziele der Russen waren die hier eingesetzten Truppen nicht massiv genug, um die Stadt im ersten Kriegsmonat zu erobern oder auch nur einzuschließen. Die Stadt blieb dauerhaft eine Frontstadt, was auch den umfangreichen Beschuss erklärt, der immer wieder Gegenstand großer Berichte blieb.

Zerstörung im Ukraine-Krieg (14 Bilder)

Zerbombte Trambahn in Charkiw. Bild: Mvs.gov.ua / CC-BY-4.0

Mit einem Durchbruch in den beiden größten Städten rechnet etwa der Militärexperte Wassili Kaschin im Interview mit Telepolis nicht, da er einen hohen Blutzoll für die angreifenden russischen Truppen bedeuten würde.

Äußerungen des russischen Verteidigungsministeriums bestätigen, dass eine solche Eroberung von Metropolen nicht zu den Planungen der Offensive gehörte, schließt sie jedoch wegen der Bindung von Truppen bei Belagerungen nicht aus.

Russische Geländegewinne im Donbass und im Süden

Große Geländegewinne machte die russische Armee bei ihrer Invasion in den ersten vier Wochen des Krieges vor allem im Süden und Südosten des Landes. Von Süden stießen die Invasoren von der Halbinsel Krim aus vor und eroberten die Nachbarregion Cherson komplett.

Die Ukrainer schafften es hier laut Meduza nicht, zu einer effektiven Verteidigung schnell genug Reserven in die Gegend zu verlegen. Im Donbass kam es zu einem parallelen Vorstoß, der nach Vereinigung mit den Truppen aus Richtung Cherson zur Einschließung der seitdem hart umkämpften Großstadt Mariupol führte und einem Abschneiden der Ukrainer von der Küste des Asowschen Meeres.

Die Stadt weist dadurch die größten Zerstörungen in allen Kriegsgebieten auf, immer wieder kommt es in Folge der Kampfhandlungen zum Tod zahlreicher Zivilisten, etwa bei einem russischen Angriff auf ein Theater in der Stadt in der letzten Woche. Wie viele Zivilisten genau sterben, ist kaum lückenlos zu erfassen. Die einzige neutrale, offizielle Zahl bestätigter Todesfälle für den gesamten Ukrainekrieg kommt vom Menschenrechtsbüro der UNO und umfasst am 24. März 1.035 Tote – täglich werden es mehr.

Etwa die Hälfte von Mariupol wird mittlerweile vom russischen Militär beherrscht. Der Kampf um die Stadt ist beiden Seiten wichtig. Für die Ukrainer war sie das eigene Hauptquartier im Donbass, auch ultrarechte Kämpfer des Batallions Asow sind vor Ort stationiert. Für die Russen bindet der anhaltende Straßenkampf zahlreiche Kräfte, die an anderen Fronten im Krieg dringend gebraucht werden würden.