Ukrainekrieg: China gewinnt durch Ablenkung

Interview mit Temur Umarow, Asienexperte des Moskauer Carnegie-Zentrums, über die Rolle Chinas im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine

Russland will Güter, die durch die Sanktionen fehlen, aus Asien holen. Dabei legt der Kreml Wert darauf, dass viele asiatische Länder die Restriktionen nicht unterstützen. Aber muss Russland nicht Angst haben, dass es in einseitige Abhängigkeit von China gerät? Also, dass Preise und Bedingungen von dort diktiert werden?

Temur Umarow: Ja es stimmt, dass all diese Waren und Dienstleistungen, die bisher aus dem Westen kamen, nun im Osten gesucht werden müssen. Aber es gibt durch die Sanktionen keinen Automatismus, dass westliche Marken gehen und chinesische dafür kommen. Das geht zum einen nicht so schnell. Zum anderen gelten die Regeln des Marktes weiter.

Ein Unternehmen, das in Russland keiner kennt, kann nicht ohne einige Anpassungen einfach auf dem russischen Markt beginnen. Man kann keine Flaschen mit chinesischer Coca-Cola - oder etwas, das so ausschaut - sofort liefern, ohne dieses Produkt für die russischen Verbraucher anzupassen. Logistik, Werbung, Infrastruktur müssen durchdacht sein. Da ist viel zu tun, bevor sich ein Produkt verkauft.

Weiterhin darf man nicht vergessen, dass Waren, die in Russland nicht mehr da sind, über Drittstaaten importiert werden, etwa Kasachstan oder Kirgisistan. Ich denke, die Verbraucher werden zunächst Waren vor allem über solche Reimporte aus Nachbarstaaten beziehen und erst später wird es neue Waren auf dem russischen Markt geben - einschließlich der chinesischen.

Werden nicht ohnehin viele Produkte in China hergestellt?

Temur Umarow: Wenn Sie jetzt in russische Supermärkte schauen, gerade bei Textilien oder Lebensmitteln, werden Sie nichts entdecken, das offensichtlich aus China stammt. Manches wird dort hergestellt, aber Marke und Etikett sind nicht chinesisch. Chinesische Marken sind hier aktuell nur bei Smartphones, Autos und Hightech vertreten. Zunächst werden inländische Ersatzprodukte auftauchen, da die Firmen hier wissen, wie der Markt läuft und was die Leute brauchen. Erst viel später werden asiatische Länder, sei es China, Indien oder andere Länder nachschauen, ob sich ihnen Marktlücken bieten.

Aber werden die Russen bis dahin überhaupt noch genug Geld für neue Anbieter haben? Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt ja seit Beginn der Militäroperation.

Temur Umarow vom Moskauer Carnegie-Zentrum

Temur Umarow: Das stimmt. Ich weiß nicht, wie stark sich das auf den Geldbeutel der Russen auswirken wird. Aber es wird auf jeden Fall nicht besser oder gleich gut sein wie vor dem 24. Februar 2022. Es wird schlechter, die Leute haben weniger Geld. Alle angesehenen Ökonomen, etwa Natalja Subarewitsch, sagen, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben wird. Das sind viele und bedeutet weniger Konsum.

Doch man sollte hier beachten, dass die chinesischen Hersteller etwa im Automobilsektor Russlands schon auf dem Markt anwesend sind und dort nicht das Segment bedienen wie Mercedes oder BMW. Sie können aber Alternativen bieten für Leute, die eigentlich einen Mittelklassewagen wollen, denen jetzt aber das nötige Geld fehlt.

Chinesische Autos sind günstiger. So wird die Entwicklung der Kaufkraft im Automobilbereich den Umstieg auf chinesische Marken noch beschleunigen. Anders sieht es etwa bei Textilien aus, wo mir keine einzige wirklich chinesische Marke einfällt, die auf dem russischen Markt jemals "im Trend" war.

Sind chinesische Zahlungssysteme geeignet, die Auswirkungen der russischen Abkopplung von SWIFT zu vermindern? Und kann über Umwege wie das chinesische UnionPay wieder die Verbindung zu Zahlungen in Europa hergestellt werden?

Temur Umarow: Wenn ein Russe auf Reisen geht und eine UnionPay-Karte hat, ist das aktuell die Rettung. UnionPay kann für die gesperrten anderen Zahlungssysteme der Ausweg sein. Das gilt aber nicht für Unternehmen. Eine juristische Person kann nicht über UnionPay bezahlen und hier ist nicht klar, wie die Zusammenarbeit mit russischen Banken laufen soll.

Wer bisher mit westlichen Geschäftspartnern gearbeitet hat, muss ganz andere Wege für Transaktionen suchen. Chinesische Banken können hier eine Hilfe sein - aber all das ist ein heikles Thema. Denn es ist nicht klar, wie die chinesischen Banken genau auf die Sanktionen des Westens reagieren werden.

Als 2014 nach den Ereignissen auf der Krim das erste groß angelegte Sanktionspaket gegen Russland in Kraft trat, folgten damals auch chinesische Banken diesen Sanktionen und weigerten sich, mit sanktionierten russischen Unternehmen zusammen zu arbeiten. Denn sie befürchteten sekundäre westliche Sanktionen.

Auch jetzt lohnt es sich nicht darauf zu hoffen, dass große Banken mit Russland kooperieren und für die Russen ein Fenster zur Weltwirtschaft werden. Alle chinesischen Banken sind stark an internationale Transaktionen gebunden und werden nicht ihr übriges Kerngeschäft opfern, um ein befreundetes Regime im Norden zu retten, das aus irgendeinem Grund selbst eine "militärische Sonderoperation" mit seinem Nachbarn entfesselt. Nur einige kleinere Finanzinstitute, die nichts mit dem Westen zu tun haben, werden eine Chance im russischen Finanzmarkt sehen.

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