Homo sovieticus – eine demokratische Meistererzählung

Angesichts des Krieges in der Ukraine können sich die Deutschen wieder aus tiefster Überzeugung für die militärische Eskalation begeistern. Dahinter steht eine Meta-Erzählung (Teil 4 und Schluss)

Ja, es ist tugendhaft, keine Feindbilder zu haben, aber man darf doch nicht so blöd sein zu denken, die Feindschaft gibt es nicht mehr

Ex-Bundespräsident Gauck im Gespräch bei Sandra Maischberger, 9.3.2022

Getrieben von der "Liebe zu den Unterdrückten" – in der Ukraine; und "wenn man Verantwortung hat für Menschen und ganze Völker"; dann gilt heutzutage: "Man muss den Homo sovieticus lesen können". Für sich kann der Ex-Bundespräsident sagen: "Es ist möglich, diesen Typus zu lesen."

Liest der Ex-Bundespräsident schon mal stellvertretend für uns alle diesen "Typus" und blickt dieser Priester der Erinnerung dabei zugleich zurück, dann hat man, entsprechend der typisch russischen Volksmentalität und Volks-Seele, "eine Geschichte des Panzersozialismus vor Augen".

Das sieht "der übersättigte Westen" offenbar nicht so ohne Weiteres, weshalb er daran erinnert werden muss. In ihrem tiefen Blick für ethnische Charaktermerkmale ist die demokratische Völkerpsychologie und Volkskunde hier beinahe schon am Ende ihrer Studien über den östlichen und den westlichen Volkscharakter angelangt. Aber noch nicht ganz.

Was die östliche Volks-Seele angeht, so ist festzustellen, dass sie einem Führer folgt, der "despotische Züge" hat. Diese despotischen Züge verdanken sich dem: dieser Führer hat "verschiedene Prägungen, die sich aus der alten kommunistischen Zeit verbinden mit einem neuen imperialen Gestus."

Das "sieht man an seinen brachialen diktatorischen Absichten und darum sind seine Nachbarn in großer Gefahr". Denn: "Die Länder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, die will er tributpflichtig machen." So ist er, der Führer der russisch-östlichen Volks-Seele, der "eine neue, imperiale Größe Russlands will." Kein Zweifel, die Gefahr ist immens:

Wir durchleben im Osten augenblicklich eine schwere militärische Belastung. Der Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent ist in diesem Winter mit einer Wucht losgebrochen, die alle menschlichen und geschichtlichen Vorstellungen in den Schatten stellt.

Goebbels, 18.Februar 1943

Wie also Putin und "seine bis an die Zähne bewaffneten Horden" (A. Melnyk, ukrainischer Botschafter, 15.2.2022) in seinem "pseudohistorischen, nationalistischen Wahn" (Steinmeier, 27.3.2022), wie "die russischen Orks" (A. Melnyk, 25.3.2022), die Putin befehligt, stoppen und "den Weltfrieden retten"? (A. Melnyk, 15.2.2022) Da gibt es die eine, zu allen Kriegszeiten bewährte Methode, das sittlich-ethische Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Bevölkerung1 daheim an das nun Notwendige zu erinnern:

Liebe junge Leute, wir sind stärker als unsere Angst es uns einredet; und wir können auch einmal frieren für die Freiheit; und wir können auch für ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger Lebensglück und Lebensfreude haben; eine generelle Delle in unserem Wohlstandleben ist etwas, was Menschen ertragen können.:Ex-Bundespräsident Gauck im Gespräch bei Sandra Maischberger, 9.3.2022

Diesem Aufruf zur sittlichen Pflicht schließt sich der gegenwärtige Bundespräsident vorbehaltlos an:

Ja, es kommen auch auf uns in Deutschland härtere Tage zu [...] Und die ganze Wahrheit ist: Viele Härten liegen erst noch vor uns.

Frank Walter Steinmeier, 27.3.2022

Es wäre doch gelacht, gelänge es nicht, das höchst "defizitäre Lebensprinzip" (Gauck2) des deutschen Volkscharakters so umzubilden, dass die Deutschen aus ihrer Charakterhaltung der defizitären "Eigenfürsorge" ausbrechen. Dann "erleben sie auch eine Erweiterung ihres Ichs, das Leben wird dann schön, obwohl es schwieriger wird; und es wird nicht so sein, dass diejenigen, die unten sind, vergessen werden."