Feindbild Journalist?

Bild: Engin_Akyurt, pixabay.com

Zu einigen aktuellen Aspekten von Medienfreiheit und Protestberichterstattung

Journalistische Arbeit weltweit, aber auch in Deutschland scheint in Zeiten wie diesen kaum leichter zu werden. Im Gegenteil: Einen weiteren erneuten Negativrekord gibt es mit Blick auf bestimmte Aspekte von Medienfreiheit laut einer aktuellen Studie des "European Centre for Press & Media Freedom" (ECPMF) in Leipzig: Dieses 2015 gegründete Zentrum versteht sich laut eigener Darstellung als eine unabhängige Non-Profit-Organisation im Geiste der 2009 von rund 50 Chefredakteuren in Hamburg verkündeten "Europäischen Charta für Pressefreiheit".

Die Anschubfinanzierung für das Zentrum kam dem ECPMF zufolge von der Europäischen Kommission, vom Freistaat Sachsen, der Stadt Leipzig und der dortigen Sparkassenstiftung. Größter Geldgeber sei bis heute weiterhin die EU-Kommission.

Die aktuelle Studie trägt den Untertitel "Hass vor der Haustür", im Vorjahr hieß sie "Alliert im Pressehass".

Erstmals hat sich an dieser Studie in ihrer nunmehr sechsten Auflage der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) beteiligt, also der offizielle Zusammenschluss der deutschen Zeitungsverlagsbranche unter ihrem Präsidenten Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden vom Springer-Verlag.

Mit 83 tätlichen Angriffen gegen Medienschaffende in Deutschland überstieg demzufolge das Jahr 2021 nochmals den bisherigen Höchststand von 2020 (damals wurden hierzulande 69 Angriffe gemeldet). 124 Medienschaffende seien davon direkt betroffen gewesen.

Die Forschenden schreiben, sie gingen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus. Als mit Abstand häufigsten Ort solcher Angriffe nennt die Studie bestimmte Demonstrationen: 75 Prozent aller Fälle ereigneten sich der Untersuchung zufolge im Zusammenhang mit Protesten gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen.

Übergreifende These scheint, dass Journalist:innen bei der öffentlich erkennbaren Ausübung ihres Berufs in Deutschland "grundsätzlich überall und jederzeit gefährdet" seien.

Das mag zugespitzt erscheinen - vor allem aber dürfte doch interessant sein, woher diese Gewalt gesellschaftlich kommt? Leider bietet die Studie dafür kaum Bezugspunkte oder Deutungsversuche, außer oberflächlich naheliegenden wie: "Die anhaltende Gewalt gegen Medienschaffende steht in eindeutigem Zusammenhang mit den sich weiter radikalisierenden (gemeint dürfte sein: "extremistischer werdenden", d. A.) pandemiebezogenen Protestbewegungen".

Auf Seite 15 der Studie wird sowohl auf das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) als auch auf das Bundesamt für Verfassungsschutz als Quellen Bezug genommen, um auf einen neuen Extremismus hinzuweisen, jenseits der gleichsam offiziell bekannten drei Extremismen "rechts, links, islamistisch".

Die entsprechenden Mobilisierungspotentiale sind laut WZB "in der politischen Mitte" zu verorten. Analytisch weitergehend ließe sich fragen nach einem etwaigen Extremismus der Mitte, nach einem entsprechenden "normativen Populismus" (aus) dieser Mitte (in dieser Hinsicht gibt es erklärungskräftige Anregungen z.B. der Soziologin Yana Milev mit Blick auf Differenzierungen gerade dieser Mitte, tendenziell in Globalisierungsgewinnende und Globalisierungsverlierende), um Ursachen für offenbar wachsende gesellschaftliche Spannungen und Spaltungen nachzuspüren.

Das passiert auch hier leider kaum. Stattdessen wird die Verfassungsschutz-Kategorie "Delegitimierung des Staates" unkritisch übernommen – ohne etwaige ältere und neuere, nicht zuletzt hausgemachte grundsätzliche "Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus", so ein Buch von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1973, auch nur anzudeuten.

Woher kommt der "Hass"?

Auf Seite 14 der Studie heißt es: "Der Hass auf die Medien wirkte von Anbeginn als vereinende ideologische Klammer der politisch heterogenen Bewegung."

"Der Hass" erscheint hier naturalisiert und in den Rang einer Naturgewalt oder anderweitig von außen kommenden Gewalt erhoben. Inwiefern diese Gewalt soziale Ursachen in der Gesellschaft hier und heute haben mag, wird kaum gefragt.

Dabei liegen Erklärungsmuster wie das seit Jahrzehnten (ca. seit dem Aufkommen des Neoliberalismus und dem Ende der Systemkonkurrenz) entwickelte Modell sozialer Desintegration des Soziologen Wilhelm Heitmeyer und seiner Kolleg:innen relativ nahe.

Nicht zuletzt dann, wenn es um "Hass" und Attacken geht – individuelle Gewalt kann soziologisch und sozialpsychologisch als eine Weise interpretiert werden, verschiedene tatsächliche oder auch gefühlte Verunsicherungen zu verarbeiten (https://smartwärts.de/heitmeyers-desintegrationskonzept).

Auf Seite 39 der Studie wird geäußert: "Die Feindseligkeiten (gegenüber Medienschaffenden, d.A.) werden von Empörungsbewegungen getragen und von deren Führungsfiguren angefacht."

Das ist nicht falsch, aber wiederum bemerkenswert oberflächlich, weil es strukturell-gesellschaftliche und nicht zuletzt etabliert-mediale Rahmenbedingungen für solche Resonanzböden in der Tendenz unterbelichtet, wenn nicht ausblendet.

Auch auf Seite 48 und damit am Ende der Studie heißt es dann, eine Minderheit habe sich weiter "entfremdet" vom politischen System, seinen Institutionen und "den Medien", was wiederum insgesamt praktisch gleichgesetzt wird mit "die Demokratie". Ein bemerkenswert enger Demokratie-Begriff, der Aspekte wie (mehr) plebiszitäre Demokratie oder gar Wirtschaftsdemokratie kaum zu kennen scheint.

Ebenso spannend auch daher aus medienkritischer Sicht, dass immer wieder pauschal "die" Medien als Ziel von Hass und Gewalt benannt werden. Als ob es nicht zumindest deutliche Differenzierungen in etablierte und, wiederum sehr verschiedene, sogenannte "alternative" Medien gäbe, sowohl auf Seiten der Produzierenden als auch seitens der Publika.

Ab Seite 22 bis 25 der Studie wird dargestellt, dass sich fast die Hälfte der dokumentierten Angriffe auf sehr wenige (vier Personen plus ein Kollektiv) Medienschaffende bezogen habe. Hier wird die Problematik des Unterscheidens zwischen journalistischer und aktivistischer Tätigkeit zumindest skizziert, mit Blick auf diese Akteur:innen.

Einige von ihnen hatten in den Vorjahren als bloggende Berichterstatter über eigene Social-Media-Kanäle ihre Fotos, Videos und überwiegend kommentierende Texte veröffentlicht. In- zwischen aber publizieren sie auch in periodisch erscheinenden Mainstream-Medien, verkaufen diesen ihr Bildmaterial oder gleich ganze Beiträge und verfügen über bundeseinheitliche Presseausweise. Das Entstehen von Querdenken und anderen pandemiebezogenen Protestinitiativen hat für diese vergleichsweise kleine Gruppe von Berichterstattern möglicherweise als Katalysator für eine journalistische Karriere gewirkt: Sie berichten dort, wo andere nicht mehr hingehen. "Die sich teils unter den Bedingungen der Corona-Proteste professionalisierten Bürgerjournalisten und Social-Media-Blogger springen dort in die Bresche, wo sonst niemand mehr berichtet", analysiert Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer dju in ver.di Berlin-Brandenburg.

Diese Passagen erweisen sich als eine Stärke dieser Studie, weil gerade diese Aspekte in etablierten Medien kaum, und erst recht kaum selbstkritisch, vermittelt werden.