Im Sturm den Friedenskurs halten

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Hamburger Erklärung der Ärzte- und Friedensorganisation IPPNW zur Gefahr eines Atomkrieges, Friedensdebatten in Kriegszeiten und Solidarität mit Opfern von Kriegen

Die deutsche Sektion der "Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) haben die Bundesregierung am Wochenende bei ihrem Jahreskongress in Hamburg dazu aufgefordert, die Anstrengungen für eine Waffenruhe in der Ukraine ins Zentrum des politischen Handelns zu stellen.

Anstatt Waffen zu liefern und aufzurüsten, müssten diplomatische Wege für einen Waffenstillstand, Friedensverhandlungen und perspektivisch eine neue pan-europäische Sicherheitsarchitektur geschaffen werden.

"Der russischen Regierung Brücken zu bauen, bedeutet kein Einverständnis mit ihrem Tun. Wir müssen vielmehr einen Ausweg aus einer Situation finden, die sonst eine europäische, wenn nicht gar eine globale atomare Eskalation zur Folge haben könnte", hieß es in der verabschiedeten Resolution, die Telepolis im Folgenden dokumentiert.


Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine trifft uns mit ungeheurer Wucht. Er mahnt uns: Vertrauen, Sicherheit und Frieden, Freiheit und Demokratie müssen immer wieder aufs Neue erarbeitet und bewahrt werden.

Friedensarbeit muss gestaltet werden, bevor der erste Schuss fällt. Jedem Ansinnen für einen angeblich neuen militärischen Zeitgeist stellen wir uns aus gutem Grund entgegen.

Selbstbewusst sagen wir: Wir sind mit unserem Anliegen nicht gescheitert. Es ist nicht zu wenig aufgerüstet worden in den vergangenen 30 Jahren seit dem Fall der Mauer. Es ist zu wenig kontrolliert, überprüfbar und nachhaltig abgerüstet worden.

Unsere Regierungen haben die historische Chance verpasst, weltweit Atomwaffen abzuschaffen, eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur zu schaffen und unsere Gesellschaften strukturell kriegsunfähig zu machen. Die aktuelle Krise ist auch das Ergebnis halbherziger Rüstungskontroll-Bestrebungen und damit des Versagens unserer eigenen Regierungen im Nato-Verbund.

Wir verurteilen Demokratieabbau und den jahrelangen Abbau von internationaler Rechtsstaatlichkeit, der Kriegen Vorschub gibt und die Rechte von Geflüchteten einschränkt. Die Demontage freier Medien und der Zivilgesellschaft in Russland ist ein besonders erschütterndes Abbild eines globalen Trends.

Diesen Entwicklungen vorangingen die Kriege u.a. in Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Jugoslawien, Georgien, Libyen und Syrien, in denen die Nato-Staaten ebenso wie Russland ihre Interessen mit brutaler Gewalt durchsetzten.

In den vergangenen Jahren erfolgte auf beiden Seiten eine Aufrüstung der Atomwaffenarsenale wie der konventionellen Waffensysteme. Diese wechselseitige Bedrohung wurde wiederum als Rechtfertigung für Aufrüstung verwendet und verstärkte bestehende Feindbilder.

Beide Seiten bagatellisierten die Völkerrechtsverletzungen der eigenen Seite und versäumten es, internationale Rechtsstrukturen sowie die UN und die OSZE zu stärken, um Kriege zu verhindern. Abrüstungsverträge wie der Raketenabwehrvertrag oder der Vertrag über atomare Mittelstreckenraketen sowie der Vertrag über den offenen Himmel als vertrauensbildende Maßnahme sind durch die USA einseitig gekündigt worden.

Aus alledem resultierte die Erosion einer internationalen Ordnung, die auf multilateralen Verträgen und dem allgemeinen Gewaltverbot der UN fußt. Dadurch ist auch einem Autokraten wie Russlands Präsident Putin ein unnötiger Vorwand geliefert worden, seine Gewaltherrschaft zu zementieren.

Selbstkritisch stellen wir fest: Als Teil der Friedensbewegung haben wir uns nicht naiv in die Irre leiten lassen mit unseren Anliegen. Aber wir haben zu wenig Menschen mobilisieren können und sind zu schwach geblieben, um die Chance für einen nachhaltigen Frieden zu erarbeiten und global durchzusetzen.

Blockübergreifend für Verhütung eines Atomkrieges

Der Krieg in Europa ist eine Mahnung, an unsere eigenen internationalen Wurzeln zu denken. Wir sind im Kern zuallererst eine internationale Friedensorganisation, die blockübergreifend für die Verhütung eines Atomkrieges arbeitet.

Wir streiten gemeinsam dafür, angesichts der unvorstellbar grausamen humanitären Folgen eines möglichen Atomwaffeneinsatzes deren Einsatz zu verhindern. Weiterhin gilt: Dies ist nur durch die kontrollierte Abschaffung aller Atomwaffen zu erreichen.

Kriege, nicht nur Atomkriege, haben weltweit verheerende Folgen für unsere Gesellschaften. In der Ukraine entsteht durch die Vielzahl von Atomreaktoren ein erheblicher zusätzlicher Gefahrenherd, der einmal mehr belegt, wie gefährlich die Atomenergienutzung ist.

Kriege fordern zahllose Tote und haben für die Überlebenden katastrophale gesundheitliche, wirtschaftliche und auch psychologische Folgen. Krieg vergiftet unsere Seelen, Krieg muss verhindert werden.

Für die Ukraine und Russland fordern wir im Sinne des Friedens von allen Beteiligten diplomatische und zivilgesellschaftliche Kontakte zu erhalten, um Lösungen im Geiste von Friedenslogik, Konfliktanalyse und zivile Konfliktbearbeitung zu ermöglichen. Unsere Politik ist damit gefordert, die Anstrengung zu verdoppeln, um eine Waffenruhe und diplomatische Wege für eine neue paneuropäische Sicherheitsarchitektur zu eröffnen.

Der russischen Regierung Brücken zu bauen, bedeutet kein Einverständnis mit ihrem Tun. Wir müssen vielmehr einen Ausweg aus einer Situation finden, die sonst eine europäische, wenn nicht gar eine globale atomare Eskalation zur Folge haben könnte.

Konkret fordern wir: