Dunkle Wolken über Nordkorea

Bild Kim Jong Un: The White House / Grafik: TP

Das Corona-Virus breitet sich rasant aus, Fronten mit Südkorea sind verhärtet, die Nuklearfähigkeiten werden ausgebaut: Nukleare Proliferation in Asien befürchtet

Im Schatten des Ukrainekrieges und fernab der internationalen Aufmerksamkeit lassen sich drei problematische Entwicklungen in Nordkorea beobachten: Covid-19-Infektionen bereiten Sorgen, die Wahl des südkoreanischen Präsidenten bedeutet eine Verhärtung der Fronten und, bestärkt durch Russlands Krieg in der Ukraine, setzt Kim Yong-uns Regierung weiter auf den Ausbau seiner Nuklearfähigkeiten, die eine Proliferation in Asien befürchten lassen.

Mitte Mai meldete die Regierung der Demokratischen Volksrepublik Korea (DPRK) die ersten Corona-Toten und setzt nun auch auf Lockdown. Mit dem Beginn der Pandemie vor nunmehr zweieinhalb Jahren hatte die Regierung in Pjöngjang versucht, das sowieso schon isolierte Land gegen Kontakte aus dem Ausland weiter abzuschotten.

Diese Strategie schien lange erfolgreich zu sein. Doch jetzt breitet sich das Virus rasant aus. Laut staatlicher Nachrichtenagentur KCNA wurden seit Ende April bis 15. Mai bei 1.213.550 Menschen Fiebersymptome diagnostiziert, inzwischen seien fast 648.630 genesen und 564.860 befinden sich in medizinischer Behandlung. Die Zahlen steigen täglich. Nur an einem Tag (am 14. Mai) sind 15 Personen gestorben.

Die staatliche Gesundheitsfürsorge versuche diese "bösartige Epidemie" einzudämmen, in dem man die Einfallstore "sorgfältig überprüfe". Dies geschieht vor allem durch Isolation der Infizierten. Nordkorea verfügt aber weder über ausreichende Kapazität für Corona-Tests, noch über Impfkapazitäten.

Die Regierung hat bislang Impfstoffangebote von China und der Weltgesundheitsorganisation WHO abgelehnt, so dass kaum jemand in Nordkorea geimpft ist. Die Tatsache, dass Kim Yong-un jetzt von "einer Katastrophe" spricht und nicht mehr davon ausgeht, dass Nordkorea durch seine Abschottung nicht von der Pandemie betroffen ist, lässt eine äußerst problematische Entwicklung befürchten. Dies hat vermutlich auch Konsequenzen für die Wirtschaft.

Ökonomische Entwicklung besorgniserregend

Die ökonomische Entwicklung des Landes ist durch die selbst gewählte Autarkie und vor allem durch die scharfen UN-Sanktionen seit langem besorgniserregend. Immer mehr hängt Nordkorea ökonomisch und politisch am Tropf Chinas.

Im Jahr 2018, nach dem ersten Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim Yon-un, hatte die nordkoreanische Regierung ihre "neue strategische Ausrichtung" verkündet, die "alles für die Wirtschaft" vorsah. Das war eine Abkehr von der Byungjin-Politik, die Wirtschaft und Militär gleichermaßen priorisierte.

Doch nach dem geplatzten zweiten US-Nordkorea-Gipfeltreffen in Hanoi 2019 setzte die Regierung Kim wieder ganz auf ihr Nuklearprogramm und betonte beim achten Parteikongress im Januar 2021 "ein neues Kapitel in den DPRK-China-Beziehungen mit Freundschaft und Sozialismus" zu eröffnen. In anderen Worten, man hoffte nicht mehr auf normalisierten Austausch mit den USA und Südkorea, sondern bemühte sich um verbesserte Beziehungen zu Beijing.

Nach fünf Jahren im Amt wurde Südkoreas Präsident Moon Ja-in im März von seinem konservativen Nachfolger Yoon Suk-yeol abgelöst. Yoon betonte während des Wahlkampfs die Unterschiede in der Nordkoreapolitik zu seinem Vorgänger.

Trotz mancher Rückschläge hatte Moon immer auf ein konstruktives Engagement gesetzt. Dagegen will der neue Präsident klare Kante zeigen. In der Realität wird sich vermutlich aber nicht viel ändern, denn de facto ist Moon mit seiner Politik der Annäherung in den innerkoreanischen Beziehungen weitgehend gescheitert. Und auch der von US-Präsident Biden 2021 angekündigte "angemessene und praktische Ansatz" hat Nordkorea nicht zurück an den Verhandlungstisch gebracht.

Trotz des UN-Verbotes hat Nordkorea noch nie so viele Raketen getestet wie in diesem Jahr. Nach eigenen Angaben gelang es am 24. März die größte ballistische Interkontinentalrakete erfolgreich zu testen. Kim Yong-un persönlich kommentierte dieses Ereignis mit den Worten:

Unsere nationalen Verteidigungsfähigkeiten werden mit starker Militärtechnologie ausgestattet sein, die jeder militärischen Bedrohung und Erpressung standhält und sich gründlich auf eine langfristige Konfrontation mit dem US-Imperialismus vorbereitet.

Drei ballistische Kurzstreckenraketen abgefeuert

Quasi zur Begrüßung des neuen südkoreanischen Präsidenten Yoon und nur fünf Tage nach einem U-Boot-gestützten Raketentest schoss Nordkorea drei ballistische Kurzstreckenraketen ab. Inzwischen addieren sich die Raketenabschüsse in diesem Jahr auf 16 Tests.

Südkoreas Beobachter des Nordens sind besorgt über die Entwicklung und verweisen auf Kim Yong-uns einflussreiche Schwester Kim Yo-jong, die Anfang April davon sprach, die nuklearen Kräfte wären dazu gedacht, "die Streitkräfte des Feindes" zu eliminieren und "zu Beginn eines Krieges die Initiative zu ergreifen". Und staatliche nordkoreanische Medien wie Rodong Sinmun kommentierten, dass taktische Nuklearwaffen entwickelt würden, um die Feuerkraft weitreichender Artillerie an der Grenze drastisch zu erhöhen und zu diversifizieren.

Nordkoreas Nuklearstrategie

Dass Nordkoreas Nuklearstrategie jetzt aggressiver propagiert wird, ist vermutlich auch Ausfluss von Russlands Krieg in der Ukraine. Im Schatten der internationalen Aufmerksamkeit wegen des Krieges in Europa, scheint Nordkorea sein Verhältnis zu den Großmächten neu zu sortieren.

Bekanntlich gehörte Nordkorea zu den wenigen Ländern, die Russlands Position bei den Vereinten Nationen stützte. Man hofft jetzt in Pjöngjang, dass Russland in Zukunft im UN-Sicherheitsrat mit seiner Vetomacht klarer gegen Sanktionen vorgeht, die Nordkorea betreffen.

Aber die nordkoreanische Führung traut weder Russland noch China wirklich. Ihre Bedrohungsängste und Sorgen vor militärischen Aggressionen haben sich weiterhin verstärkt. In Pjöngjang wird vermutlich ebenso wie mancherorts im Westen davon ausgegangen, dass Russland die Ukraine nicht angegriffen hätte, wenn sie Mitglied der Nato gewesen wäre und damit über Beistandsgarantien, einschließlich nuklearem Schutz, verfügt hätte.

Chinas Zurückhaltung in seiner Unterstützung für Russlands Krieg führt zu Zweifeln bei den Machthabern in Pjöngjang. Obwohl China der einzige substanzielle verbliebene politische und ideologische Verbündete Russlands ist, hat die Regierung Xi Jinping bislang keine militärische Unterstützung für Russland geleistet.

Kann sich Kim Yong-un in Zukunft auf China verlassen? Bietet der seit 1961 bestehende Freundschaftsvertrag, der 2021 verlängert wurde, ausreichend Schutz? Schon während der sogenannten Sechs-Parteien-Verhandlungen zwischen den USA, China, Russland, Japan, Nord- und Südkorea in den 2000er Jahren, hat China UN-Sanktionen gegen Nordkorea (wenn auch halbherzig) zugestimmt.

Derartige Überlegungen sind vermutlich Anlass für die weitere Stärkung des nordkoreanischen Nukleararsenals, aber auch für eine Annäherung Nordkoreas an Russland, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Russlands indirekten Drohungen, gegebenenfalls Atomwaffen einsetzen zu wollen, verstärken in Nordkorea die Auffassung, dass letztlich nur Atomwaffen die eigene Sicherheit garantieren können.

Sowohl Russlands wiederholte Hinweise auf die eigenen Nuklearwaffen als auch Nordkoreas Raketentests und aggressiv vorgetragene Nuklearstrategie mehren abermals die Befürchtungen über eine mögliche nukleare Proliferation in Asien.

Bereits im Februar hat der frühere japanische Premierminister Shinzo Abo eine nukleare Teilhabe mit den USA ins Gespräch gebracht, wie sie die USA seit Jahrzehnten mit europäischen Nato-Ländern praktizieren. Und Südkorea, unter einer konservativen Präsidentschaft, wird möglicherweise ebenso auf eine erneute Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Südkorea drängen.