Chomsky: Wir müssen insistieren, dass ein Atomkrieg eine undenkbare Politik ist

Gefährliches Experiment: US-Dissident Noam Chomsky warnt vor den Gefahren, Diplomatie im Ukraine-Krieg auszuschließen und ausschließlich auf Waffengewalt zu setzen. Bild: pxHere / CC0 Public Domain

Es müssen friedliche Wege der Konfliktlösung im Ukrainekrieg gesucht werden. Doch die USA setzen auf militärischen Sieg. Europa macht mit. Ein gefährliches Spiel mit dem Atomkriegsfeuer, sagt Noam Chomsky (Teil 1)

Der Krieg in der Ukraine geht nun schon in den vierten Monat, aber eine Waffenruhe oder eine Lösung ist nicht in Sicht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen Waffenstillstand oder Zugeständnisse ausgeschlossen, behauptet aber, dass nur Diplomatie den Krieg beenden kann.

In der Zwischenzeit versuchen die russischen Streitkräfte, die Ostukraine zu erobern, während die Vereinigten Staaten die Regierung Selenskyj so lange militärisch unterstützen, wie es nötig ist, um Russland zu schwächen, in der Hoffnung, dass es zu einem Regimewechsel in Moskau kommt.

Diese Entwicklungen verheißen nichts Gutes, weder für die Ukraine noch für die Welt insgesamt, meint Noam Chomsky. In diesem neuen und exklusiven Interview fordert Chomsky die Kräfte, die in der Lage sind, den Krieg zu beenden, auf, ihre Energie darauf zu verwenden, konstruktive Wege zu finden, um den sich entfaltenden Tragödien Einhalt zu gebieten.

Chomsky ist Institutsprofessor, Professor für Linguistik am MIT und derzeit Professor an der Universität von Arizona. Er hat rund 150 Bücher in den Bereichen Linguistik, politisches und soziales Denken, politische Ökonomie, Medienwissenschaft, US-Außenpolitik und internationale Angelegenheiten veröffentlicht.

Das Interview führt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou.

Der zweite Teil des Interviews erscheint in wenigen Tagen. Darin geht Chomsky auf die neue und extrem gefährliche globale Ordnung ein. Das Interview erschien zuerst auf der Nachrichtenseite Truthout.

Nach monatelangen Kämpfen gibt es immer noch wenig Hoffnung auf Frieden in der Ukraine. Russland konzentriert seine Bemühungen nun darauf, die Kontrolle über den Osten und den Süden des Landes zu übernehmen, um sie wahrscheinlich in die Russische Föderation einzugliedern, während der Westen signalisiert hat, dass er die militärische Unterstützung für die Ukraine verstärken wird. Angesichts dieser Entwicklungen haben ukrainische Beamte einen Waffenstillstand oder Zugeständnisse an Moskau ausgeschlossen, obwohl Präsident Wolodymyr Selenskyj ebenfalls zu Protokoll gab, dass nur die Diplomatie den Krieg beenden kann. Heben sich diese beiden Positionen nicht gegenseitig auf? Beinhaltet ein für beide Seiten akzeptables Abkommen zur Beendigung eines Krieges nicht immer auch Zugeständnisse? Bereits im März hatte die ukrainische Regierung signalisiert, dass sie zu großen Zugeständnissen bereit sei, um den Krieg zu beenden. Was also ist hier los? Könnte es sein, dass keine der beiden Seiten wirklich an einem Frieden interessiert ist?

Noam Chomsky: Ich werde auf die Fragen zurückkommen, aber wir sollten uns genau überlegen, was auf dem Spiel steht. Der Preis dafür ist sehr hoch. Er geht weit über die Ukraine hinaus, so verzweifelt und tragisch die Situation dort auch ist. Jeder, der auch nur einen Funken Moral in sich trägt, wird die Fragen sorgfältig durchdenken wollen, ohne heldenhaftes Getue.

Lassen Sie uns überlegen, was auf dem Spiel steht.

An erster Stelle steht natürlich Putins Einmarsch in die Ukraine, ein Verbrechen (um es noch einmal zu wiederholen), das mit dem Einmarsch der USA in den Irak oder dem Einmarsch Hitlers und Stalins in Polen verglichen werden kann. Eine Art von Verbrechen gegen den Frieden, für die Nazi-Kriegsverbrecher gehängt wurden – obwohl in dem, was wir "Zivilisation" nennen, nur die Besiegten bestraft werden. In der Ukraine selbst wird es einen schrecklichen Tribut geben, solange der Krieg andauert.

Die Folgen sind weitreichend und wirklich erschreckend. Das ist keine Übertreibung.

Eine davon ist, dass zig Millionen Menschen in Asien, Afrika und dem Nahen Osten buchstäblich vor dem Verhungern stehen, während der Krieg weitergeht und die dringend benötigten landwirtschaftlichen Lieferungen aus der Schwarzmeerregion versiegen.

Diese Region bildet den Hauptlieferanten für viele Länder, einschließlich einiger, die bereits vor einer völligen Katastrophe stehen, wie Jemen. Wir werden darauf zurückkommen, wie das gehandhabt wird.