Wollen wir wirklich die maximale Katastrophe?

Donau-Hochwasser in Ulm 2017. Bild: pxhere / Public Domain

Wir leben in einer Phase von Krisen-Eskalationen. Wird nichts dagegen getan, droht langfristig der Kollaps. Welche Rolle spielen vor diesem Szenario Energiekrise, Inflation und Ukraine-Krieg?

Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit der 1920er und 1930er drängen sich förmlich auf, trotz aller Unterschiede. Auch damals kam es zu sozialen und politischen Umwälzungen, während nationalistische Kriegshysterie den Weltfrieden untergrub.

Auch damals schwankten die Gesellschaften in den USA und Europa zwischen Fortschritt und Reaktion, wobei das staatskapitalistische System von innen heraus zu implodieren drohte. Europa ging schließlich unter im Faschismus, während in den USA Arbeiterbewegungen eine sozialdemokratische Stabilisierung erringen konnten.

Hundert Jahre später scheint sich die Situation zum Teil umgekehrt zu haben. In Europa hält man (noch) an einigen Aspekten der Sozialdemokratie fest, während der Trumpismus die Gefahr des Proto-Faschismus hervorruft.

Aber auch in Europa wird die Lage zunehmend instabil. Die sozialen Schieflagen sind immer deutlicher zu spüren. Die Ungleichheit ist im Zuge neoliberaler Politiken in den letzten Jahrzehnten angewachsen. Durchlauferhitzt wurde diese Tendenz durch die Weltfinanzkrise 2008, bei der Bankencrashs das an sich schon morsche Eurozonen-Gebäude in den Fundamenten erschütterten.

Die politische Reaktion darauf beförderte soziale Spaltungen und verlief nach dem altbekannten Nanny-State-Motto: Gewinne privatisieren, Verluste und Schäden sozialisieren. Während Banken und die, die über große Finanzvermögen verfügen, gerettet wurden, sorgten Spardiktate unter deutscher Führung dafür, dass viele Europäer:innen den Gürtel enger schnallen mussten. Der Troika-Angriff auf den Wohlfahrtsstaat vergrößerte wie prognostiziert Armut in der Union, vernichtete wirtschaftliche Entwicklung und eliminierte Jobs in betroffenen Ländern und Regionen.

Ein Studie des Investmentmonitors "Europe’s growing inequality problem" kommt nach der Covid-19-Pandemie, aber noch vor dem Ukraine-Krieg im Januar diesen Jahres zu dem Ergebnis:

Von Einkommensunterschieden bis hin zur Energiearmut – die sozioökonomische Ungleichheit in Europa ist weit verbreitet, und die Daten zeigen, dass die Situation in Süd- und Osteuropa am prekärsten ist.

In Griechenland haben danach fast 40 Prozent der Haushalte Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen. In süd- und osteuropäischen Ländern können viele Bürger:innen ihre Wohnungen nicht angemessen beheizen (40 Prozent der Bevölkerung in Bulgarien z.B. schon vor der Energiekrise), haben nur unzureichende Mittel, sich zu ernähren (im Kosovo über 60 und in der Slowakei noch 15 Prozent) oder leben ohne Computer, weil sie ihn sich nicht leisten können (fast 50 Prozent in Albanien, 21 Prozent in Kosovo, 12 bis 15 Prozent in Nordmazedonien, Bulgarien, Rumänien, Serbien und der Türkei).

Diese und viele andere Facetten von Armut und Unterversorgung in Europa werden sich im Zuge der gegenwärtigen Inflations- und Energiekrise intensivieren, gerade dort, wo die Not bereits jetzt schon sehr hoch ist.

Angesicht der unfairen Politik fühlen sich viele Menschen in ihren Ländern abgekoppelt, vernachlässigt, betrogen und allein gelassen mit ihren Sorgen. Das kann Autoritarismus befördern, wie in Ungarn und anderswo zu beobachten. In den USA wird sich zeigen, ob Trump oder ein Trump-2.0-Republikaner wie Ron DeSantis wieder an die Macht gelangen kann, mit allen Folgen, die das für Demokratie, sozialen und Weltfrieden im mächtigsten Staat der Erde bedeutet.

Das Unbehagen an der Gesellschaft und das Gefühl der Verunsicherung dringen zugleich immer tiefer ins öffentliche Bewusstsein. So halten laut einer aktuellen US-Umfrage mehr als zwei Fünftel der Amerikaner einen Bürgerkrieg in den nächsten zehn Jahren für einigermaßen wahrscheinlich – eine Zahl, die sich bei den überzeugten Republikaner-Anhängern auf mehr als die Hälfte erhöht. Während dessen prophezeit der Senator von South Carolina Lindsey Graham "Unruhen auf den Straßen", falls Trump wegen der Aufbewahrung von geheimen Dokumenten nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus angeklagt werden sollte.