Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali in Äthiopien: Bomben gegen den Frieden

Zerstörte WFP-Nahrungsmittellager im Lager Shimelba, West-Tigray, Ende 2021. Bild: sites.tufts.edu

Friedensofferte aus Tigray. Großangelegte militärische Offensive des "Friedensnobelpreisträgers" Abiy Ahmed Ali. Was motiviert die Führung in Addis Adeba?

Seit Ende August dieses Jahres ist der rund fünf Monate währende Waffenstillstand zwischen der Regierung von Tigray und der äthiopischen Zentralregierung faktisch beendet. Damit hielt der sogenannte "humanitäre Waffenstillstand" nur knapp ein halbes Jahr.

Die äthiopische Armee und ihre Verbündeten sind zuletzt mit starken Kräften im Westen, Süden, Norden und Osten von Tigray aufmarschiert und haben begonnen, Ziele in Tigray zu bombardieren. Dabei wurden offensichtlich auch zivile Opfer in Kauf genommen: Bei einem Angriff auf einen Kindergarten in Tigrays Hauptstadt Mekelle starben Kinder, auch zivile Ziele in der Umgebung eines Krankenhauses wurden bombardiert. Bei einem anderen Angriff wurden Menschen getötet, die Verletzten helfen wollten.

Allem Anschein nach hat das Bündnis aus äthiopischer Regierung, nationalistischen Amhara Milizen und eritreischen Kräften den Waffenstillstand genutzt, um ihre angeschlagenen Kräfte zu reorganisieren und aufzubauen. Im Moment sieht alles nach einer großangelegten und konzertierten Offensive aus, die mit allen Mitteln und von allen Seiten jeglichen Widerstand in Tigray brechen soll.

Bisher sind trotz Großoffensive lediglich im Norden an der Grenze zu Eritrea einige Geländegewinne durch die Zentralregierung und ihre Verbündeten gelungen. Allerdings deutet einiges auf eine Generalmobilmachung in Eritrea hin, bei der alle Reservisten unter 55 Jahren zu den Waffen gerufen werden. Die Offensive startete kurz nachdem die Regierung Tigrays einen Vorschlag für Friedensgespräche unter Vermittlung der Afrikanischen Union (AU) unterbreitet hatte. In der Vergangenheit hatte die Regierung Tigrays die AU als Vermittler abgelehnt, weil sie als parteiisch angesehen wurde.

Offensive an allen Fronten

Abiy Ahmed Ali und seine Verbündeten sind mit starken Kräften an allen Grenzen des Bundeslandes Tigray aufmarschiert und versuchen nach Tigray vorzudringen. Angesichts der Dimension der Mobilisierung gilt es als wahrscheinlich, dass versucht werden soll – ähnlich wie 2020 – bis nach Mekelle vorzustoßen.

Während Abiy Ahmed Ali im Norden unter Beteiligung eritreischer Truppen nach Tigray einmarschierte und die Stadt Shiraro einnahm, gelang es der TDF (Tigray Defense Force) im Süden eine erfolgreiche Gegenoffensive zu starten, in das Bundesland Amhara vorzurücken und um Kobo und Sekota die Truppen der Amhara-Milizen und der Zentralregierung zurückzudrängen. An der Grenze zum besetzten Westtigray und im Osten vom benachbarten Bundesland Afar aus sind bisher Kämpfe, jedoch keine Geländegewinne zu verzeichnen.

Beide Seiten haben militärisch ihre Stärken und Schwächen. Abiy Ahmed Ali setzt auf eine Massenmobilisierung schnell ausgebildeter Rekruten. Selbst wenn viele seiner Soldaten getötet werden oder in Gefangenschaft geraten, dürfte ihm der Nachschub nicht so schnell ausgehen. Das zeigt schon ein Blick auf die Bevölkerungszahlen der Kontrahenten. Von den etwa 115 Millionen Einwohnern Äthiopiens leben nur rund sechs Millionen Menschen in Tigray.

Im Hinblick auf die Bewaffnung sind die Armeen der äthiopischen Zentralregierung bei den schweren Waffen der TDF um ein Vielfaches überlegen. Die waffentechnische Überlegenheit dürfte sich in der Zeit des Waffenstillstandes noch mal deutlich verschärft haben, da Tigray durch die umfassende Blockade kaum in der Lage war, Waffen zu kaufen.

Abiy Ahmed Ali konnte hingegen bei seinen arabischen Verbündeten, der Türkei und China die Waffenarsenale aufstocken. Der Luftwaffe hat die TDF technisch nichts entgegenzusetzen.

Allerdings ist immer wieder zu beobachten, dass die Soldaten der Zentralarmee schlecht ausgebildet, wenig motiviert sind und sich oft ohne große Gegenwehr ergeben. Dadurch erklären sich die Bilder von tausenden Kriegsgefangenen durch die TDF.

Ähnlich wie in der ersten Phase des Bürgerkrieges können die eher leicht bewaffneten Einheiten der TDF ihre Stärke eher in gebirgigem Terrain ausspielen, während schwere Waffen, Luftangriffe sowie schiere zahlenmäßige Überlegenheit auf Seiten Abiy Ahmed Alis vor allem in Ebene zum Tragen kommen.

Welchen Verlauf die gerade begonnene Offensive nehmen wird, lässt sich momentan schwer prognostizieren.

Was ist der Hintergrund des Konfliktes?

Von 1991 bis 2018 war Äthiopien von einem Bündnis verschiedener politischer Kräfte unter Führung der TPLF (Tigray People's Liberation Front) regiert worden. Eritrea wurde in dieser Zeit nach einem Referendum friedlich in die Unabhängigkeit entlassen.

Die in dieser Zeit entwickelte äthiopische Verfassung hatte – anders als vorher – einen stark föderalen Charakter. Die Bundesstaaten bekamen weitgehende Selbstverwaltungsrechte – bis hin zu dem Recht sich nach einem Referendum der eigenen Bevölkerung einseitig vom Zentralstaat zu lösen.

Dieses lange Zeit regierenden Bündnis können eine Reihe von Erfolgen zugeschrieben werden. So wuchs die Wirtschaft – überproportional zur Bevölkerungsentwicklung – in der Regel zweistellig pro Jahr, vormals von einer amharisch dominierten Zentralregierung unterdrückte Ethnien bekamen erstmals die Möglichkeit der politischen und kulturellen Teilhabe, Äthiopien konnte außenpolitisch weitgehend eine Unabhängigkeit von den konkurrierenden Weltmächten bewahren und schützte wichtige Wirtschaftszweige vor ausländischer Übernahme. Letzteres war vor allem den USA ein Dorn im Auge und ein Hintergrund für die starke Unterstützung von Abiy Ahmed Ali bei Amtsantritt.

Trotz erfolgreicher wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung schwelten ethnische Konflikte – u.a. mit amharischen Nationalisten, die der alten Vormachtstellung nachtrauerten – und eskalierten nach dem Tod von Meles Zenawi, dem langjährigen Regierungschef Äthiopiens. Unter Ausnutzung dieser Spannungen konnte Abiy Ahmed Ali – eigentlich Teil des alten Machtapparates und Geheimdienstler – an die Macht gelangen.

Er stützte sich vor allem auf Teile der Oromo sowie auf amharische Kräfte und sah die TPLF als gut organisierte Kraft als Hindernis auf dem Weg zu Macht und Dominanz. Abiy Ahmed Ali strebte zudem einen starken zentralistischen Staat an. Anders als die TPLF wollte er die Eigenständigkeit der Bundesstaaten und den Föderalismus beschneiden.

Anfangs noch mit demokratischer Attitüde angetreten, nahm der Staat in Äthiopien schnell autokratische Züge an. Politische Gegner wurden inhaftiert, Journalisten verfolgt und Wahlen auf einen Zeitpunkt verschoben, zu dem man oppositionelle Kräfte weitgehend neutralisiert hatte. Abiy Ahmed Alis neu gegründete sogenannte Wohlstandspartei (Prosperity Party, PP) dominierte fortan auch die Regionen und Bundesstaaten.

Nur in Tigray gelang es Abiy nicht Fuß zu fassen, und die TPLF stellte weiterhin die Regierung des Bundeslandes Tigray. Die TPLF hatte es sich nicht nehmen lassen – trotz Verbot der Regierung Abiy Ahmed - in Tigray Wahlen abzuhalten.

Anders als Abiy Ahmed Ali hielt sich die TPLF damit an die äthiopische Verfassung, die Wahlen – sowohl auf Bundesebene als auch in den Bundesstaaten – zwingend bis spätestens August 2020 vorsah. Bereits vorher drohte Abiy Ahmed Ali mit einer militärischen Intervention in Tigray.

Gefeiert wurde Abiy Ahmed Ali international vor allem wegen eines "Friedensvertrages" mit dem langjährigen Erzfeind Eritrea, auch wenn in der Folge immer deutlicher wurde, dass dieser "Friedensvertrag" eigentlich ein Kriegsvertrag war, mit dessen Hilfe der gemeinsame Feind Tigray und die TPLF besiegt werden sollten.

Während der Besetzung Tigrays durch äthiopische und eritreische Truppen sowie amharische Nationalisten wurden von den Besatzern alle denkbaren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen: Massenvergewaltigungen, Hinrichtungen von Zivilisten, Plünderungen und Zerstörung von Ernten und Infrastruktur.

Auch nachdem Kräfte der TDF die Invasoren aus weiten Teilen Tigrays vertrieben hatten, wurde systematisch Hunger als Waffe eingesetzt, um jeglichen Widerstandswillen zu brechen.

Tigray wurde von allen Seiten blockiert, um das Gebiet von jeglicher Kommunikation, unabhängiger Berichterstattung, allen Bankdienstleistungen, Stromversorgung, Internet und von der Belieferung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff abzuschneiden. Die Menschen in Tigray hungern und Hunderttausende Einwohner sind unmittelbar vom Hungertod bedroht

Wenn für die Einstufung eines Konfliktes und für das Vorgehen gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe die Bezeichnung Genozid angemessen ist, dann für den seit fast zwei Jahren andauernden Krieg gegen Tigray.

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