Chipindustrie – Wem nutzt Geopolitik?

Technologieführerschaft des Westens und Beschränkungen von Exporten: Der Versuch, China wirtschaftlich zu isolieren, trifft auch deutsche Unternehmen. Die von der "Entkopplung" betroffenen Unternehmen zeigen sich erstaunlich fügsam. Warum?

Wenn es um Halbleiter geht, werden Regierungsvertreter zu Globalisierungskritikern. Die US-Regierung will China politisch und wirtschaftlich isolieren und eigene Fertigungskapazitäten aufbauen. Manchen Unternehmen bringt das Vorteile, während andere ihr bisheriges Geschäftsmodell verlieren.

Die US-Regierung will das Land von China unabhängig machen. In keinem anderen Bereich sind die Bemühungen um eine "Entkopplung" (decoupling) so deutlich und eindeutig wie bei den Hochtechnologien, insbesondere in den (angeblichen) Zukunftsfeldern Batterietechnik und Hochleistungschips.

Mittlerweile kommen Berichte über entsprechende Handelsbeschränkungen beinah im Wochentakt. Der jüngste betrifft Nvidia, den Marktführer im Bereich Grafikkarten. Die amerikanischen Behörden untersagten Anfang September die Ausfuhr von Chips nach China. Bereits bestellte Ware im Wert von 400 Millionen US-Dollar kann das Unternehmen nicht mehr ausliefern.

Begründet wird die Entscheidung damit, das Geschäft bedrohe die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten, denn sie könnten "von militärischen Endnutzern" eingesetzt werden. Aber bei der Entkopplung von China geht es nicht nur um militärische Aufrüstung, nicht einmal in erster Linie. In dem Abschlussbericht der "Kommission für die Nationale Sicherheit in der Künstlichen Intelligenz" (NSCAI) aus dem Jahr 2021 ist zu lesen:

Die technologische Dominanz Amerikas – das Rückgrat seiner ökonomischen und militärischen Macht – ist zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg bedroht. China hat die Macht, das Talent und die Ambition, die Vereinigten Staaten im kommenden Jahrzehnt als Weltführer im Bereich KI abzulösen.

Die Kommission beschäftigte sich nicht nur mit KI im engen Sinn ("Maschinelles Lernen" und so weiter). Avancierte Computertechnik ist sowohl militärisch als auch ökonomisch wichtig, sie steht sinnbildlich für Technologieführerschaft.

Das Beratergremium forderte, die USA müssten "im Bereich der jüngsten Mikroelektronik einen Vorsprung von zwei Generationen gegenüber China sichern und verschiedene Hersteller für die modernste Mikroelektronik im Land halten". Zu diesem Zweck empfahl die Kommission der Regierung, den technologischen Vorsprung mit Handelsbeschränkungen zu verteidigen:

Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sollten gezielte Exportkontrollen für High-End-Equipment für die Halbleiterfertigung nutzen, um die bestehenden technischen Vorteile zu sichern und den Fortschritt der chinesischen Halbleiterindustrie zu verlangsamen.

Eben diese Strategie setzen die USA gegenwärtig um. Im Juli informierte das Handelsministerium Firmen, die Anlagen für die Chipfertigung herstellen, darüber, dass künftig Exporte nach China untersagt sind. Zu ihnen gehören Chipdesigner wie Cadence und Synopsis, der Hersteller von Chipdesign-Software Mentor Graphics und die Anlagenbauer Lam Research, KLA und Applied Materials.

Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz zur Förderung der heimischen Halbleiterindustrie, der "Chips Act", verspricht Unternehmen hohe Subventionen, verpflichtet aber die Empfänger gleichzeitig, keine neue Fabriken in China zu eröffnen, bestehende Produktionsstätten nicht zu modernisieren und die dortigen Kapazitäten nicht auszuweiten.

Die staatlich verordnete Entkopplung erstreckt sich auch auf die Wissenschaft: Etwa 200 Milliarden US-Dollar werden für Forschung in den Bereichen Robotik, Halbleiter und Informatik bereitgestellt. Im Gegenzug müssen sich die Universitäten verpflichten, keine Beziehungen zu chinesischen Wissenschaftlern und Hochschulen zu unterhalten.

Ziehen die Verbündeten mit?

Auch Unternehmen in verbündeten Staaten sollen ihre Exporte einstellen. Bei seinem Besuch in den Niederlanden im Mai brachte der Handelsbeauftragte der Biden-Regierung den Wunsch zum Ausdruck, die bereits bestehenden Exportbeschränkungen zu verschärfen.

Dies zielt auf die Firma ASML, den einzigen Hersteller der neusten Generation der Halbleiter-Lithographie. Sie nutzt extrem kurze Wellenlängen zwischen fünf und 124 Nanometern (extrem ultravioletter Strahlung, EUV), um die winzigen Strukturen von Hochleistungschips herzustellen. Weil diese Technologie auch für militärische Zwecke eingesetzt wird (dual use), gelten Exportbeschränkungen entsprechend der Wassenaar-Liste.

Der aktuelle Streit um ASML bezieht sich aber nicht auf die neuste Generation, sondern auf die vorherige: Fotolithographie im Spektrum zwischen 193 und 248 Nanometern, (deep ultraviolet, DUV). Der Hintergrund sind Befürchtungen, dass es den Chinesen gelingen könnte, auch mit DUV-Technik Hochleistungschips herstellen.

Die entsprechenden Maschinen durfte ASML bisher nach China verkaufen, und das Geschäft mit DUV-Anlagen ist deutlich wichtiger als mit EUV-Technik. Laut Bloomberg kamen im Jahr 2021 knapp 15 Prozent des ASML-Umsatzes von chinesischen Kunden.

Durch das offensive Vorgehen der Amerikaner gerät die niederländische Regierung in eine schwierige, in gewisser Weise peinliche Lage. Sie darf nicht den Eindruck erwecken, ein bloßer Befehlsempfänger zu sein, aber kann den Wunsch des führenden Verbündeten auch nicht zurückweisen.

Die Frage berührt die Souveränität des Landes und gleichzeitig die Interessen eines technologisch und wirtschaftlich führenden Unternehmens, und sie hat das Potenzial, zum Präzedenzfall zu werden. Im Juli äußerte sich der Außenminister Wopke Hoekstra mit maximaler Vagheit:

Alles, was ich dazu sagen kann: Es macht immer Sinn, sich mit Freunden zu beraten, wenn bestimmte Güter weltweit strategische Bedeutung und Folgen haben.

Der Versuch, China wirtschaftlich zu isolieren, trifft auch deutsche Unternehmen wie Trumpf und Zeiss, strategische Partner von ASML. Auch die erwähnten Mentor Graphics befinden sich im Besitz von Siemens.

Aber die betroffenen Unternehmen zeigen sich erstaunlich fügsam oder scheuen wenigstens einen öffentlichen Streit, obwohl ihnen teilweise erhebliche Marktanteile abhanden kommen. Geopolitik siegt über kommerzielle Interessen – oder doch nicht?