"Ich möchte keine Russen sehen" ist salonfähig

Hat jemand Russen gesehen? Symbolbild: Jcornelius / CC-BY-SA-3.0-migrated

Mediensplitter (7): Negative Pauschalaussagen über Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern sind in Medien außerhalb des ultrarechten Spektrums eigentlich verpönt. Mit einer Ausnahme. Für Russen gelten andere Regeln.

Meinungsartikel mit Überschriften wie "Ich möchte keine Syrer sehen" und Aussagen wie "Ich möchte keine arabischen Männer auf den Straßen Berlins sehen oder mit ihnen in der gleichen U-Bahn fahren" wären 2015 oder 2016 sicher nicht in Zeitungen des bürgerlich-demokratischen Spektrums erschienen. Ganz unabhängig von der Herkunft der Person, die sie geschrieben hat.

Einer traumatisierten jesidischen Kurdin wäre ein solches Empfinden vielleicht stillschweigend zugestanden worden, aber gedruckt hätte eine Zeitung wie der Tagesspiegel solche Artikel damals sicher nicht. So etwas geht auch heute nur mit Russen, wenn es eine Ukrainerin schreibt.

"Ich möchte keine Russen sehen" stand am Dienstag als Überschrift auf der Meinungsseite des gedruckten Tagesspiegels – geschrieben von einer Ukrainerin, die Angehörige im Kriegsgebiet hat. Natürlich kann ihr kein Mensch, dessen Familie in Sicherheit ist, vorwerfen, zu wütend, subjektiv und emotional zu sein.

Allerdings wird sie auch als Journalistin vorgestellt und der Artikel ist in einem journalistischen Medium erschienen, das im Fall anderer Nationalitäten vorsichtiger gewesen wäre. Egal, was ein Teil der Angehörigen dieser Nationalitäten sich in kriegerischen Konflikten leistet.

"Ich möchte keine russischen Männer auf den Straßen Berlins sehen oder mit ihnen in der gleichen U-Bahn fahren", steht da schwarz auf weiß. Wäre hier eine andere Nationalität genannt worden, hätte so etwas eher im Compact-Magazin oder der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme stehen können. Aber im Fall der Russen ist es salonfähig.

Visavergabe ja, vorurteilsfreie Behandlung, nein?

Fairerweise muss erwähnt werden, dass die Autorin trotzdem für die Ausstellung von Visa für russische Staatsbürger ist, weil sie glaubt, "dass jedes Visum für einen Wehrdienstflüchtigen Leben rettet – sowohl auf ukrainischer wie auf russischer Seite".

Allerdings schreibt sie pauschal negativ über "die Flüchtlinge aus Russland" – nicht über "einige" oder "manche" – was die Redaktion offenbar nicht störte. "Die Flüchtlinge aus Russland werden uns Flüchtlingen aus der Ukraine mit Verachtung begegnen", meint sie zu wissen.

Dabei liest sich der ganze Artikel im Grunde wie ein Plädoyer dafür, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft Russen mit Verachtung begegnen soll, weil sie ins Ausland fliehen "statt in ihrem eigenen Land zu protestieren". Das entspricht der Stimmungsmache des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, der erklärtermaßen gegen die Aufnahme der Verweigerer ist und damit das Asylrecht im klassischen Sinn in Frage stellt.

Nach Meinung der Autorin dürfen sie zwar kommen, aber mit ihnen in der gleichen U-Bahn zu sitzen, ist eine Zumutung. Den jetzt von der Mobilmachung betroffenen Russen wirft sie vor, während des Krieges bisher zu unbekümmert gewesen zu sein und in "sozialen Netzwerken" Fotos aus der Disco veröffentlicht zu haben. Letzteres ist wahrscheinlich auch eine Frage der "Bubble".

Im Fall der "Flüchtlingskrise" von 2015 wurde jedenfalls in Medien außerhalb des ultrarechten Spektrums in Deutschland nicht behauptet oder der Eindruck erweckt, dass die große Mehrheit der Geflüchteten aus Syrien kein Problem mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) oder dem "Diktator Assad" habe und nur geflohen sei, um nicht selbst bei Kampfhandlungen zu sterben.

Der Makel, ganz "unpolitisch" am eigenen Leben zu hängen

Was die Gesinnung der Geflüchteten anging, galt in der bürgerlich-demokratischen Presse die Unschuldsvermutung – und es galt auch als legitim, ganz "unpolitisch" am eigenen Leben zu hängen.

Gegen den IS zu kämpfen, galt zwar als ehrenhaft, aber es gab auch großes Verständnis für Männer, die das nicht in Assads Armee tun wollten. Die "moderaten" islamischen Rebellen wollte man sich lieber gar nicht so genau ansehen, weil sie zwar gegen Assad, aber keineswegs für eine säkulare Demokratie kämpften; und wer den säkularen Anti-IS-Kampf der syrisch-kurdischen Volksverteidigungskräfte unterstützte, stand für den Geschmack deutscher Behörden der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) viel zu nahe. Wer hätte da in Deutschland einen "Königsweg" vorschlagen können, in Syrien für die gute Sache einzustehen?

Nach den sexuellen Übergriffen in der "Kölner Silvesternacht" mit Tatverdächtigen, die überwiegend aus dem Nahen und Mittleren Osten stammten, wurden in Zeitungen wie dem Tagesspiegel die Worte sorgfältig abgewogen. Ein Generalverdacht und eine rassistische Instrumentalisierung der Vorfälle sollten unbedingt vermieden werden.

Im Fall russischer Männer, die sich dem Kriegsdienst entziehen, gibt es diese Hemmschwelle auch ohne eine "Kölner Silvesternacht" nicht. In ihrem Fall darf es ruhig den Generalverdacht geben, dass sie nur zu feige sind, selbst im Ukraine-Krieg zu sterben, aber in der Regel eine feindselige Einstellung gegenüber Menschen aus der Ukraine haben. Das passt auch zur endgültigen Entsorgung der deutschen Vergangenheit.

Einen Königsweg, für die gute Sache einzustehen, gibt es aber wohl gerade in Russland nicht. Da eine starke organisierte Bewegung fehlt, der sich die Verweigerer anschließen können, kommt es neben der Fluchtbewegung eher zu Verzweiflungstaten junger Männer, die nicht in den Krieg ziehen wollen. Berichtet wird unter anderem über den Suizid eines 27-jährigen Rappers, der "seine Seele nicht mit der Sünde des Mordens belasten" wollte.

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