Indizien für türkischen Einsatz verbotener Chemiewaffen

Jan van Aken (2. v. l.) und Josef Savary (3. v. l.) auf einer Pressekonferenz Ende September in Silêmanî. Foto: ANF

IPPNW-Bericht: Experten fanden auf Reise in den Nordirak indirekte Hinweise auf "klassische chemische Kampfstoffe" und fordern eine unabhängige Untersuchung. Vorwürfe von kurdischer Seite stehen schon länger im Raum.

Hat die türkische Armee bei Angriffen auf Guerilla-Einheiten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Zivilpersonen im Nordirak gegen das Chemiewaffenverbot verstoßen? Der Vorwurf steht schon lange im Raum, nun gibt es laut einem Bericht der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW Indizien, die eine unabhängige Untersuchung dringend erforderlich machen.

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar hat im Februar 2021 nur den Einsatz von Tränengas im militärischen Kontext der PKK-Bekämpfung im Nordirak zugegeben. Im IPPNW-Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, ist allerdings auch von Hinweisen auf "klassische chemische Kampfstoffe" wie Chlorgas die Rede.

Der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur Dr. Jan van Aken aus Deutschland und der Schweizer IPPNW-Präsident Dr. Josef Savary hatten vom 20. bis 27. September den Norden des Irak bereist, um den Vorwürfen gegen die türkische Armee nachzugehen, die seit mehr als einem Jahr von Seiten der PKK erhoben werden.

In der Nähe eines von der türkischen Armee verlassenen Gebiets fanden sie Material zur Herstellung von Chlorgas und Schutzbehälter für Gasmasken. Zudem sprechen sie in dem Bericht von einem Video, das türkische Soldaten bei der Vorbereitung eines improvisierten Gaspumpgeräts in der Nähe einer von PKK-Kämpfern genutzten Höhle zeige.

Harte Beweise fehlen bisher

Harte Beweise für den Einsatz von "klassischen chemischen Kampfstoffen" seien aber nicht gefunden worden, stellen van Aken und Savary klar. Die Aussagen von PKK-Sprechern dazu basieren ihnen zufolge auf Symptomen, die durch die fraglichen Stoffe hervorgerufen wurden – nicht auf Laboranalysen.

Genug Anlass für eine unabhängige Untersuchung durch die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) zu rechtfertigen, sehen van Aken und Savary auf jeden Fall. Es läge nun in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten der OPCW, diese zu beantragen.

Ein endgültiger Nachweis für die Verwendung eines dieser klassischen Kampfstoffe würde eine gründliche epidemiologische Untersuchung einschließlich Laboranalysen erfordern, entweder von Umweltproben (einschließlich Waffenresten, Boden oder Kleidung) oder von medizinischen Proben wie Blut, Urin oder Haaren. Ohne eine solche Untersuchung ist es unmöglich, die Validität der Aussagen über den Einsatz klassischer Chemiewaffen zu beurteilen.

Josef Savary und Jan van Aken

Van Aken, der dem wissenschaftlichen Beirat der IPPNW angehört, wertet schon den von türkischer Seite zugegebenen Einsatz von Tränengas in einer rein militärischen Auseinandersetzung als eindeutigen Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention. In dieser gebe es "nur eine Ausnahme für den Einsatz im Rahmen von 'riot control', also bei Demonstrationen", sagte van Aken laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF.

In der Chemiewaffenkonvention, die auch die Türkei unterzeichnet und ratifiziert hat, heißt es tatsächlich, jeder Vertragsstaat verpflichte sich, "keine Mittel zur Bekämpfung von Unruhen" ("riot control") als Mittel der Kriegsführung einzusetzen.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sprechen in einem Gutachten von 2021 von einer Gesetzeslücke, die in der Literatur kritisiert werde, weil sie zu dem "auf den ersten Blick verwunderlichen" Ergebnis führe, "dass der Einsatz von CS-Tränengas im Krieg verboten, aber bei friedlichen Demonstrationen grundsätzlich zulässig ist".