Folgt der Krise die Deindustrialisierung?

Hier wurde auch mal gearbeitet. Bild: pexels.com

Zukunftsängste um den Industriestandort Deutschland: Warum sich Bedenken in den Unternehmen breit machen. Ob sie begründet sind, hängt von mehreren Faktoren ab.

Auch wenn der oftmals stolz ausgerufene "Exportweltmeister" in puncto Außenhandelsüberschuss schon längst von China übertroffen wurde: Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland sein Geschäftsmodell am Ausland ausgerichtet. Und mit dem Rückgang der Steinkohleförderung ab den 1960er-Jahren hat sich der "Motor Europas" auch auf energetischer Ebene zunehmend vom Ausland abhängig gemacht.

Eine dieser Abhängigkeiten, die über Jahrzehnte den deutschen Wohlstand garantiert haben, soll Deutschland und seine Bevölkerung jetzt teuer zu stehen kommen: die von Russland. Obwohl hierzulande gerne (analog zum Vorgehen in der Corona-Politik) Ursache und Wirkung vertauscht werden, ist der Grund dafür nicht Putins Einmarsch in die Ukraine – sondern die Maßnahmen, die deshalb ergriffen wurden.

Der Falsche wird "ruiniert"

Doch die Sanktionen erfüllen offenbar noch nicht das erklärte Ziel der deutschen Außenministerin, die Atommacht Russland "zu ruinieren". Vielmehr droht der Wirtschaftskrieg gegen Russland die deutsche Bevölkerung in den Ruin zu treiben. Die Preise für Benzin, Gas und Strom zwingen Privatpersonen zum Verzicht und stürzen Arme in existenzielle Not.

Schon 2021 konnten laut Statistischem Bundesamt 31,9 Prozent der deutschen Haushalte unerwartete Ausgaben von 1.150 Euro oder mehr nicht selbst tragen. 2022 wird diese Zahl voraussichtlich deutlich höher ausfallen. Die Bundesbank verzeichnet im Zeitraum April bis Juni mit 98 Milliarden Euro den stärksten Rückgang des deutschen Privatvermögens seit mehr als zwei Jahren.

Da ist es doch beruhigend zu erfahren, dass die Bürger das mit ein paar Kerzen, einem zweiten Pullover und dem Verzicht auf ihren Galapagos-Urlaub in den Griff bekommen, wie Wolfgang Schäuble meint.

Zukunft des Industriestandorts zweifelhaft

Ganz sicher anders als Herr Schäuble meint, sieht die Lage allerdings beim sogenannten Rückgrat des deutschen Wohlstands aus: Den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) und vor allem der Industrie, die alleine 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung trägt – die drohen nämlich zusehends am Wirtschaftskrieg mit Putin zugrunde zu gehen.

In der Öffentlichkeit ist deshalb immer häufiger die Rede von einer Deindustrialisierung Deutschlands. In den Medien wird sie mal als Damoklesschwert beschworen, ein anderes Mal als Horror-Szenario verworfen. Die betroffenen Industrieunternehmen halten das Szenario aber offensichtlich für überaus real.

So sprechen einer Blitzumfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft zufolge 52 Prozent von einer "existenziellen" Herausforderung durch die extrem hohen Energiepreise. Im August erreichten die Erzeugerpreise, die gemeinhin als "Vorbote der Inflation" gelten, den historischen Rekord von 45,8 Prozent (Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr); dem höchsten Wert seit Beginn der Erhebung 1949 – Tendenz "rasant" steigend.

Die Deutsche Bank hat die Debatte um eine Deindustrialisierung kürzlich mit einer Stellungnahme unter dem Titel "Energiekrise trifft Industrie bis ins Mark" belebt. Dort heißt es:

Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die aktuelle Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten.

Deutsche Bank

Zur Begründung bezieht sich die Deutsche Bank auf den aktuellen und erwarteten Produktionsrückgang im verarbeitenden Gewerbe (2022: 2,5 Prozent, 2023: 5 Prozent), der besonders die energieintensiven Branchen (Stahl, Chemie, Papier, Metall, aber mittelbar auch die Landwirtschaft) betrifft.

In der Pressemitteilung wird eine Zukunft für den Industriestandort Deutschland ausdrücklich in Zweifel gezogen. Ähnliche Kommentare kommen vonseiten der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände.