Traumhafte Renditen durch Inflation

Unternehmen sind zu Inflationstreibern geworden. Angebotsengpässe erlauben ihnen, die Preise weit über ihre steigenden Kosten anzuheben. Sie sind jedoch auch in Not. Ein Gastbeitrag.

Die Inflation treibt die Menschen in Deutschland inzwischen mehr um als alles andere. Das geht aus einer Ende Oktober von der Unternehmensberatung McKinsey durchgeführten repräsentativen Umfrage hervor. Rund 57 Prozent gaben an, ihre größte Sorge sei aktuell die Inflation. Nur 18 Prozent der Befragten nannten den Ukraine-Krieg, sechs Prozent den Klimawandel und drei Prozent die Covid-19-Pandemie.

Während die EZB immer wieder aufs Neue Fehler bei ihrer Inflationsbewertung einräumt, gewinnt die Inflation seit nunmehr zwei Jahren kontinuierlich an Dynamik. Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sind die Verbraucherpreise im Oktober gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,4 Prozent nach oben geschnellt.

Verantwortlich sind nicht allein die explodierenden Energiepreise mit 43,0 Prozent, auch der Anstieg der Nahrungsmittelpreise trifft die Bürger hart. Im Oktober lagen sie um 20,3 Prozent höher als vor einem Jahr – auch das ist ein neuer Rekordanstieg.

Der Preisauftrieb, so die Bundesbank nüchtern, sei "inzwischen breit angelegt." Wie breit, zeigt sich auch bei den Erzeugerpreisen, die in Deutschland im September gegenüber dem Vorjahr um 45,8 Prozent angestiegen sind. Sie gelten als Frühindikator für die Verbraucherpreisentwicklung.

In der Vergangenheit folgten die Verbraucherpreise dem Erzeugerpreisanstieg mit einigen Monaten Verzögerung und auf ein Drittel abgedämpft. Demnach ist zu erwarten, dass die Verbraucherpreisinflation in den nächsten Monaten auf etwa 15 Prozent zulegt.

Erwerbstätigen und Transferleistungsempfängern laufen die Preise davon, denn seit der Corona-Krise halten Löhne, Gehälter, Renten und Sozialleistungen nicht mehr Schritt mit dem Verbraucherpreisanstieg. Bis zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres war bereits ein Reallohnverlust von gut fünf Prozent entstanden, der sich seitdem deutlich vergrößert hat.

Preistreiberei

Für viele, vor allem große Unternehmen hingegen scheint diese Wirtschaftslage kein Problem. Ihnen gelingt es, auf der Inflationswelle mitzuschwimmen und die Gewinne oft sogar deutlich zu steigern. So erreichten die 40 Dax-Konzerne im 1. Quartal 2022 einen gesamten operativen Gewinn von 52,5 Milliarden Euro und übertrafen damit die bisherige Rekordsumme aus dem Vorjahresquartal deutlich.

Nach Daten des Finanzspezialisten Bloomberg werden die Dax-Unternehmen im laufenden Geschäftsjahr vermutlich 130 Milliarden Euro netto verdienen, das wäre eine Milliarde mehr als im letzten Jahr – und das war bereits das stärkste Jahr in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Nach Auffassung der deutschen Wirtschaftswissenschaftlerin Isabel Schnabel, die dem Direktorium der EZB angehört, sind viele Unternehmen in der Eurozone "Profiteure der Inflation". Das sei jedoch, so Schnabel, keine "böse" Absicht, sondern eine Folge des derzeitigen wirtschaftlichen Umfelds mit einer starken Nachfrage und Angebotsengpässen.

Schnabel präsentiert diese Unternehmen gewissermaßen als Inflationsopfer, die dennoch profitieren, obwohl sie diese "böse" Absicht nicht hegen. Andersherum wird ein Schuh daraus. Denn die Unternehmen nutzen die für sie günstige Marktsituation, in der durch die Corona-Krise Lieferketten aus dem Takt geraten sind und der Ukraine-Krieg eine Energieverknappung ausgelöst hat, um gezielt die Preise zu erhöhen und dadurch ihre Profitabilität zu verbessern. Wegen der im Stop-and-Go-Betrieb ruckelnden Wirtschaft entstehen temporär immer wieder Angebotsknappheiten.

Die resultierenden Verkäufermärkte sind ideale und zudem einzigartige Gelegenheiten, in denen die Unternehmen ihre Marktmacht ausspielen können. Ein entscheidender Treiber der inzwischen galoppierenden Inflation besteht demnach darin, dass viele Unternehmen die Preise über das Niveau hinaus anheben, das erforderlich wäre, um die eigenen Kostensteigerungen zu kompensieren. Sofern die Kunden auf die Produkte angewiesen sind und über die entsprechende Kaufkraft verfügen, sind sie bereit, fast jeden Preis zu zahlen.

Die hohen Gewinnsteigerungen der Dax-Unternehmen sowie vieler anderer Unternehmen sind ein untrüglicher Beleg dafür, dass nicht wenige Unternehmen mit der für sie schwierigen Marktsituation mit Lieferkettenproblemen und Einkaufspreissteigerungen bisher gut oder sogar sehr gut zurechtkommen und sie gezielt nutzen, um auf diese Weise die eigene Profitabilität zu erhöhen.

Den Unternehmen gelingt es weitgehend, die gestiegenen Kosten für Energie, Material und Logistik weiterzureichen und letztlich an die Verbraucher zu überwälzen. Sofern die Unternehmen global aufgestellt sind, profitieren sie zudem vom Kursverlust des Euro gegenüber dem US-Dollar, der infolge der zögerlichen Zinsanhebung der EZB eingetretenen ist.

Dadurch sorgen stabile oder sogar steigende Verkaufspreise im Dollarraum bei der Umrechnung in Euro für deutlich steigende Erlöse. Davon profitiert die stark vom Export abhängige deutsche Wirtschaft in besonderem Maß.

Zugzwang

Die Unternehmen sind jedoch auch unter Zugzwang, denn sie müssen in einer Situation, in der die Inflation ins Rollen kommt, und sie die steigenden Kosten nicht durch eigene Maßnahmen senken können, diese zumindest weitergeben, damit sie nicht zu Verlierern werden.

Unternehmen, so der Unternehmensberater Herman Simon, "machen einen großen Fehler, wenn sie in der Inflation ihre Preise zu spät erhöhen", denn wer diesen Schritt nicht rechtzeitig macht oder nicht machen kann, verliere an wirtschaftlicher Substanz.1

Immer wieder gibt es an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungsketten Produktionskostensteigerungen, etwa weil politische Regulierung wie Arbeits- oder Umweltschutzauflagen den Einsatz teurer Verfahren erzwingen oder etwa weil Rohstoffvorkommen schwieriger zu erschließen sind.

In den letzten Jahrzehnten ist es für die Unternehmen in den entwickelten Volkswirtschaften jedoch immer schwerer geworden, diese preistreibenden Effekte durch eigene Kosteneinsparungen auszugleichen. Denn ihnen gelingt es seit Jahrzehnten immer weniger, neue Technologien einzuführen, mit deren Hilfe sie die Effizienz ihrer Wertschöpfungsprozesse verbessern und so Arbeitsproduktivität erhöhen und Kosten senken können.

Andererseits haben sie Probleme, in den noch immer relativ offenen Welt- und Binnenmärkten, in denen Verkäufermärkte dominieren, höhere Preise durchzusetzen.

So geraten viele Unternehmen, die in ihren regionalen oder globalen Märkten nicht als Marktführer agieren können, in die Klemme. Wegen der Produktivitätsstagnation sind sie kaum noch in der Lage, Kostensteigerungen in den Wertschöpfungsketten auszugleichen, anderseits können sie diese Kostensteigerungen schlecht an ihre Kundschaft weitergeben.

Die nun seit der Corona-Krise entstandenen Angebotsengpässe bieten eine Chance, diesen Kostendruck, der bei vielen Unternehmen die Profitabilität beeinträchtigt hat, nun endlich weiterzureichen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.