Wachrütteln der "Stuporbürger"

Markus Lanz, JürgenTrittin, Carla Rochel. Bild: Screenshot Youtube / ZDF

Zu den Aktionsformen der Letzten Generation und einer nicht beabsichtigten Nebenwirkung der Talk-Show von Markus Lanz. Ein Kommentar.

Für den Revolutionär ist die Welt schon immer reif gewesen. Was im Rückblick als Vorstufe, als unreife Verhältnisse erscheint, galt ihm einmal als letzte Chance der Veränderung. Er ist mit den Verzweifelten, die ein Urteil zum Richtplatz schickt, nicht mit denen, die Zeit haben.

Max Horkheimer

Am Mittwochabend gab sich Markus Lanz in seiner nach ihm benannten Sendung mal wieder in seiner bürgerlichen Beschränktheit zu erkennen. Er redete sich bei dem Versuch, einer jungen und klugen Klimaaktivistin der Letzten Generation Paroli zu bieten, in Rage.

"Sie sitzen hier mit 20. Sie müssten optimistisch sein. Sie müssten Zutrauen haben in die Fähigkeit von Menschen und in die Fähigkeit zur Anpassung", meint der Moderator. Stattdessen werde rumgenölt und auf Pessimismus gemacht. Woher ein junger Mensch das Zutrauen in die Fähigkeit der Menschheit nehmen soll und wie er unter heutigen Bedingungen das Kunststück fertigbringen soll, optimistisch zu sein, verriet er uns nicht.

Verunsicherung

Man konnte spüren, wie sehr ihn die Argumente der jungen Frau verunsicherten. Ihre existentielle Radikalität barg mehr Wahrheit, als er auszuhalten imstande war, und so schlug er um sich und wurde unfair. Er versuchte, seine ganze mediale Routine auszuspielen und die junge Frau in die Enge zu treiben.

Das gelang ihm aber nicht, weil seine Vorwürfe an deren gleichbleibender Sachlichkeit und Freundlichkeit abprallten. Sie hatte so gar nichts Verbissenes und Verbittertes und beinahe die komplette Wissenschaft auf ihrer Seite, was ja ein neues Phänomen ist.

Aus einer anderen Welt

Lanz' Argumente kamen aus einer anderen Welt, von jenseits eines Grabens, der unüberbrückbar schien. Er sorgte sich um die von Aktivisten mit Tomatensoße und Kartoffelbrei traktierten Kunstwerke: "Das ist ein van Gogh! Das ist doch nicht irgendwas!"

Trittin wird sich erinnert haben, dass die 68-er an dieser Stelle gesagt hätten: "Scheiß auf eure Kunst, das ist der Zuckerguss auf dem Misthaufen des Kapitalismus. Es geht nicht um euren van Gogh, sondern die Befreiung Vietnams vom US-Imperialismus!"

Angesichts der Dringlichkeit der zu ergreifenden Maßnahmen, kommen den jungen Leuten die Sorgen eines Lanz läppisch vor. Carla Rochel erwiderte: "Was wird aus der Kunst, wenn die Fluten steigen? Was ist unser Kartoffelbrei gegen das Versinken der Kunst im Meer?"

Und sie hatte recht mit diesem Argument. Vor rund einhundert Jahren wies Max Horkheimer, der damals auch ein ungebändigter junger Rebell gewesen ist, diesen Typus von Kritik mit dem Hinweis zurück: "Bürgerliche Kritik am proletarischen Kampf ist eine logische Unmöglichkeit." Das habe ich immer so verstanden: "Da könnt ihr nicht mitreden, weil ihr nicht kapiert, worum es geht."

Zweifel

Anders steht es mit solidarischer Kritik, die die Prämissen und Ziele teilt und von einem in etwa vergleichbaren Boden aus argumentiert. Solidarische Kritik kommt nicht von oben oder von jenseits einer Klassenschranke.

Solidarisch kann man sich durchaus streiten, zum Beispiel über die Frage, ob die angewandten Mittel zum erwünschten Ziel führen oder es eher torpedieren. Daran kann man im Falle der Aktionsformen der Letzten Generation durchaus Zweifel anmelden.

Aber immer sollte, wer sich einen Rest von Sensibilität bewahrt hat, sich fragen, warum die Mehrheit in unserer Gesellschaft so abgestumpft ist, dass sie sich mit fast allen Scheußlichkeiten abgefunden und arrangiert hat, statt den jungen Aktivisten Vorwürfe zu machen, die mit verzweifelten Mitteln versuchen, sie aus ihrer Lethargie aufzuscheuchen.

Bitte Ruhe!

Die Züricher Jugendunruhe von Anfang der 1980-er Jahre hat für die berühmte schweigende und passive Mehrheit den Begriff "Stuporbürger" geprägt. Diese sind starr, möglichst nichts soll sich ändern. Dass der Planet vor die Hunde geht, scheint sie kaltzulassen. Sie lassen es zu, dass Politik und Wirtschaft Umwelt und Natur zerstören und die Welt ihrer Kinder und Enkel den tödlichsten Gefahren aussetzen.

Um ihrer Ruhe willen nehmen sie unliebsame Tatsachen nicht zur Kenntnis, blenden Teile der Realität aus und denken sich die Welt nach ihren Bedürfnissen zurecht. Demgegenüber sind Angst, Panik und Wut, die Klimaaktivisten mitunter artikulieren, die deutlich angemesseneren Reaktionsweisen.

Der alte KB-Genosse Trittin fühlte sich wohl in seine eigene Jugend zurückversetzt und sprang der jungen Frau gelegentlich hilfreich zur Seite. "Welche Hoffnung geben wir denn unseren Kindern? Menschen müssen träumen können!", fand er.

Zukunft

Zukunft ist der Projektionsraum für Wünsche und Sehnsüchte, und genau um die werden die jungen Leute heute betrogen. Dann dürfen wir Älteren uns nicht beschweren, wenn sie in ihrer Verzweiflung mitunter zu etwas seltsamen, uns verstörenden und taktisch unklugen Protestformen greifen.

Das punktuelle Bündnis von Jürgen Trittin und Carla Rochel fand ich ganz sympathisch. Die junge Frau hat mich beeindruckt und von manchem Vorurteil kuriert. Sie hat mein Bild und meine Beurteilung der Blockade-Aktionen korrigiert und verändert.

Eine nicht beabsichtigte Nebenwirkung, ein Kollateral-Nutzen, einer Talk-Show, die sicher nicht intendiert war. Zur Ehrenrettung von Markus Lanz muss immerhin gesagt werden, dass er das Risiko eingegangen ist, Carla Rochel einzuladen und sie zu Wort kommen zu lassen.

Götz Eisenberg ist ein deutscher Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete als Gefängnispsychologe und ist Autor zahlreicher Bücher. Eisenbergs Durchhalteprosa erscheint regelmäßig bei der GEW Ansbach.