Frankreich: Polizei und Staat gegen "Öko-Terrorismus"

Französische Staatsrepräsentanten werfen mit Terror- und Dschihadismus-Vergleichen unbedacht um sich. Die Polizei geht mit Reizgas gegen Protestierende vor, der Innenminister mit dem neuen Reizwort.

Aus Anlass des derzeit laufenden Klimagipfels in COP27 in Kairo verleihen Millionen von Menschen weltweit ihrer Besorgnis für einmal mehr folgenlose Worte sowie weitaus unzureichende Maßnahmen gegen den menschengemachten Klimawandelt Ausdruck.

Unterdessen erfährt man im Zuge der Debatten rund um die COP27 beiläufig, dass Indien derzeit eine klimawandelbedingte Katastrophe pro Tag erleidet. Das Nachbarland Pakistan mit über 200 Millionen wurde in diesem Jahr infolge katastrophenartiger Monsunregenfälle zu einem Drittel des Staatsgebiets überschwemmt.

Konservative Ordnungspolitiker zeigen sich nicht so sehr darüber besorgt, sondern über den in ihren Augen überbordenden Tatendrang derer, die solche Vorgänge weder für natürlich noch für hinnehmbar halten. Nicht nur in Deutschland, wo ein Berufspolitiker sich dazu hinreißen ließ, von einer "Klima-RAF" zu schwafeln.

Die Aktionen der echten RAF in ihre Zeit kosteten mehrere Dutzend Menschenleben, die der Klimaaktivisten bis zum Nachweis des Gegenteils keine – sieht man von einem tragischen Unglücksverlauf in Berlin ab, wo Rettungsfahrzeuge aufgrund eines Staus im Zusammenhang mit einer Blockade verspätet eintrafen, was keinesfalls die Absicht der Aktiven war.

Wie viele Tote das Handeln oder Nichthandeln des Alexander Dobrindt als Verkehrsminister kostete, von Toten des Autoverkehrs bei Nichtexistenz eines Tempolimits bis zu mit Luftverschmutzung zusammenhängenden Krankheits- und Sterbefällen, bliebe erst noch auszurechnen.

Paris, 2015

In Frankreich haben ebenfalls hanebüchene Terrorvergleiche, aber auch der haarsträubende Umgang mit Gesetzen in Gestalt des Heranziehens repressiver Bestimmungen gegen Umwelt-Aktivismus einige Tradition. Unvergessen ist das Agieren des französischen Staats bei einer der vorigen Klimakonferenzen, am Rande der COP21, die im November und Dezember 2015 in der Nähe von Paris stattfand.

Wenige Wochen zuvor hatten die tatsächlich mörderischen und verheerenden Terroranschläge von Dschihadisten im Konzertsaal Bataclan und an anderen Orten in Paris – 130 Tote – stattgefunden. Den infolgedessen verhängten Ausnahmezustand nahm die damalige, nominell sozialdemokratische, französische Regierung zum Anlass, um ein Demonstrationsverbot gegen klimabesorgte Menschen zu verhängen.

24 Klimaschützerinnen und -schützer wurden unter Anwendung von Bestimmungen der Anti-Terror-Gesetzgebung unter Hausarrest gestellt und Hunderte Menschen auf der Place de la République mitten in Paris eingekesselt. 365 von ihnen wurden vorläufig festgenommen; der Verfasser dieser Zeilen entging dem damals knapp.

Das "Gesetz zur Stärkung der Werte der Republik" und die Klimaschützer

Auch derzeit werfen französische Staatsrepräsentanten mit Terror- und Dschihadismus-Vergleichen in solchen Zusammenhängen unbedacht um sich.

Ein Präfekt (juristischer Vertreter des Zentralstaats im Département und/oder der Region) im westfranzösischen Poitiers benutzte etwa jüngst das zumindest theoretisch "gegen den Dschihadismus begünstigende Ideologien" gerichtete Gesetz vom 24. August 2021, um im September dieses Jahres eine Finanzierung der ausschließlich gewaltlos agierenden Klimaschützerbewegung Alternatiba durch das grün geführte Rathaus von Poitiers zu verbieten. Präfekten üben eine Rechtsaufsicht über die Kommunalpolitik aus.

Handhabe bot ihm dazu konkret das seit 2020 diskutierte, im August 2021 definitiv in Kraft getretene so genannte "Anti-Separatismus-Gesetz" (zuletzt umbenannt in "Gesetz zur Stärkung der Werte der Republik"), das sich vorgeblich gegen radikalen Islamismus mittels Angriffs auf "Parallelgesellschaften" richtet. Und zwar, weil dieses vorschreibt, NGOs und Vereine hätten auf dem Boden der "Werte der Republik" zu stehen.

Aufrufe zu zivilem Ungehorsam, wie sie durch einen Referenten bei einer durch Alternatiba mitorganisierten Veranstaltung – die mit Unterstützung der Kommunalregierung von Potiers stattfand - getätigt worden sein sollen, sind in seinen Augen damit unvereinbar.

Unterschiedlichste Nichtregierungsorganisationen hatten im Vorjahr vor einer stärkeren staatlichen Allgemeinkontrolle über NGOs nach Verabschiedung dieses Gesetzes gewarnt. Hier kommt nun die Quittung dafür, dass ihre Warnung in den Wind geschrieben wurden.

Reizwort der Woche: "Öko-Terrorismus"

Noch direkter sprach Innenminister Gérald Darmanin vor wenigen Tagen unmittelbar von "Öko-Terrorismus". So lautete in Frankreich in den letzten Oktober- und ersten Novembertagen das Reizwort der Woche.

Es bezog sich auf Vorfälle bei einer Demonstration am dritten Oktoberwochenende in Sainte-Soline, zu der 6.000 bis 8.000 Menschen kamen. Dort wurden laut Angaben der Regierung um die sechzig Gendameriebeamte verletzt, umgekehrt sprachen Protestbeteiligte von sechzig verletzten Demonstrationsteilnehmern.

Wasser, Trockenheit, ein Großprojekt

Dabei handelt es sich um traditionelle Auseinandersetzungen am Rande einer Umweltdemonstration gegen ein schädliches Großprojekt, wie es sie in der Bundesrepublik weiland in Wackersdorf gegen eine damals geplante – 1989 dann von staatlicher Seite aufgegebene Plutoniumfabrik gegeben hat.

Damals wie heute geht es den Gegnerinnen und Gegnern darum, das Großprojekt an seiner Baustelle mindestens symbolisch zu treffen. Heute geht es dabei konkret um ein Bauvorhaben in Gestalt von Wasserrückhaltebecken, die aus den Grundwasserreserven gespeist werden sollen; insgesamt sechzehn größerer Reservoirs sind im westfranzösischen Département Deux-Sèvres derzeit geplant.

Deren Inhalt soll der Intensivlandwirtschaft zur Verfügung stehen, insbesondere dem Maisanbau, welcher aufgrund seines besonders hohen Wasserverbrauchs in Zeiten des Klimawandelns und damit zusammenhängender Dürreperioden zunehmend umstritten ist.

Aktuell hält die im Dezember 2021 in Frankreich ausgebrochene Trockenperiode immer noch an, und 85 Prozent des französischen Staatsgebiets unterliegen nach wie vor Restriktionen beim Wasserverbrauch, gegenüber über 90 Prozent im Spätsommer, wenngleich die Einschränkungen zum Teil erleichtert wurden.

Viele Agrarexpertinnen und -exporten favorisieren mittlerweile oft eine Umstellung der Landwirtschaft etwa auf den Anbau genügsamer Getreidearten wie Sorgho, einer in Afrika viel genutzten Hirsesorte, um sich den Erfordernissen des Klimawandels anzupassen. Mais gilt jedoch als Gewinn ohne hohen Investitionsaufwand versprechend und wird in der Intensivtierhaltung wiederum zu Futterzwecken verwendet.

Nur fünf bis sechs Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in dem westfranzösischen Département, konkret rund 100 von insgesamt 1.800, würden Nutzen aus den Rückhaltebecken ziehen, die wiederum die Grundwasservorräte weiter aufzuzehren drohen. Überdies wird das bei Touristen beliebte und für die Artenvielfalt wertvolle Feuchtgebiet der marais poitevins dadurch gefährdet.

Da die Baumaßnahmen zugleich zu 70 Prozent durch die öffentliche Hand finanziert werden, jedoch privatwirtschaftlichen Zwecken dienen und einem bestimmten, umstrittenen Typ von Landwirtschaft zugute kommen, herrscht auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem vom Beckenbau betroffenen Standort Unmut darüber.

Protestcamps

Ein Landwirt, der selbst Getreide anbaut und einen wenig wasserintensiven Betrieb führt, stellte den Protestierenden deswegen sein Gelände zur Verfügung. Bis zum 19. Mai kommenden Jahres, wie er gegenüber den Medien immer wieder betont, da ab dem 20. Mai für eine dreimonatige Brutzeit örtliche Vogelschutzmaßnahmen in Kraft treten und das Gebiet dann vor menschlichem Zutritt geschützt wird.

So lange werden jedoch Protestcamps auf seinem Acker bestehen bleiben können, die vor dem Zugriff der Sicherheitskräfte geschützt sind, da der Landwirt als Eigentümer das Hausrecht inne hat.

Der Bauzaun liegt von dort, wo die Masse der Protestierenden am vorletzten Wochenende campierte und sich zur Auftaktkundgebung sammelte, rund anderthalb Kilometer entfernt. Den Demonstrationszug hatte die Präfektin – die Vertreterin des Zentralstaats in der Kreishauptstadt – vorab verboten, wobei die Verbotsverfügung bekannt wurde, als viele Teilnehmerinnen sich bereits auf der Anreise befanden.