Iran auf dem Weg zur Revolution

Reformen sind im Iran gescheitert. Die Kluft zwischen Regime und Volk wird immer größer, jetzt hoffen die Iranerinnen und Iraner auf einen Umsturz.

Die Espressobar mit den bunten Drehstühlen ist so etwas wie ihr Schützengraben. Hier können sie sich vorübergehend ausruhen, ihre Strategie besprechen, neue Kräfte sammeln.

Omid, ein 25-jähriger Informatiker, der wie alle Personen in dieser Reportage seinen richtigen Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht wissen will, hebt für demonstrative Zwecke seinen Arm, tut so, als würde er auf seinen Freund eindreschen. "So hat er den Schlagprügel gegen mich erhoben, ich schwöre dir, ich dachte, jetzt ist es aus!", erzählt er, noch ganz im Adrenalinrausch. Aber es war nur eine Drohgebärde, dann habe der Polizist in schwarzer Sturmmontur "Hau ab" gezischt. Omid hat keine Sekunde gezögert, sich aus dem Staub zu machen.

Die nahegelegene Tschahar-Bagh-Straße mit ihren breiten Trottoirs und den schattenspendenden Platanen ist normalerweise eine beliebte Bummelmeile, jetzt ist sie einer der wichtigsten Schauplätze der Proteste in Isfahan, einer historischen Großstadt in Zentraliran.

Seit Tagen hatten Aktivisten in den sozialen Medien für diesen Samstag, Mitte Oktober, zu landesweiten Protesten aufgerufen. Doch viel zu groß war die Übermacht der Hundertschaften aus Polizisten, Soldaten und Revolutionsgarden.

"Es war wie eine Walze", erzählt Omid. In regelmäßigen Zeitabständen seien Dutzende Regimesöldner in schwarzer Sturmmontur auf ihren Motorrädern die Straße hinuntergerast, zwei Männer auf jedem Gefährt. Der Hintere schwang jeweils einen Schlagstock oder hielt das Gewehr schussbereit in der Hand. "Sobald da etwas nach Demo ausgesehen hat, haben sie sofort geschossen", berichtet Omid.

In der Espressobar sind Omid und seine Freunde vorerst sicher. Die Barista im Nebenjob, eine Studentin Anfang 20, die ihr glattes, pechschwarzes Haar ohne Hidschab trägt, ist jederzeit bereit, die Rollläden herunterzulassen. Erfahrungsgemäß perforieren die Kugeln nur die erste Metallschicht.

Aufgeben ist keine Option

Trotz seiner unsanften Begegnung mit der Polizei bleibt Omid an diesem Protesttag auf der Straße:

Auch wenn es mit der Demo heute nicht klappt, wichtig ist, dass wir Präsenz zeigen.

Unterstützung kommt von Tausenden Autofahrern, die stundenlang den Verkehr blockieren und Hupkonzerte in Solidarität mit den Protestierenden veranstalten. Von den Balkonen rufen Menschen regierungskritische Slogans, wie "Tod dem Diktator". Auch zwei Schulmädchen wagen sich ohne Kopftuch auf die Straße, wo knapp 15 Minuten zuvor noch scharf geschossen wurde.

Die landesweiten Proteste, die durch die mutmaßliche Tötung der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei ausgelöst wurden, waren zu Beginn noch friedlich. Die Gewalt kam überwiegend vonseiten der Regierung, mindestens 381 Menschen wurden laut Menschenrechtsorganisationen seit Beginn der Proteste Mitte September getötet, darunter 57 Kinder.

Damit folgt das Regime einem alten Drehbuch. Indem es die Proteste gewaltsam niederschlägt und Angst und Schrecken verbreitet, soll die Bevölkerung entmutigt und eingeschüchtert werden.

Jetzt scheint dieses Kalkül aber nicht mehr aufzugehen. Die Proteste halten auch der zehnten Woche mit ungebrochener Intensität an. Mit jedem weiteren Opfer scheint bei den Regimegegnern nicht die Angst, sondern vor allem die Wut und die Entschlossenheit zur Gegenwehr zu wachsen.

Eine neue Eskalationsstufe wurde am vergangenen Mittwoch in Isfahan erreicht, als Unbekannte von einem Motorrad mit Sturmgewehren auf Polizisten und Mitglieder der Basidsch, einer gefürchteten Freiwilligenmiliz der Revolutionsgarden, schossen. Zwei Regime-Kräfte sollen beim Angriff getötet worden sein, weitere wurden verletzt.

Auch Molotow-Cocktails gehören schon seit Wochen zum Repertoire der Demonstrierenden. Damit setzen sie Propagandaplakate, Polizeistationen und Mullah-Seminare im ganzen Land in Brand.

Peyman, ein 18-jähriger Fabrikarbeiter, war dabei, als in seiner Heimatstadt Arak ein Polizeiauto in Flammen aufging. "Wir, das Volk, hatten die Straßen stundenlang in unserer Hand. Es war ein großartiges Gefühl", berichtet Peyman.

Er und seine Freunde haben beim Protest in ihrer Stadt Corona-Masken getragen, trotzdem haben sie jetzt Angst, dass man sie anhand von Überwachungskameras identifizieren könnte. Auch die Pläne des Regimes, ein nationales Intranet aufzubauen und das Land digital hermetisch abzuriegeln, ist für die jungen Leute ein Grund zur Sorge. "Wenn das Internet einmal in ihrer Kontrolle ist, können sie alles mit uns tun, niemand wird es je erfahren", sagt Peyman. "Die Revolution ist jetzt unser letzter Ausweg."

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