NachDenkSeiten: Zu kritisch für die Gemeinnützigkeit?

Über die NachDenkSeiten reden oder mit Beteiligten? Letzteres war eher die Streitkultur des verstorbenen konkret-Herausgebers Gremliza. Symbolbild: KLAU18 auf Pixabay (Public Domain)

Zum Jahresende soll den NachDenkSeiten die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. Sind politische Gründe ausschlaggebend? Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter Kritik an dem Medium und argumentfreier Diffamierung?

Kritische Medien, die nicht durch Anzeigen großer Konzerne finanziert werden, machen in der Regel zum Jahresende Inventur und checken ihre Finanzlage. Die ist meistens schlecht und so werden die Leserinnen und Leser um Spenden gebeten.

Dass die Online-Plattform NachDenkSeiten sich dieses Mal besonders früh mit der Bitte um Unterstützung an ihre Leser wendet, diese aber bittet, erst zum Jahresanfang 2023 zu spenden, hat einen besonderen Grund: Am 24. Oktober wurde dem Trägerverein der NachDenkSeiten vom zuständigen Finanzamt Landau mitgeteilt, dass zum Jahresende ihre Gemeinnützigkeit endet. In dem auf den Nachdenkseiten veröffentlichten Schreiben des Finanzamts heißt es:

Die erneute Prüfung der satzungsmäßigen Voraussetzungen führte zu dem Ergebnis, dass die in der Satzung aufgeführte Zweckverwirklichung, das Betreiben einer Website, nicht geeignet ist einen gemeinnützigen Zweck zu verwirklichen. …

Der Verein verfolgt mit dem Betrieb dieser Internetseite weder die Volksbildung noch einen anderen in § 52 AO genannten gemeinnützigen Zweck. …

Aus dem Themenspektrum der Website ist ersichtlich, dass mittels der eingestellten Artikel objektiv weder die Wissensvermittlung noch politische Bildungsaspekte im Sinne der gemeinnützigen Volksbildung primär gefördert werden.


Aus dem Schreiben des Finanzamt Landau, veröffentlicht auf NachDenkSeiten

Auferlegte Zweckentfremdung von Spenden?

Als besondere Verschärfung heißt es in dem Schreiben, dass finanzielle Mittel, die der Verein bis zum 31. Dezember 2022 eingeworben, aber noch nicht ausgegeben hat, nicht mehr für die NachDenkSeiten verwendet werden dürfen, sondern anderen gemeinnützigen Einrichtungen zugutekommen sollen. Das ist auch der Grund dafür, dass die NachDenkSeiten jetzt auffordern, erst im nächsten Jahr zu spenden.

Der Verein spricht zu Recht von einer durch das Finanzamt auferlegten Zweckentfremdung. Schließlich wollen ja die Spenderinnen und Spender explizit die NachDenkSeiten unterstützen. Im Gespräch mit Telepolis erklärt Albrecht Müller, einer der Mentoren der NachDenkSeiten, dass man völlig überrascht über den Entzug der Gemeinnützigkeit gewesen sei.

Schließlich seien das Medium fast 20 Jahre gemeinnützig gewesen. Zudem sei er über die kurze Frist von knapp zwei Monaten überrascht, die zwischen der Ankündigung und dem Entzug der Gemeinnützigkeit liege. Die Reaktionen der Leserschaft stimmen Müller allerdings auch hoffnungsvoll, dass die NachDenkSeiten ohne Gemeinnützigkeit überleben können.

Gemeinnützigkeit als Waffe

Nun ist es nicht das erste Mal, dass kritische Vereine und Organisationen mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit bedroht sind. Schlagzeilen machte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, die auch in linksliberalen Kreisen auf viel Kritik stieß. Auch nach sieben Jahren ist die Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen und liegt jetzt beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Ganz klar politisch motiviert war auch die drohende Aberkennung der Gemeinnützigkeit der von Widerstandskämpfern gegen das Naziregime gegründeten VVN-BdA. Das Finanzamt Berlin hatte in diesem Fall mit dem bayerischen Verfassungsschutzbericht argumentiert. Es hatte der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit erst wieder zuerkannt, nachdem sowohl die beiden Vorsitzenden als auch die Ehrenpräsidentin und Holocaust-Überlebende Esther Bejarano eine eidesstattliche Erklärung abgegeben hatten, mit der sie versicherten, nicht gegen das Grundgesetz zu agieren.

Die Allianz für Rechtssicherheit für politische Willensbildung kritisiert mit Recht, dass es hier eine Beweislastumkehr gibt, wenn die Betroffenen nach politischen Kriterien bewertet werden. Daher machte die Organisation auch den praktischen Vorschlag, die formelle Regelung in Paragraph 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung zu streichen. Dort heißt es:

Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.


Abgabenordnung (AO), Paragraph 51 Absatz 3 Satz 2

Damit werde die Gemeinnützigkeit eines Vereins am Ende vom politischen Willen eines Innenministers oder einer Innenministerin abhängig, kritisiert die Allianz für Rechtssicherheit.

Gegen die "Tina"-Ideologie

Nun standen die NachdDenkSeiten nie in irgendwelchen Verfassungsschutzberichten, haben sich aber durch ihre politische Positionierung auch viele Gegner gemacht. Schließlich sind sie 2003 gegründet worden, um Alternativen zu neoliberalen Wirtschaftsdogmen aufzuzeigen. Sie leisteten damit einen Beitrag gegen das Mantra "There is no Alternative" – das berüchtigte "Tina"-Denken, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gäbe.

Wichtiger Mentor der NachDenkSeiten ist der ehemalige SPD-Politiker und Ökonom Albrecht Müller, der schon 2006 im Interview mit konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza erklärte, warum er, obwohl er sich politisch nicht besonders gewandelt hat, in Zeiten der Agenda 2010 zum linken Exoten wurde.

Ich war auch zu Schillers und zu Schmidts Zeiten ein Linker in dem Sinne, dass ich versucht habe, aufklärend einzuwirken, komplexe Zusammenhänge komplex zu sehen, die soziale Verpflichtung des Grundgesetzes ernstzunehmen und ökologische Fragen zu stellen, obwohl das bei Schmidt manchmal sehr schwer war.


Albrecht Müller 2006 im Gespräch mit konkret

In dem Interview bekannte sich Albrecht Müller als Sozialdemokrat in der Linie der 1970er-Jahre und stieß damit auf viel Kritik bei Gremliza, der die SPD Ende 1989 verlassen hatte und zu einem ihrer schärfsten Kritiker geworden war. Gremliza sparte denn auch nicht mit Kritik, als er Müller populistische Anwandlungen vorwarf.

"Auf dem Rücktitel Ihres Buches heißt es über 'die Eliten' in großen Lettern: 'Wir glauben, sie wollen das Beste für unser Land, in Wahrheit verfolgen sie ihre eigenen Interessen'", hielt der inzwischen verstorbene Gremliza im Jahr 2006 Albrecht Müller vor. "Den interessanten Menschen möchte ich kennenlernen, der glaubt, ein Vorstand oder ein Minister wolle das Beste nicht für sich, sondern für ihn", merkte der konkret-Herausgeber an.

Wenn Kritik mit Diskreditierung verwechselt wird

"Und ich finde es schade, dass Sie mit diesem populistischen Credo den faktenreichen Beschreibungen, wer mit wem welche politischen Geschäfte macht, viel von ihrem ja auch aufklärerischen Witz nehmen", formulierte Gremliza eine Kritik an bestimmten Beiträgen auf den NachDenkSeiten, ohne sie aber ins rechte oder verschwörungsideologische Lager zu rücken, wie es heute vor allem im Zeiten der linken Kritikunfähigkeit auch in sich links oder linksliberal gerierenden Kreisen üblich ist.

Albrecht Müller hat in seiner Replik auf die Ankündigung des Entzugs der Gemeinnützigkeit noch einmal aufgelistet, welch wichtige Beitrage die NachDenkSeiten bei der Widerlegung wirtschaftsliberaler Mythen geleistet hat. Dazu gehören auch viele gute Argumente gegen eine Rentenpolitik im Interesse des Kapitals. Auf den NachDenkSeiten war zu lesen, warum die Demographie kein Argument für Rentenkürzungen oder die Riester-Rente ist.

Genau das ist der "aufklärerische Witz", den Gremliza im Interview anspricht. Daneben gab und gibt es auch auf den NachDenkSeiten wie in vielen anderen Medien auch viele Texte, über die man streiten kann und streiten sollte. Es ist ein Missverständnis, Medien mit straffen Organisationen oder verschworenen Gemeinschaften zu verwechseln.

Besonders bedenklich wird es, wenn vermeintlich Linke und Linksliberale sogar den Einsatz der Staatsorgane gegen scheinbar missliebige Medien verteidigen. So erklärte der Journalist Matthias Meisner in einen Tweet, die NachDenkSeiten würden Propaganda für den Kreml, für "Coronaleugner" und Rechtsradikale verbreiten. Meisner fragte schon im August 2022, warum die NachDenkSeiten überhaupt noch gemeinnützig seien.

Das war mehr als zwei Monate vor dem Schreiben des Finanzamts, der den Entzug der Gemeinnützigkeit ankündigte. Hier wird auch der Unterschied zwischen einer notwendigen Kritik auch an Inhalten der NachDenkSeiten, wie sie Gremliza äußerte und einer Diskreditierung deutlich, wie sie nicht nur Meisner hier praktiziert.

Beispielsweise ohne nähere Erläuterung von "Propaganda für den Kreml" zu sprechen, kann heutzutage viel heißen – von irgendwem muss sich das jeder anhören, der einigermaßen bekannt ist und angesichts der Atomkriegsgefahr für Deeskalation eintritt. Wer nicht zu einem Debattenklima beitragen will, in dem friedenspolitische Positionen generell als indiskutabel gelten und als Feindbegünstigung gebrandmarkt werden, muss für diesen Vorwurf schon eine präzise Begründung liefern und klarstellen, wo für ihn die Grenze verläuft.

Ähnliche Vorwürfe richten sich auch gegen den sicher auch in vielen Punkten kritikwürdigen Julian Assange, dessen Verdienste um die Aufdeckung von Kriegsverbrechen durch Wikileaks aber deshalb nicht unterschlagen werden sollte und dessen Freilassung daher gefordert werden sollte. So kann man auch den Entzug der Gemeinnützigkeit der NachDenkSeiten ablehnen und trotzdem bestimmte Texte, die dort publiziert werden, heftig kritisieren.