Chomsky: US-Sanktionen schaden Iraner:innen und helfen Protesten nicht

Iran-Protest in Santa Monica/Kalifornien in den USA im Oktober 2022. Bild: Craig Melville / Unsplash Licence

Noam Chomsky: Die Sanktionen schaden der iranischen Wirtschaft und verursachen enormes Leid. Aber das ist seit über 40 Jahren das Ziel der USA. Was hinter der amerikanischen Iran-Politik tatsächlich steckt.

Seit Mitte September gibt es im Iran Proteste gegen den Tod von Mahsa Amini, der 22-jährigen kurdisch-iranischen Frau, die in einem Krankenhaus in Teheran starb, nachdem sie einige Tage zuvor von der iranischen Sittenpolizei verhaftet worden war, weil sie angeblich gegen die Kleiderordnung des islamisch-theokratischen Regimes für Frauen verstoßen hatte. Die Demonstranten bezeichnen ihren Tod weithin als von der Polizei begangenen Mord (es wird vermutet, dass sie an den Schlägen verstarb), doch die iranische Gerichtsmedizin hat diese Darstellung in einem offiziellen medizinischen Bericht dementiert.

Seit September haben sich die Proteste – angeführt von Frauen aller Altersgruppen, die sich nicht nur gegen die vorgeschriebene Kleiderordnung, sondern auch gegen geschlechtsspezifische Gewalt und staatliche Gewalt jeglicher Art wehren – auf mindestens 50 Städte und Gemeinden ausgeweitet. Prominente Schauspieler und Sportteams haben sich der aufkeimenden Protestbewegung angeschlossen, die alle Bereiche der iranischen Gesellschaft erfasst.

Die Frauen im Iran haben eine lange Geschichte im Kampf für ihre Rechte. Sie standen an der Spitze der Revolution von 1979, die zum Sturz des Pahlavi-Regimes führte, obwohl sie unter dem Schah weitaus mehr Freiheiten genossen als nach der Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini.

Als Teil von Khomeinis Mission, eine islamische Theokratie zu errichten, wurde unmittelbar nach der Einsetzung des neuen Regimes verfügt, dass Frauen fortan den Schleier in Regierungsämtern tragen mussten. Die iranischen Frauen organisierten massive Demonstrationen, als sie erfuhren, dass die neue Regierung die Verschleierungspflicht durchsetzen würde.

Doch das theokratische Regime, das den Schah ablöste, war entschlossen, die Autonomie der Frauen zu unterdrücken. "1983 beschloss das Parlament, dass Frauen, die ihr Haar in der Öffentlichkeit nicht bedecken, mit 74 Peitschenhieben bestraft werden", berichtet die Deutsche Welle. "Seit 1995 können unverschleierte Frauen auch bis zu 60 Tage inhaftiert werden."

Doch die heutigen Proteste richten sich nicht nur gegen bestimmte Gesetze, sondern gegen das gesamte theokratische System im Iran: Wie Frieda Afary für Truthout berichtet, haben die Demonstranten skandiert, dass sie "weder Monarchie noch Klerus" wollen. Und wie Sima Shakhsari schreibt, geht es bei den Protesten auch um die Wirtschaftspolitik im Land, deren Auswirkungen durch die US-Sanktionen noch verstärkt worden sind.

Die Proteste haben weite Teile des Landes erfasst und werden nun von Arbeiter:innen aller Branchen, von Fachleuten wie Ärzten und Anwälten, Künstlern und Ladenbesitzern unterstützt. Als Reaktion darauf verschärft das Regime sein gewaltsames Vorgehen gegen die Demonstrant:innen, und zahlreiche Künstler, Filmemacher und Journalisten wurden wegen ihrer Unterstützung der regierungsfeindlichen Proteste verhaftet oder mit einem Arbeitsverbot belegt.

Noam Chomsky ist Professor für Linguist, US-Kritiker und Aktivist. Er hat rund 150 Bücher geschrieben.

Bahnt sich hier eine Revolution an?

Das Interview mit Noam Chomsky führt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou und erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Truthout, wo Sie die englische Version finden.

Noam, die Proteste der iranischen Frauen begannen wegen der islamischen Politik der Regierung, insbesondere wegen der Bekleidungsvorschriften, aber die Proteste scheinen sich jetzt auf das allgemeine Versagen des Regimes bei Reformen zu beziehen. Der Zustand der Wirtschaft, die sich in einer Abwärtsspirale befindet, scheint auch eine der Kräfte zu sein, die die Menschen mit Forderungen nach Veränderungen auf die Straße treiben. Tatsächlich haben sich Lehrer, Ladenbesitzer und Arbeiter aller Branchen im Rahmen der anhaltenden Proteste an Sitzstreiks bzw. Arbeitsniederlegungen beteiligt. Darüber hinaus scheinen sich die verschiedenen ethnischen Untergruppen, die den öffentlichen Zorn über das Regime teilen, einig zu sein – wahrscheinlich das erste Mal seit der Entstehung der Islamischen Republik. Hört sich diese Beschreibung über das, was im Iran angesichts der Proteste gerade geschieht, für Sie einigermaßen zutreffend an? Wenn ja, kann man dann auch von einer sich anbahnenden Revolution sprechen?

Noam Chomsky: Für mich klingt es zutreffend, auch wenn es vielleicht zu weit geht, von einer sich entwickelnden Revolution zu sprechen.

Was hier geschieht, ist bemerkenswert, sowohl in Bezug auf das Ausmaß und die Intensität als auch insbesondere in Bezug auf den Mut und den Trotz angesichts der brutalen Unterdrückung. Bemerkenswert ist auch die herausragende Führungsrolle von Frauen, insbesondere von jungen Frauen.

Der Begriff "Führung" ist vielleicht irreführend. Der Aufstand scheint ohne Führung zu sein, auch ohne klar artikulierte weitergehende Ziele, außer dem Sturz eines verhassten Regimes. Diesbezüglich ist Vorsicht angebracht. Uns liegen nur sehr wenige Informationen über die öffentliche Meinung im Iran vor, insbesondere über die Einstellung in den ländlichen Gebieten, wo die Unterstützung für das klerikale Regime und seine autoritären Praktiken viel stärker sein könnte.

Die Unterdrückung durch das Regime war in den von ethnischen Minderheiten wie den Kurden und Belutschen bewohnten Gebieten des Irans wesentlich härter. Es ist allgemein Konsens, dass viel davon abhängen wird, wie der Oberste Führer Ali Chamenei reagieren wird.

Diejenigen, die mit seinem Werdegang vertraut sind, gehen davon aus, dass seine Reaktion von seinen eigenen Erfahrungen im Widerstand beim Sturz des Schahs im Jahr 1979 geprägt sein wird. Er könnte durchaus die Ansicht der amerikanischen und israelischen Falken teilen, dass der Schah die Proteste mit Gewalt hätte unterdrücken können, wenn er energischer gewesen wäre und nicht gezögert hätte. Israels de facto Botschafter im Iran, Uri Lubrani, brachte diese Haltung damals klar zum Ausdruck:

Ich bin der festen Überzeugung, dass Teheran von einer relativ kleinen, entschlossenen, rücksichtslosen und grausamen Truppe eingenommen werden kann. Ich meine, die Männer, die diese Truppe anführen, müssten emotional auf die Fall vorbereitet sein, dass sie zehntausend Menschen töten müssten.

Ähnlich äußerten sich der ehemalige CIA-Direktor Richard Helms, der hohe Pentagon-Beamte Robert Komer unter der Carter-Regierung und andere Hardliner. Es wird nun spekuliert, dass Chamenei eine ähnliche Haltung einnehmen und eine wesentlich gewaltsamere Unterdrückung anordnen wird, wenn die Proteste weitergehen.

Über die Auswirkungen kann nur spekuliert werden, und das auch nur mit unklaren Anhaltspunkten.