Ukraine-Krieg: In der Eskalationsspirale

Foto (21. Dezember 2022): Weißes Haus/gemeinfrei

Selenskyjs Blitzbesuch in den USA, Putin betont Russlands Entschlossenheit – gesetzt wird auf militärischen Sieg und Aufrüstung. Bis zur Katastrophe?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zu einem überraschenden Besuch in die Hauptstadt der USA gekommen, um weitere Unterstützung gegen Russland zu werben.

Sein "beträchtliches persönliches Charisma" und der sorgfältig choreografierte Blitzbesuch samt Rede vor dem Kongress am gestrigen Abend sollte die Unterstützungsbereitschaft in Washington über Parteigrenzen hinweg festigen.

Aus den Reihen der Republikaner kommen schon seit dem Wahlkampf vor den Halbzeitwahlen Äußerungen an die Öffentlichkeit, die an der Selbstverständlichkeit der Unterstützung Zweifel säen. Wie auch immer die Gründe aussehen, sei es politische Überzeugung, sei es Taktik oder Profilgewinnung, regelmäßig gibt es von Seiten der Republikaner Einwände gegen eine "carte blanche" für große Waffen- und Finanzhilfen aus den USA. Man will das nicht einfach durchwinken.

Offensichtlich wird der Einspruch angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus jetzt sehr ernst genommen, zumal sich der Krieg in der Ukraine aller Wahrscheinlichkeit nach noch länger hinziehen wird und Ausdauer auch bei den Waffen- und Finanz-Hilfen verlangt.

Der ukrainische Präsident bedankte sich vor dem Kongress für die bisher geleistete Hilfe: "Allen Unkenrufen und Untergangsszenarien zum Trotz ist die Ukraine nicht untergegangen. Die Ukraine lebt und ist quicklebendig. Ich danke Ihnen dafür." Er betonte, in der von ihm bekannten und auch erwarteten Rhetorik, wie wichtig die Unterstützung nicht nur für sein Land sei, sondern weltweit:

Bei diesem Kampf geht es nicht nur um das Territorium, um diesen oder einen anderen Teil Europas. Es geht nicht nur um das Leben, die Freiheit und die Sicherheit der Ukrainer oder einer anderen Nation, die Russland zu erobern versucht.

Dieser Kampf wird bestimmen, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann deren Kinder und Enkelkinder. Er wird bestimmen, ob es eine Demokratie für die Ukrainer und für die Amerikaner sein wird - für alle. Dieser Kampf kann nicht eingefroren oder verschoben werden. Er kann nicht ignoriert werden, in der Hoffnung, dass der Ozean oder etwas anderes einen Schutz bieten wird.

Von den Vereinigten Staaten bis China, von Europa bis Lateinamerika und von Afrika bis Australien ist die Welt zu sehr miteinander verbunden und voneinander abhängig, als dass sich jemand abseits halten und gleichzeitig sicher fühlen könnte, wenn ein solcher Kampf weitergeht.

Wolodymyr Selenskyj

Auf die Frage, die Kommentatoren sehr beschäftigte, nämlich wie es um die die Waffen-Wunschliste des ukrainischen Präsidenten steht, gab Selenskyj in der Rede selbst nur Hinweise. Etwa dass die russische Armee einen Vorteil bei der Munition habe ("They have an advantage in ammunition"), dass mehr Kanonen und Granaten nötig wären, um die russische Armee zu verjagen, dass die Patriot-Systeme zur Verteidigung der Städte und der Freiheit nötig seien – zusammen mit der Versicherung, dass das ukrainische Volk "absolut siegen" wird.

In der New York Times konkretisierte eine Analyse von David E. Sanger die ukranischen Forderungen so: "Er will Abrams-Panzer und F-16-Kampfflugzeuge, eine mehrschichtige Luftverteidigung und dass das Patriot-Raketensystem, das Präsident Biden angekündigt hat, bald verfügbar ist."

Waffen-Wünsche war in einem Twitter-Posting des ukrainischen Präsidenten-Beraters Mykhailo Podolyak zu lesen, so die Washington Post. Ihrer Analyse des Selenskyj-Besuches ist allerdings nicht zu entnehmen, dass es derzeit Zusagen zu dieser Liste gibt, die über die Lieferung des Patriot-Raketensystem hinausgehen.

US-Verteidigungsbeamte haben erklärt, dass die Ukraine bereits über genügend Panzer verfüge und dass die von Kiew gewünschten amerikanischen M1 Abrams zu schwierig zu warten und zu komplex zu bedienen seien. Als er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj nach den Raketen gefragt wurde, die es den ukrainischen Streitkräften ermöglichen würden, Ziele auf russischem Territorium anzugreifen, warnte Biden, dass solche Waffen die Nato-Einheit zur Unterstützung der Ukraine erschüttern könnten.

Washington Post

Was die Diplomatie, also den "Verhandlungstisch" zu einer politischen Lösung des Konflikts betrifft, so hörte die Washington Post die bekannte Parole, dass es sich hier um Entscheidungen handele, "die von der Ukraine zu treffen sind". (Die Red.)

Auf dem Weg in die Katastrophe?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj macht seinen ersten Auslandsbesuch seit Beginn des Krieges in den USA, die schon seit 2014 militärischer Hauptunterstützer der Ukraine sind. US-Präsident Joe Biden hat nichts getan, um den schon länger von Russland angesichts der militärischen Aufrüstung und des möglichen Nato-Beitritts angedrohten Krieg zu verhindern.

Er hat mit dem neuen Hilfspaket von 45 Milliarden US-Dollar seit Beginn des Kriegs 100 Milliarden Dollar in die Ukraine investiert, um mit deren Streitkräften Russland auch als Partner des gefährlicheren Feindes China klein zu machen. Biden will die Solidarität mit der Ukraine demonstrieren, die solange wie notwendig militärisch und finanziell unterstützt werden soll.

Die Reise von Selenskyj war natürlich länger geplant und wurde in aller Heimlichkeit durchgeführt. Wenn Russland allerdings den ukrainischen Präsidenten hätte töten oder angreifen wollen, hätte man schon längst das Regierungsviertel bombardieren können, das bislang von Raketen- und Drohnenangriffen verschont blieb. Zuletzt hatte Selenskyj die umkämpfte Stadt Bachmut besucht und war dort öffentlich aufgetreten. Die russischen Streitkräfte waren darüber sicher informiert.

Fast zur selben Zeit hatte der russische Verteidigungsminister angeblich auch Truppen an der Front besucht. Allerdings soll er nur in der Krim 80 km entfernt von der Front gewesen sein. Eigentlich dürfte die Reise von Selenskyj daher nicht sonderlich riskant gewesen sein, zumal Russland auch die Bahnverbindung von Kiew nach Polen nicht angegriffen hat, weswegen zahlreiche Regierungsmitglieder befreundeter Staaten ungefährdet ihre Aufwartung machen konnten.

Wahrscheinlich abgesprochen mit der Bundesregierung, die der Ukraine wie von Polen gewünscht wegen angeblicher Bündnisverpflichtungen keine Patriot-Systeme übergeben wollte, kann nun US-Präsident Joe Biden sich als großer Helfer zeigen und als Geschenk die lange von der Ukraine gewünschten Luftabwehrsysteme versprechen. Allerdings müssen zur Bedienung ukrainische Soldaten mindestens einige Wochen ausgebildet werden.

Hier kommt wie so oft Deutschland als militärische Drehscheibe der Amerikaner doch noch ins Spiel, denn die Ausbildung dürfte in Grafenwöhr stattfinden. Der Truppenübungsplatz wurde den USA zur ausschließlichen Nutzung überlassen.

Dort wurden auch lange vor dem Krieg nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten bereits ukrainische Soldaten (und möglicherweise auch Mitglieder von Freiwilligenverbänden) ohne Wissen der Bundesregierung trainiert.

Es soll sich allerdings nur um eine Patriot-Batterie handeln, die höchstens eine Stadt beschützen könnte. Über die Leistungsfähigkeit wird gestritten. Es ist der erste wirkliche Einsatz in einem Krieg mit hochgerüsteten Streitkräften und könnte dazu führen, dass der Nimbus des Abwehrsystems, das ein amerikanischer Exportschlager ist, schnell verloren geht.

Zudem soll eine Abfangrakete vier Millionen Dollar kosten, weswegen man sie wohl kaum gegen die viel billigeren Kampfdrohnen einsetzen wird, auf die Russland nun mehr setzt.

Neben dem Patriotsystem wird die Ukraine für Raketen und Bomben Ausrüstung erhalten, um diese zu Präzisionsgeschossen oder "Joint Direct Attack Munitions". Allerdings können diese nur von Flugzeugen abgeschossen werden, was den Einsatz sehr beschränken wird.

Die US-Regierung will also die Ukraine weiterhin militärisch stärken und versucht mit der Show in Washington und Selenskyjs Auftritt im Kongress auch die Republikaner dazu bringen, weiterhin viele Milliarden in die Ukraine zu investieren, um diese siegen zu lassen, was nach Kiew mindestens bedeuten würde, die russischen Truppen aus der gesamten Ukraine zu vertreiben, also auch die Krim zurückzuerobern.

Voraussetzung ist, dass Russland nicht verhandlungsbereit sei.

Das wird wie ein Mantra wiederholt, weil Verhandlungen über einen Waffenstillstand die Waffenlieferungen obsolet machen würden, während zudem Kompromisse über die Nato-Mitgliedschaft und die Zukunft der von Russland besetzten Gebiete eingegangen werden müssten.

Die Ukrainer müssen also weiter kämpfen und sterben, um "Freiheit und Demokratie" zu verteidigen. Im Hintergrund mag auch stehen, dass die Biden-Regierung nach den Afghanistan-Debakel endlich einen Sieg benötigt, der auch noch moralisch gerechtfertigt erscheint.