Weihnachtszeit, Lesezeit: "Indianerbücher" jenseits von Winnetou

Ausschnitt aus einem Plakat zur DEFA-Verfilmung von "Blauvogel" (1979) Quelle: DEFA-Stiftung

Zwei Sichtweisen in fast vergessenen Jugendromanen zur Geschichte der Native Americans: "Großer Jäger Little Fox" und "Blauvogel – Wahlsohn der Irokesen". (Teil 2 und Schluss)

Im ersten Teil dieses Essays ging es darum, inwiefern Karl May ein Sohn seiner Zeit und ihr doch in manchen Punkten voraus war. Es ging um seine Bücher sowie das auf ein historisches Missverständnis zurückgehende Wort "Indianer" und die veränderte Wahrnehmung dieses Sprachgebrauchs.

Hier wird das Wort im Hinblick auf Bücher aus einer Zeit, in der es hierzulande noch nicht als diskriminierend galt, in Zitaten und Zusammenfassungen verwendet. "Indianerbücher" ist insofern historisch als Genrebezeichnung einzuordnen. Ansonsten verwende ich die Begriffe "Native Americans", "Ureinwohner" oder "Angehörige der First Nations". Aus dem Zusammenhang geht jeweils hervor, dass "Indianer" keine Verallgemeinerung ist.

Little Fox will den Respekt der Weißen

Hanns Radau, "Großer Jäger Little Fox", Trio Jugendtaschenbuch. Aufgenommen in die Auswahlliste zum Deutschen Jugendbuchpreis 1958

Der Ich-Erzähler "Little Fox" ist Waise und wächst bei seinem Großvater, einem ehemals berühmten Jäger auf: "Ich weiß noch, dass manchmal weiße Männer kamen, die meinen Großvater als Führer wollten, denn er kannte alle Flüsse, Berge, Seen und Wälder des Landes wie kein anderer." (S. 7) Nun ist er alt und geht kaum noch auf Pelzjagd.

Das ist ein Grund, warum Großvater und Enkel in einer schlechten Hütte leben und oft hungern. Aber es gibt noch andere Gründe. "Großer Jäger Little Fox" ist Ende der 1950er-Jahre erschienen und spiegelt in Teilen auch die Erwartungshaltung jener Zeit.

Ohne dass Weiße von ihrer Verantwortung für die Kolonisierung freigesprochen werden, gibt es hier Passagen, in denen mehr Eigenverantwortung und Sekundärtugenden von Weißen für Alaska Natives als plausibler Ausweg aus der Armut erscheinen.

Die damals in Deutschland noch nicht als Krankheit anerkannte Alkoholsucht erscheint in diesen Passagen als Haupthindernis für den Aufstieg der Kolonisierten zu bescheidenem Wohlstand.

Auch die Männer meines Stammes lebten früher vom Pelztierfang und vom Fischen. Sie sagten: 'Je mehr weiße Männer ins Land kommen, ums so weniger Tiere gehen in unsere Fallen.' Heute weiß ich, dass der weiße Fallensteller fleißiger ist. Er fängt mehr und macht Dollars genug.

Ich sah die Schlitten mit den Pelzladungen beim Händler und glaube, dass man fleißig und geschickt sein soll und den Tieren folgen muss zu den Stellen, wo sie leben. Heute weiß ich, wie das gemacht wird, und dass das Trappen eine sehr schwere Arbeit ist. Wenn man aber in den schlechten Hütten bei der Stadt lebt und Whisky und Hootch trinkt, wird man keinen Fuchs fangen.


"Großer Jäger Little Fox", S. 7f

Alle Männer und viele Frauen seines Stammes trinken, der Junge trinkt bald mit – die Männer geben ihm Alkohol. Mit 15 ist er zum ersten Mal richtig betrunken. Eine indianische Kranken- und Gemeindeschwester findet ihn im Schneematsch liegen, trägt ihn nach Hause und schimpft mit dem Großvater und dessen Saufkumpanen – Männern und Frauen.

Dass die Weißen erst das "Feuerwasser" ins Land brachten, ist für die Schwester kein Grund, die Trinkerinnen und Trinker der eigenen Community aus der Verantwortung zu nehmen.

Sie schimpft auch mit dem Jungen, schlägt ihn – auch das würde eine Romanfigur, die zweifellos als Vorbild dienen soll, heute eher nicht mehr tun – und führt ihm den Verfall seines Großvaters vor Augen: Die Weißen verachteten ihn, weil er einer von vielen betrunkenen Indianern sei.

"Gleiche Rechte wie die Weißen wollen die Indianer in Alaska haben; aber sie sehen nur das Recht, sich zu betrinken." Der Junge versichert ihr, das nicht mehr tun zu wollen. Die Gemeindeschwester sagt, sie wäre "froh, wenn ein Indianer mehr da wäre, den die Weißen achten".

Einige Wochen später kommt sie mit dem Onkel des Jungen zurück, dem Schwiegersohn des Großvaters, einem Weißen. Der heißt Trapper-Fred, und beschimpft den Großvater; dieser wird wütend und will sich von einem "Sqawman" – einem Weißen, der eine Indianerin geheiratet hat, nichts sagen lassen. Er droht sogar, ihn zu töten – aber Trapper-Fred weist ihn darauf hin, dass er Gewehr, Hunde und Fallen versoffen und seinen Stamm verloren habe.

Offenbar geplant mit der Gemeindeschwester, bietet Trapper-Fred dem Jungen an, mit ihm zu kommen. Er lässt ihn neu einkleiden und ihm die Haare schneiden. Sie steigen in ein Flugzeug nach Fairbanks. Aber dort nimmt Trapper-Fred den Jungen nicht mit in die Wildnis, sondern schickt ihn zu einem Bekannten nach Juneau.

Dort verbringt er drei Jahre, arbeitet und geht zu Schule. Er fischt Lachse, lernt, in einem nach "weißen" Maßstäben ordentlichen Haushalt zu leben und spart mehr als 2.000 Dollar. Aber er ist einsam. Bei der Arbeit beschimpfen ihn Weiße, weil er sich nicht von ihnen zum Trinken verleiten lässt. Er wird sogar angegriffen, ein anderer (Weißer?) hilft ihm.

Die Natives wiederum arbeiten nicht gut, verspotten ihn, weil er gut arbeitet, gute Kleidung trägt und nicht trinkt, einmal verliert er deswegen sogar eine Arbeit.

Er will zu Trapper-Fred und schreibt ihm. Als keine Antwort kommt, macht er sich auf eigene Faust auf die Reise. Zuerst jedoch besucht er seinen Großvater. Der ist inzwischen noch mehr heruntergekommen und gesteht ihm, wie er sich von den Weißen vorführen lässt.

Der Junge bezahlt beim Händler Essen und verabredet, dass dieser seinem Großvater täglich eine Portion gibt, sodass der Alte das Geld nicht für Alkohol ausgeben kann. Außerdem hat er ihm einen warmen Parka mitgebracht und bitten ihn, diesen nicht zu versaufen.

Da gibt ihm der Großvater das letzte, was ihm geblieben ist, was er versteckt hat, um es nicht zu versaufen: Eine Lederkette mit Krallen und Zähnen eines Bären und Glasperlen. Eine Häuptlingskette. Der Enkel soll nach dem Tod des Großvaters ein Häuptling sein.

Danach fliegt der Junge weiter. Auf der Suche nach Trapper-Fred begegnet er einem Weißen. Der hilft ihm mit einem Hund und wichtigen Reiseutensilien aus. Der Erzähler gewinnt dessen Respekt: "Trinkt keinen Whisky, hat ein Konto bei der Bank und ist zu stolz, sich von einem weißen Mann etwas schenken zu lassen – wo kommt denn auf einmal solch ein Indianer her?" Seine Antwort: "Ich bin nicht zu stolz; aber ich dachte, du solltest wissen, dass ich sie bezahlen könnte."

Nach einem beschwerlichen Marsch schafft der Junge es zu Trapper-Fred, der ihn am Schluss des langen Weges noch aufliest – sonst wäre er gestorben. Er will ihn erst nicht aufnehmen, in einer guten Rede überzeugt Little Fox ihn aber von sich und darf bleiben.

Trapper-Fred lässt ihn die Hausarbeit machen, außerdem übt er mit ihm Lesen, schreiben und rechnen – der Trapper war einst Ingenieur gewesen. Und er lehrt ihn das Trapper-Handwerk.

Dazu gehört Respekt vor dem Tier: Der Junge darf anfangs kein Gewehr mitnehmen, weil er ein Tier so treffen könnte, dass es sich tagelang quält. Auch gehen beide täglich die Fallenstrecke ab, damit sich kein Tier unnötig lange quält.

Er stört nicht – "nicht sehr"

Trapper-Fred wollte ihn nur einen Winter behalten, aber Little Fox stellt sich gut an und darf bleiben – er stört Trapper-Fred "nicht, nicht sehr".

Der Junge wird so vom Lernenden zum Helfenden und schafft schließlich, was Trapper-Fred nicht schaffte: Er versorgt ihn, als der verletzt ist und ins Krankenhaus muss, er erlegt den Silbernen Wolf, hinter dem Trapper-Fred seit Jahren her ist. Trapper-Fred muss ein Fuß amputiert werden, er will daraufhin eine Fuchsfarm aufmachen und Little Fox als Partner.

Der aber will lieber in der Wildnis bleiben, Trapper-Fred bastelt sich eine Prothese – schließlich sind sie gleichberechtigte Partner. Halb im Spaß, aber eben auch halb im Ernst wird Little Fox von Trapper-Fred mit "Kleiner Häuptling" angesprochen.

Den Schluss des Buches bildet ein Anhang mit "Wissenswertes über die Heimat von 'Little Fox'", in dem auch das "Schicksal" der Ureinwohner problematisiert wird:

Eskimos und Indianer sitzen auch im Parlament und in der Verwaltung des neuen Bundesstaates. Durch eingeschleppte Krankheiten und Alkoholmissbrauch sind viele Tausende von Indianern und Eskimos zugrunde gegangen. […] Gute Schulen, Ärzte und Spitäler sollen dafür sorgen, dass die Kinder der früheren Herren des Landes sich auch in der modernen Welt körperlich und geistig behaupten können.


"Großer Jäger Little Fox" – Anhang

Ist dies Buch noch lesbar, vielleicht sogar aktuell? Obwohl der Autor das Wort "Indianer" verwendet, zeigt er mit seiner Recherche Respekt gegenüber den unterschiedlichen Stämmen Natives. In den ersten Sätzen stellt sich sein Ich-Erzähler als Sohn eines Häuptlings so vor:

"Ich bin ein Indianer vom Stamm der Natsit aus dem Tal der Koyukuk, und das Totemtier unserer Familie ist der Fuchs."

Der Roman hat mehrere Facetten und lässt sich unter verschiedenen Fragestellungen lesen: Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte und schildert einen besonderen Wertewandel, es ist aber auch ein Buch über Kolonialisierung und Alkoholismus.

Wer es als simple Abenteuergeschichte lesen will, muss fast vorsätzlich blind sein. Radau hat Ureinwohner nicht benutzt, um etwas zu erzählen, was mit ihnen nichts zu tun hat. Er respektiert den Ich-Erzähler und seine Kultur, und das macht er von Anfang an klar, als der sich in den ersten Sätzen des Buches nicht als "irgendein" Indianer vorstellt, sondern durchaus historisch korrekt mit Stamm und Wohngebiet.

Auch die matrilineare Kultur wird deutlich, als Little Fox zu Trapper-Fred sagt, dass der zu seinem Stamm gehöre, weil er mit der Schwester seines Vaters verheiratet gewesen sei.