Österreichs Klimaticket – ein Vorbild für Deutschland?

U-Bahn auf der Donaustradtbrücke in Wien. Archivbild: Tokfo / Wikimedia Commons

In der Debatte um das deutsche 49-Euro-Ticket wird gern über die Grenze geschaut. Dort bietet sich kein eindeutiges Bild. Parteipolitische Kämpfe und Föderalismus erschweren eine grundsätzlich sinnvolle Maßnahme.

Die Fragen rund um das österreichische Klimaticket sind komplex. Die Debatte darüber wird durchaus emotional geführt, weil an diesem Ticket die Frage klebt, inwieweit sich die grüne Regierungsbeteiligung "ausgezahlt" hat. Wurde hier tatsächlich ein richtungsweisendes Modell durchgesetzt oder ist es am Ende doch nur eine Mogelpackung?

Konnte damit tatsächlich ein Instrument gefunden werden, um die notwendige Verkehrswende in Gang zu bringen und sozial zu gestalten? Oder liegen die Probleme viel tiefer? Möglicherweise liegen im österreichischen Föderalismus und der gesellschaftspolitischen Gestaltung der ländlichen Region schwere Stolpersteine, an die sich die "grün-türkise" Bundesregierung, die dem eigenen Anspruch nach das "Beste aus beiden Welten" bieten wollte, nicht einmal herangewagt hat.

Vorbild Metropole Wien

Zur Geschichte: In Wien gibt es seit dem Jahr 2012 ein höchst erfolgreiches Jahresticket, das 365 Euro im Jahr kostet (richtig gerechnet: ein Euro am Tag). Dies war Ergebnis der damaligen grünen Regierungsbeteiligung in Wien, die mittlerweile aufgelöst wurde. Die Dauerregierungspartei SPÖ arbeitet dort jetzt mit den liberalen NEOs zusammen.

Tatsächlich sollte das Ticket sogar laut Grünen noch günstiger werden. Ein Euro am Tag war ein Kompromiss mit den Verkehrsbetrieben der Wiener Linien. Die Dauerkartennutzungen stiegen nach Einführung des neuen Jahrestickets stark. Möglicherweise folgten sie aber einem Trend, den es ohnehin gegeben hätte.

Die Frage wäre hier zunächst Wie viele Mitnahmeeffekte haben die Verkehrsbetriebe durch Bequeme, die sich kein individuelles Ticket pro Fahrt ziehen wollen, aber übers Jahr weniger als einen Euro am Tag verfahren, und wie viel Verlust entsteht durch die Ersparnisse der Vielfahrer:innen, die gerne auf die günstigere Variante umsteigen?

Diese betriebswirtschaftliche Frage ließ sich nie befriedigend beantworten. Zu viele Effekte spielen bei den Bilanzen mit, wie beispielsweise das rasante Wachstum der bald zwei Millionen Einwohner zählenden Stadt. Es fahren einfach immer mehr Menschen mit der U-Bahn – aus höchst unterschiedlichen Gründen.

Somit ist die entscheidende, umweltpolitische Frage ebenso schwer zu beantworten: War das 365-Euro-Ticket der richtige Impuls zum Umsteigen? Half es bei der nötigen Verkehrswende und beim Kampf gegen Klimawandel? Es gibt Studien, die dies eher mit "Ja" und andere, die dies eher mit "Nein" beantworten.

Es mag sein, ein doppelter Effekt zeichnet sich in Wien ab, der mit dem Ticket wenig zu tun. Das sehr aufgeklärte – nun ja – weltstädtische Publikum, dass sich um die Umwelt sorgt, nimmt die "Öffis" gerne, zugleich erzielt steigender Preisdruck und Verarmung, bei den weniger politisierten Bevölkerungsteilen den gleichen Effekt. Anders gesagt, den an der Umwelt wenig interessierten Personen wurde das Autofahren schlicht verunmöglicht und oder zumindest erschwert.

Die Nutzung des Wiener Nahverkehrs ist durchaus auch eine Klassenfrage. Die U-Bahn wird in Wien von gehobenen Ständen liebevoll der "Proletenschlauch" genannt. Der berüchtigte Wiener Privatbankier Julius Meinl V. (Meinl Bank) war stolz darauf, nie in seinem Leben die U-Bahn betreten zu sein. Gratulation! Ohne Frage liefert die U-Bahn in Wien kein getreues Sample der Stadtbevölkerung.

Die Wiener U-Bahnen sind allerdings vergleichsweise sicher, bequem, allerdings zu vielen Tageszeiten überfüllt. Wenn auch deutlich weniger als beispielsweise in London. Unterm Strich ist der Nahverkehr in Wien eine Erfolgsgeschichte – mit Jahresticket oder ohne.

Am Land herrschen andere Verhältnisse

Jetzt sollte der möglicherweise große Erfolg der Wiener Verkehrspolitik auf Österreich umgesetzt werden. Das "1-2-3-Ticket" stand im Koalitionsvertrag von ÖVP und Grünen. Vom ersten Augenblick an zeigten sich gewissen Schwierigkeiten. Wien hat eines der am besten ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetze der Welt und ist zugleich eine historisch ungewöhnlich verdichtete Stadt.

Wer Wien erstmals besucht, wundert sich, dass bis weit in die Vororte riesige gründerzeitliche Wohnhäuser stehen, mit bis zu 40 oder 50 Parteien im Haus. Eine solche Siedlungstruktur ist ideal, um mit Straßenbahn, U-Bahn oder S-Bahn erschlossen zu werden. Der soziale Wohnbau der berühmten Wiener Gemeindebauten wurde sogar meist um die Nahverkehrsanbindung rundherum gebaut.

Auf dem Land gibt es nichts Vergleichbares. Dies hat durchaus ideologische Gründe. Wer zur Miete wohnt und öffentlich fährt, gilt insgeheim als Sozialfall. Man hat einfach ein Auto, ein eigenes Haus und aus. Die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr sind hoch und im österreichischen System schwer zu schultern.

Bei einer möglichen Erweiterung der Wiener U-Bahn ins niederösterreichische Umland, das unmittelbar an Wien anschließt, winkten die dortigen Bürgermeister ab. Allein der Unterhalt einer U-Bahn Station würde die Hälfte des Budgets mancher Stadt im Speckgürtel verschlingen.

Es passiert folglich wenig im Ausbau der "Öffis" auf dem Land. Gleichzeitig kann die ruinöse Zersiedlung nicht aufgehalten werden. Österreich und die Schweiz sind einwohnerzahlenmäßig etwa gleich groß, aber Österreich hat doppelt so viele Straßen. Die meisten führen ins "Eigenheimglück". Dort einen Bus kurven zu lassen, der alle Landbewohner einsammelt, ist ein weiter Weg im buchstäblichen Sinn.

Ein weiteres Hindernis ist die in Österreich geradezu aberwitzige Aufteilung in winzige Bundesländer. Ganz Austria ist kleiner als Bayern, aber es gibt neun überaus geschichtsträchtige Bundesländer. Das Burgenland ist beispielsweise kleiner als Braunschweig. Jedes Bundesland verfügt – mit nicht geringem Stolz – über seine eigene Bauordnung.