Täuschend echt designte Kriegsspiele: Missbrauch vorprogrammiert?

Screenshot aus dem Spiel "Arma 3". Quelle: NotRealName321 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, meinte Schiller. Aber was, wenn Spiel und Realität kaum unterscheidbar sind? Computertechnik und KI bieten neue Manipulationsmöglichkeiten.

Im 15. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen schreibt Friedrich Schiller 1793: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." 230 Jahre später hat eine nie dagewesene Spielleidenschaft große Teile der Menschheit erfasst, die allerdings weniger mit Menschsein oder gar Menschlichkeit zu tun hat, als mit den Erfolgen einer rasch expandierenden Spieleindustrie.

Die Hamburger Datenfirma Statista schätzt die Einnahmen dieser Industrie für 2022 auf 197 Milliarden Dollar und die Zahl der Nutzer auf rund drei Milliarden. Die Statista-Wachstumsprognose klingt märchenhaft: 2030 sollen die Einnahmen weltweit auf mehr als 580 Milliarden anwachsen.

Die größten Marktanteile erwirtschaften die USA und der Hauptkonkurrent China, der Gigant Tencent allein mit mehr als acht Milliarden, gefolgt von Japan, Südkorea und Deutschland. Verdient wird an Spielkonsolen und technischem Zubehör sowie den Spielprogrammen selbst, die beiden wichtigsten Zweige sind Computerspiele und Apps für Smartphones. Bei den Computerspielen rechnet die Industrie mit Einkünften von rund 80 Dollar pro Spieler und Jahr.

Der Spielemarkt in China

Im Wettbewerb zwischen den Giganten USA und China lagen die Amerikaner trotz der geringeren Bevölkerungszahl bisher knapp im Vorteil, weil die chinesische Regierung den Inlandsmarkt stärker reguliert und weniger Lizenzen vergeben hat.

Wer die verbreitete Spiel- und Wettleidenschaft dort kennt, kann die Vorsichtsmaßnahmen gegen die als "geistiges Opium" gebrandmarkten süchtig machenden Spiele nachvollziehen. Aber auch in China setzen sich am Ende die wirtschaftlichen Überlegungen durch.

Das durch Covid-19 und die restriktive Eindämmungspolitik deutlich abgeschwächte Wirtschaftswachstum erfordert neue Wege zur Erholung. Im Dezember hat die National Press and Publication Administration in Beijing, die auch für die Lizenzierung von Videospielen zuständig ist, grünes Licht für 84 neue Spiele einheimischer Entwickler gegeben und weitere 44 importierte. Insgesamt gab es 2022 neue Lizenzen für 512 Spiele, was besonders für die Marktführer Tencent Holdings und NetEase und die 700 Millionen chinesischen Computerspieler wichtig war.

Bemerkenswert ist auch der Inhalt bestimmter Spiele. So bekam Tencent die Genehmigung für das amerikanische Kampfspiel "Valorant" der Firma Riot Games, bei dem es um weltweite Kampfsimulationen mit taktischen Raffinessen geht, aber letztlich um die Liquidierung der Gegner mit den üblichen kinetischen Waffenarsenalen.

Ein vergleichbar strategisches Kampfspiel wurde von Pokémon gekauft. Offenbar endet mit den neuen Lizenzen ein Versuch der chinesischen Behörden, den Suchtfaktor der Spiele wenigstens einzudämmen, etwa mit Spielzeitbegrenzungen pro Tag für Jugendliche unter 18 Jahren.

Die Öffnung kommt sicher nicht zufällig nur wenige Wochen nach der positiven Meldung des halboffiziellen Dachverbands der chinesischen Spieleindustrie, dass es gelungen sei, die Spielsucht unter Minderjährigen zu reduzieren.

"eSports" oder Computerspielen als Beruf

Wie in vielen anderen Bereichen von Hobby und Sport haben sich in den letzten zehn Jahren auch bei den Computerspielen sowohl ein weltweites Interesse als auch eine Professionalisierung entwickelt. Der Durchbruch gelang 2013 durch den ersten internationalen Wettkampf mit dem Spiel Dota 2, in dem jeweils fünf Spieler mit jeweils einem von jedem einzeln gesteuerten "Helden" gegeneinander kämpfen.

Es gewinnt die Mannschaft, die am Ende der Kämpfe die Bastion des gegnerischen Teams zerstören kann. Für diesen originären Wettkampf standen Preisgelder von 1,6 Millionen Dollar zur Verfügung und das siegreiche Team erhielt davon eine satte Million. Inzwischen sind die Preisgelder des jährlichen Turniers auf 30 Millionen angewachsen, von denen die Sieger 15 Millionen erhalten und die Zweitplatzierten immer noch 4,5 Millionen.

Trainer und Manager müssen auch bezahlt werden, aber das meiste geht an die Spieler, die allerdings auch Tausende von Stunden trainieren müssen, bevor sie eine Chance haben, ganz an die Spitze zu kommen. Das Preisgeld kommt aus der Werbung, die bei vielen Millionen Zuschauern der Turniere offenbar gut angenommen wird, voran von den Riesen der einschlägigen Industrien wie Corsair, AMD und Intel, aber auch die Logos von Red Bull, Honda oder Coca-Cola sind oft dabei.

Die Professionalisierung geht aber noch einen Schritt weiter. Auch Teams ohne Turniersiege können Sponsoren finden und nach Angaben der Werbeplattform ChartAttack verdienen die Spieler zwischen 1.500 und 5.500 Dollar im Monat.

Kriege und Kriegsspiele am Computer

Was in den 1980er-Jahren mit Pacman relativ harmlos anfing, allerdings auch schon eine Prise Vernichtung enthielt, hat sich inzwischen zu einem virtuellen Universum weiterentwickelt, in dem Kampf- und Kriegsspiele eine bemerkenswerte Beliebtheit erreicht haben. Mit einer Spielkonsole kann man von Messern, Schwertern, Speeren und Lanzen aus der Geschichte bis zu den modernsten Waffen unserer Zeit alles ausprobieren, was Leben auslöscht und die Gegner und ihre Panzer, Schiffe und Flugzeuge pulverisiert.

Welche Fantasien oder Aggressionen dabei ausgelebt werden, mögen die Psychologen, Psychiater und Anthropologen weiter diskutieren – aber Kämpfen, Zerstören und Töten zählen die meisten von ihnen zu den natürlichen menschlichen Veranlagungen. Trotzdem gibt es definitiv eine Tötungshemmung, die den Soldaten mühsam abtrainiert werden muss.

Diese bezieht sich weitgehend auf den Nahkampf, Auge in Auge. Je weiter und weniger sichtbar der Feind ist, desto leichter fällt das Töten. Und konsequenterweise, je weiter entfernt und nur auf einem Monitor als Punkt wahrnehmbar das Ziel ist, desto leichter fällt das Abdrücken.

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