Plädoyer für Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg

Kriegsverlauf und Hilfe aus dem Westen machen der Ukraine Mut. Doch die Strategie Putins ist perfid. Warum wir jetzt über eine Exit-Strategie reden sollten.

Der brutalste Angriffskrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bringt unvorstellbares Leid. Und es ist kein Ende in Sicht. Millionen Menschen sind obdachlos oder auf der Flucht. Die Wirtschaft ist im freien Fall. Die Infrastruktur wird täglich zerstört. Die zivilen Opfer steigen weiter um Tausende. Mindestens 100.000 Soldaten sind auf jeder Seite bislang gefallen und weitere Hunderttausende sind verletzt.

Doch der Verteidigungswille der Ukraine scheint ungebrochen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj setzt weiterhin auf den. Sieg und auf die Rückeroberung aller besetzten Gebiete. Der bisherige Verlauf des Krieges und die Unterstützung des Westens machen der Ukraine weiterhin Mut.

Russlands Präsident Wladimir Putin dagegen hat sich im Krieg bislang völlig verrechnet. Doch die schwerer militärischen Rückschläge führen bislang nicht zum Kollaps oder gar zur Aufgabe der Russen. Vielmehr werden die russischen Truppen verstärkt und neu aufgestellt. Die Verteidigungslinien werden befestigt und eine neue Offensive scheint nicht ausgeschlossen.

Der Politikwissenschaftler Christian Hacke war Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg und der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Bild: Raimond Spekking / CC-BY-SA-4.0

Putin setzt weiter auf eine zerstörerische Mini-Max Strategie: Verteidigung und Stabilisierung der seit Kriegsausbruch unter hohen Kosten besetzten Gebiete sind sein Minimalziel und wenn möglich, zielt seine Strategie auf weitere Eroberungen von ukrainischem Gebiet im Osten sowie auf langfristige Zermürbung und Zerstörung der gesamten Ukraine.

Die ideologische Mobilisierung der russischen Bevölkerung, bedingungslose und rücksichtslose Verteidigung des Status quo und der ungebrochene Wille, den Krieg weiter zu eskalieren stehen im kompromisslosen Gegensatz zur ukrainischen Sieg Strategie. Der Verlust an einsatzerprobten Kampftruppen sucht Russland durch Söldner, Reservisten, Exhäftlinge und Separatisten zu kompensieren.

Mangelhafte militärische Fähigkeit und fehlende politische Motivation soll durch rücksichtslosen Einsatz ersetzt werden. Putin dreht diese jungen Männer praktisch massenhaft durch den Fleischwolf.

Auch die Kosten für die Ukraine und den Westen steigen rapide an. Der ukrainischen Armee wird es zudem schwerer fallen, die Lücken zu füllen. Doch wegen des heroischen Widerstandes der Ukraine und der westlichen Waffenlieferungen ist vorerst keine Niederlage und damit aber auch kein Ende des Krieges in Sicht.

Das bittere Paradox: die Waffenlieferungen verhindern zum Glück eine Niederlage der Ukraine, verlängern aber leider den Krieg. Der Selbstbehauptungswille der Ukrainer ist bewundernswert. Seine Achillesferse aber ist Kompromisslosigkeit mit Blick auf einen verhandlungspolitischen Ausgleich mit Russland.

Allen Warnungen zum Trotz setzen beide Seiten nach wie vor auf Sieg; ein Verhandlungskompromiss erscheint deshalb derzeit unwahrscheinlich.

Nach wie vor blockieren die USA jedwede Verhandlungen, um den Krieg zu begrenzen, wie im März 2022, als ukrainisch-russische Friedensfühler mit der Perspektive einer neutralen Ukraine ausgestreckt wurden.

Warum? Die USA führen in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg mit dem Ziel, auf Kosten Russlands die eigene Einflusssphäre über Militärbasen in der Ukraine nach Eurasien weiter auszubauen. Dabei geht es ihnen weniger um ukrainische oder europäische Interessen. "Fuck the EU", erklärte Victoria Nuland, jetzt stellvertretende Außenministerin der USA, auf enthüllende Weise schon vor Jahren mit Blick auf die Ukraine.

Die Haltung und der Einfluss der EU auf den Krieg oder mit Blick auf Frieden ist trostlos und ratlos zugleich: Sie "degradiert sich zum willigen Mitläufer der USA und wird damit zum Mitschuldigen an diesem Krieg", so der ehemalige stellvertretende Generalsekretär der UNO, Michael von der Schulenburg.

Deshalb mehren sich mittlerweile auch in Europa die kritischen Stimmen, die die Kosten für die Ukraine nicht mehr bedingungslos tragen wollen. Selbst Nato-Generalsekretär Stoltenberg erklärte jüngst in Norwegen öffentlich, dass der Krieg außer Kontrolle geraten könne: "Und wenn dieser Krieg schiefgeht, dann geht er fürchterlich schief!"

Die Folgen für die Ukraine sind jetzt schon bitter genug: Kiew alleine kann ohne Unterstützung der USA nicht überleben und schon gar nicht über eine Beendigung des Krieges verhandeln.

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