North Atlantic Fella Organization (Nafo): Hybride Kriegsführung trifft Internet-Kultur

Informationskrieg: Wie eine Social-Media-Truppe mit ukrainischer (Gegen-)Propaganda Krieger dies- und jenseits des Atlantiks begeistert.

Krieg ist alternativlos. Nur der Sieger kann ihn beenden. Wer gegen den Krieg kämpft, hat schon verloren. Wer sich nicht auf eine Seite stellt, hat kein Gewissen. Wer die falsche wählt, ist ein Verräter. Und wer das alles bedingungslos glaubt, ist ein Opfer militaristischer Propaganda.

Nun schreiben wir das Jahr 2023, und auch Propaganda muss sich neu erfinden, um einsatzbereit zu bleiben. Im Internet-Zeitalter, gekennzeichnet von Oberflächlichkeit, "Verbreitungsdynamik" und "Kontrollverlust" (so die Schlagwörter), muss sie – mehr denn je – schnell sein, einflussreich und massentauglich.

Die "Nafo" – kurz für North Atlantic Fella Organization – , eine lose Gemeinschaft von Nutzern von Social Media, deren Mission es ist, gegen russische Propagandisten vorzugehen, hat es in unvergleichbarer Weise geschafft, Katzenvideos (und dergleichen) mit Kriegspropaganda, Online-Unterhaltung mit Strategischer Kommunikation zu verknüpfen.

Kriegsschauplatz Twitter

Wenn Brigadegeneral und Merkel-Berater a.D. Erich Vad in der Emma daran erinnert, dass eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts schon im April boykottiert wurde, und erwähnt, dass auch der US-amerikanische Generalstabschef einen militärischen Sieg für utopisch hält, oder er eine bellizistische "Gleichschaltung" in den deutschen Medien beobachtet haben will, sind die "Fellas", wie sich die Nafo-Mitglieder nennen, nicht weit.

Zum Beispiel Twitter-User "Troll-Buster", laut Profilbeschreibung ehemaliges Mitglied der Luftlandebrigade 31. In der Beschreibung finden sich neben dem Hashtag "DieMaskeBleibtAuf" und fünf Spritzen-Emoticons außerdem der Hashtag "WeAreNafo".

Troll-Buster fordert mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, bezeichnet Russland als "terrorist state", dessen Soldaten als "Orks", und plädiert für die Rüstungsindustrie-nahe und vorschnell kriegslustige Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) als Verteidigungsministerin.

Sein Kommentar zum Vad-Interview ergänzt Troll-Buster mit einem Meme, einer Internet-Bildcollage. Unter dem Schriftzug "Free The Leopards" zeigt es ein Abbild des deutschen Panzermodells mit zwei collagierten Shiba-Inu-Hundefiguren in Camouflage. Am Bildrand findet sich das Logo "Nafo-Ofan" im Nato-Design. Ohne Kontext kaum zu glauben, aber: Eine solche Hunde-Figur versetzte vor kurzem Bild-Redakteur Julian Röpcke in Schrecken.

Der "Bild-Militärexperte" ist bekanntlich – zusammen mit Ulf Poschardt und Paul Ronzheimer – Träger des Verdienstordens dritter Klasse der Ukraine. Cicero bot damals "Hofberichterstattung" für "Säbelrasseln" als Erklärung an. Umso mehr muss es Röpcke am 13. Januar getroffen haben, plötzlich als Verräter dargestellt zu werden.

Ein "verifizierter Nafo-Account" – mit obligatorischer Hundefigur im Profilbild – habe ihn auf Twitter mit dem Tod bedroht, weil er (wieder einmal) mittels Bildmaterial die Stellung der ukrainischen Armee lokalisiert hatte, so Röpcke.

Zu seiner Erleichterung ließ sich der Vorfall klären und der offizielle Nafo-Dach-Account distanzierte sich von der Drohung. In den sogenannten "DruKos" (Drunter-Kommentare) beteuerten einige Anhänger, dass die Nafo nun mal lose organisiert sei und daher eben nicht für alle Äußerungen Verantwortung übernehmen könne.

Wer Neuigkeiten zum Ukraine-Krieg auf Twitter verfolgt, kennt die Hunde-Truppe wahrscheinlich gut. Für alle, die sie nicht so gut kennen, folgen hier ein paar Hintergrundinfos.

Spenden für mutmaßliche Kriegsverbrecher

Die Nafo-Geschichte nach Aussage der Gründer im Mai 2022: Der US-Marine a.D. und Ukraine-Experte Matthew Moores wird bei Twitter auf die Postings von @Kama_Kamilia aufmerksam. Dahinter verbirgt sich der in London ansässige, polnischstämmige Videospiel-Reviewer Kamil Dyszewski.

"Kama" macht sich mit den weltbekannten Shiba-Inu-Memes, den "Fellas", über die russische Propaganda lustig. Moores hilft ihm, die Memes zu verbreiten. Aus dem Ulk wird Ernst, als "Leute" Kamil anfragen, auch für sie Fella-Memes für ihre Profil-Avatare anzufertigen.

Da die "Georgische Legion", ein Freiwilligenbatataillon, das in der Ukraine kämpft, zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach finanzieller Unterstützung gewesen sei, so Kama gegenüber dem Magazin Vice, fordert er künftig für jeden erstellten Avatar entsprechende Spendenbelege.

Die paramilitärische Truppe unterstützt die Ukraine seit 2014 im Kampf gegen die russischen Separatisten. 2018 sagten drei mutmaßliche ehemalige Mitglieder der Truppe aus, sie seien an den Scharfschützen-Attacken auf dem Maidan 2014 beteiligt gewesen. Im April 2022 kursierte ein Video, das die Legion mit Kriegsverbrechen gegen russische Soldaten in Zusammenhang brachte.

Gegenüber dem Spiegel berichtete Gründer Dyszewski im Oktober, dass die Nafo mittlerweile rund 20.000 offizielle Mitglieder zähle (davon rund 1.000 deutsche) und 500.000 Dollar Spenden gesammelt habe. 290.000 davon gingen an die "Georgian Legion". Mit den georgischen Kämpfern eint Dyszweski der "absolute Hass und die Verachtung gegenüber den Russen", wie er in einem Podcast im Juli 22 erklärte.

Im Herbst, nachdem das Nafo-Projekt richtig Fahrt aufgenommen hatte, geriet der polnischstämmige Brite aufgrund einstiger antisemitischer Postings öffentlich in Bedrängnis. Seine Nafo-Kumpanen stärkten ihm den Rücken und sprachen von jugendlichen Ausrutschern. Dyszewski löschte seine alten Tweets und beendete die Episode mit einer 50-Euro-Spende an das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau.

Vatniks, Bonks und Boykotte

Als Glanzpunkt der Nafo-Geschichte gilt den Fellas das erfolgreiche Trollen des russischen Diplomaten Mickail Ulyanov ("Keine Gnade für die ukrainische Bevölkerung").

Ulyanovs Behauptung, die russische Invasion sei erfolgt, weil die Ukraine Zivilisten unter Beschuss genommen habe, deutete ein Nafo-User als Rechtfertigung für den Angriff auf ukrainische Zivilisten. Ulyanovs Antwort – "You pronounced this nonsense. Not me" – wurde selbst zum Meme der Nafo-Allianz.

Ein weiteres bekanntes Meme in den Nafo-Kreisen lautet: "What air defense doing?" Die wenig lustige Referenz ist die Reaktion eines pro-russischen Accounts auf den ukrainischen Angriff des russischen Luftwaffenstützpunkts auf der Krim. 60 Menschen kamen dabei ums Leben.

Abgesehen von Spendensammlungen und dem Trollen russenfreundlicher Accounts erschöpft sich die Arbeit der Nafo darin, unliebsame Twitter-User anzuschwärzen oder auch russische Veranstaltungen im Westen zu sabotieren – etwa durch den Aufkauf von Tickets.

Dabei gilt den Fellas alles, was in Richtung Frieden oder Verhandlung weist, als russische Propaganda. Diejenigen, die darauf reinfallen, nennen die Fellas "Vatniks", ein Begriff der wiederum auf ein Meme zurückgeht, welches ein Russe unter dem nicht nur in Deutschland denkwürdigen Pseudonym "Jedem das Seine" 2011 postete.

Das Engagement geht so weit, dass deutsche Accounts Gleichgesinnte in den USA auf Anti-Kriegs-Veranstaltungen aufmerksam machen. Wenn darin eine "opportunity to bonk" erfragt wird, ist damit Sabotage gemeint. "Bonk" ist – es wundert Sie vielleicht nicht mehr – ebenfalls einem Meme entlehnt, in dem ein Shiba Inu einem anderen wahlweise mit Baseballschläger oder Hammer auf den Kopf schlägt.