Journalismus im Befeuerungsmodus: "Zeitenwende" ohne Zögern?

Olaf Scholz (SPD) sollte nach Meinung vieler Journalisten weniger Bedenken gegen deutsche Panzer im Ukraine-Krieg haben. Foto: FinnishGovernment / CC BY 2.0

Mediale Mobilmachung: Warum die Formulierung "zögerliche Haltung" in Nachrichten nichts zu suchen hat. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die Position des Kanzlers wird sie dennoch eifrig genutzt.

Sie ist dieser Tage in vielen Medien anzutreffen und wird geradezu inflationär erwähnt: die sogenannte "zögerliche Haltung" vor allem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), diesmal mit Blick auf die von vielen Politiker:innen und Medienschaffenden geforderte Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an die ukrainische Armee.

Bemerkenswert ist, dass diese Formulierung sehr häufig in nachrichtlichen, also vorgeblich informationsbetonten Texten auftaucht. Inwiefern ist aber "zögerliche Haltung" ein relativ sachlicher, objektivierender Ausdruck? Der Duden umschreibt "zögerlich" mit "abwartend, ängstlich, entschlusslos, entschlussunfähig". Also mit zumindest drei klar negativ wertenden Eigenschaftswörtern. In Journalismus und generell in professioneller Kommunikation ist ein Gegentest ein probates Mittel, um Sprache angemessen zu verwenden.

Ist in der derzeitigen Nachrichtenlage auch nur denkbar, dass geäußert würde: "die bedachtsame Haltung" oder eben "die sorgsam abwägende Haltung" oder auch nur "die vorsichtige Haltung" von Scholz? Nein, das ist extrem unwahrscheinlich – so etwas würde sofort und machtvoll als positiv wertende Kommentierung verurteilt. Sicher nicht zu unrecht. Das heißt aber umgekehrt, dass die massenhaft verwendete Wortgruppe "zögerliche Haltung" in Nachrichten abseits von Zitaten (wie "Selenskyj kritisierte eine "zögerliche Haltung" der Bundesregierung") buchstäblich nichts zu suchen hat.

Bemerkenswert folgender Befund zum Stichwort "zögerliche Haltung" in der Datenbank "Genios", in der viele wichtige deutsche Medien nach 1945 archiviert sind. Die Wendung "zögerliche Haltung" taucht in diesem umfassenden Medienarchiv erstmals für den 3. August 1948 auf, mit Verweis auf einen Artikel der Nord-West-Zeitung. Dann erst wieder am 10. Mai 1974 in einem Beitrag der Zeit. Sehr stark exponentiell wächst der Gebrauch dieser Wendung dann im Februar 2022, als Wladimir Putin Teile der russischen Armee in die Ukraine einmarschieren ließ.

Seitdem wird, verglichen mit den Jahren und Jahrzehnten davor, in großer Anzahl "zögerliche Haltung" (vor allem des Kanzlers) verwendet, mit Blick auf immer weitergehende Forderungen nach quantitativ und qualitativ neuen Waffenlieferungen. Trotz dessen "Zeitenwende"-Rede, trotz 100-Milliarden-Euro-Rüstungsprogrammes, trotz laufender Waffenlieferungen in wachsenden Umfängen und Qualitäten an die Armee der Ukraine.

"Es gibt nichts, was neutral wäre"

Hier sollen einige Aspekte dieser Diskursverschiebungen rekonstruiert und kritisiert werden. Zweierlei mag zum journalistischen und sonstigen kommunikativen Grundwissen gehören:

1.) Jedes Wort wertet – ein Wort, welches uns komplett gleichgültig wäre, würden wir gar nicht (er-)finden und nutzen. Jede scheinbar noch so sachliche Äußerung hat eine zumindest leichte Tendenz zur entweder positiven oder negativen Bewertung. Denn wir Menschen wählen ja aus der Unendlichkeit möglicher Aspekte unserer Mitwelt genau die ziemlich wenigen Punkte aus, die uns interessieren.

Die – warum und inwiefern auch immer – für uns zumindest nicht komplett unwichtig sind. Denen wir uns als endliche Wesen mit unseren begrenzten Ressourcen zuwenden. Der US-Psychologe Jonathan Bargh von der New York University, der seit Jahrzehnten dazu forscht, wie emotionale Bewertungen unsere Wahrnehmungen beeinflussen, bringt diese These so auf den Punkt:

"Es gibt nichts, was neutral wäre. Wir müssen erst noch etwas finden, was unser Verstand mit völliger Unvoreingenommenheit betrachtete, ohne zumindest ein leichtes Urteil der Sympathie oder Abneigung."

2.) Hinzu kommt, dass gerade Adjektive als Eigenschaftswörter genau das tun: Sie sprechen bestimmten Nomen – Worten (Substantiven), die Bestehendes wie Dinge oder Lebewesen benennen sollen – besondere Eigenschaften zu. Sie werten also mehr und genauer (und damit oft auch noch "einseitiger" im Sinne von positiv oder negativ), als es womöglich schon die Nomen (Substantive) selbst tun.

Sparsam und reflektiert mit Adjektiven umgehen!

Daher soll im informationsbetonten Journalismus, vor allem im Nachrichtenjournalismus, nicht zuletzt mit Adjektiven möglichst sparsam und jedenfalls besonders reflektiert umgegangen werden. Die jetzt so omnipräsente Formulierung "zögerliche Haltung" ist ein idealtypisches Beispiel für unangemessene Verwendung von Adjektiven, sofern Nachrichten besonders objektivierend informieren sollen.

Warum nicht schlicht von "Haltung" oder "Position" schreiben? Wie diese uns ja durchaus bekannte "Haltung" des Kanzlers dann zu bewerten wäre, jetzt gerade mit Blick auf die etwaige Lieferung bestimmter deutscher Kampfpanzer, ob als "zögerlich" oder eben "abwägend" – diese Schlussfolgerung mögen journalistische Medien doch bitte ihren Nutzerinnen und Nutzern überlassen. Oder es wiederum in ausdrücklich meinungsbetonten Beiträgen (Kommentaren, Glossen, Essays, Kolumnen etc.) selbst begründet bewerten.

Stattdessen lässt sich in diesen Krisen- und Kriegszeiten eher das Gegenteil beobachten: Die Formulierung "die zögerliche Haltung von Scholz" verselbständigt sich. Und setzt sich in gewisser Weise absolut, mit Blick auf viele reichweitenstarke etablierte Medien. Man sagt es als Journalist:in vermutlich ohne großes Nachdenken, weil es "alle" (anderen Journalist:innen) auch genau so sagen. Anstößig wäre es mittlerweile wohl eher, auf das deutlich wertende Eigenschaftswort "zögerlich" zu verzichten.

Obwohl in diesem Falle die bloße Nennung von lediglich "Haltung" einen Gewinn an Rationalität bedeutete im Unterschied zur Abwertung als "zögerliche Haltung", scheint grundsätzlich und auf einer höheren Ebene gerade beim Thema journalistische "Haltung" ein Problem zu liegen, das genau mit solchen höchst fragwürdigen, pseudonachrichtlichen Formulierungen wie "zögerliche Haltung" zu tun hat.

Nämlich: inwiefern sollten Journalist:innen eine "Haltung" haben? Und inwiefern sollte sich diese auch oder gerade im informationsbetonten Journalismus zeigen? Wie Peter Welchering zu Recht unterstreicht, wird in solchen Debatten, sofern sie in Redaktionen überhaupt geführt werden, oft "Haltung" mit "Gesinnung" verwechselt.

Um es hier kurz und praktisch zuzuspitzen: "Zögerliche Haltung" entspricht als Formulierung in der Regel einer bestimmten "Gesinnung" (das ist nicht abwertend gemeint). Einfach "Haltung" hingegen als Formulierung zum Beispiel in der Meldung entspräche am ehesten einer professionell-journalistischen Haltung, die zumindest auf gewisse Differenzierungen zwischen Informations- oder Meinungsbetontheit journalistischer Beiträge und Formulierungen achtet.

Präsentation als beschlossene Sache, die nicht in die Gänge kommt

Kürzlich sagt der RBB-Inforadio-Moderator nach der Meldung, dass es in Ramstein keine Einigung in Sachen Panzerlieferungen gegeben habe: "Damit bleibt es weiter offen, wann diese Panzer nun endlich geliefert werden". Und macht damit einen letzten, besonders fragwürdigen Aspekt der Formulierung "zögerliche Haltung" deutlich: darin steckt neben all dem schon erwähnten Problematischen natürlich auch der ideologische Punkt, dass der ganze Ablauf schon klar wäre und nur einem bestimmten, vorgegebenen Ziel und Zweck folgen könnte.

Dass diese Vorgabe erreicht wird, ist klar, fraglich bleibt nur, wann und wie. Diese "Teleologie", dass also die Entwicklung sich auf einen vorausgesetzten Endzustand hinbewege, dass Geschichte eben nicht "offen" sei, ist eine Tendenz, die an "geschlossenen Gesellschaften" oder auch umfassenden Gesellschaftsmodellen (wie denen von Hegel oder Marx) gerade von selbst ernannten Liberalen lange Zeit kritisiert wurde. Auch hier, um im Bild zu bleiben – "Zeitenwende" ohne Zögern?