Gute Kriege, schlechte Kriege?

Völker- und menschenrechtliche Bilanz des Westens ist global betrachtet verheerend. Dennoch sieht man sich dort als Wahrer von Recht und Moral. Ein Plädoyer für das Völkerrecht und kritische Medien.

Wie der sich verfestigende Krieg in der Ukraine, hat sich auch in der Berichterstattung und Kommentierung rund um diesen Krieg ein Narrativ verfestigt, das als Teil einer Regierungssprachregelung erkannt werden muss: Es weist die Begriffe "Zeitenwende" (Jugoslawienkrieg 1999 unter deutscher Beteiligung) und "Zivilisationsbruch" (Holocaust) nun dem russischen Angriff auf die Ukraine zu, so als hätte Wladimir Putin den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg erfunden.

Das ist Relativierung. Das Wording blendet nicht nur die Vorgeschichte des aktuellen Kriegsgeschehens in der Ukraine aus, sondern auch die gesamte Geschichte völkerrechtswidriger Kriege seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs inklusive des illegalen Sturzes gewählter Regierungen, wovon sich der Putsch gegen Irans demokratisch gewählten Premier Mohammad Mossadegh in diesem Jahr zum 70. Mal jährt.

Das Framing durch gezielte Auslassungen – ein Markenzeichen strategischer Kommunikation – stützt die Politik des Diplomatie-Abbruchs gegenüber der Russischen Föderation und das Kaschieren der Wirtschaftskrise durch die Militarisierung auf allen Ebenen.

Das führt einerseits zu Protesten gegen erkennbare Doppelstandards. Aber es führt andererseits bei einigen Kritikern des politischen Kurses auch zu einem neuen Doppelmaß. Und das ist fatal.

Um die große Falle, die die Betreiber von Diskursverengung und Diskursverschiebung aufgestellt haben und in die manch Wohlmeinende hinein stolpern könnten, geht es in diesem Beitrag.

Wenn das Doppelmaß die Standards ersetzt

Russlands Präsident Putin hat der Ukraine mit seiner "Spezialoperation" am 24. Februar 2022 de facto den Krieg erklärt; er lässt das Land seither von mehreren Seiten bombardieren und seine Truppen einmarschieren. So berechtigt und notwendig die Empörung über den Angriff ist, der auch durch die Selbstermächtigung zur Vereinnahmung der schon lange unter (ukrainischem) Beschuss stehenden Oblaste Donezk und Luhansk nicht wettgemacht wird, so erschreckend ist der Doppelstandard in seiner Bewertung und die Relativierung vergleichbarer Kriegsverbrechen von "befreundeten" Kriegstreibern.

Ganz offiziell erklärt die deutsche Bundesregierung auf Anfrage, dass sie nur den aktuellen Krieg gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig einstufe, die Bewertung früherer Kriege jedoch ablehne. Dies weist darauf hin, dass die Bundesregierung nicht an sachlicher Bewertung interessiert ist, sondern von Interessen geleitet zu sein scheint. Da es offensichtlich um Gemeinwohl und Erfüllung des Amtseids nicht mehr geht, braucht es strategische Sprache, um die Einhaltung der gerne hochgehalten "regelbasierten Ordnung" eines "Wertewestens" dennoch zu suggerieren.

Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 eskaliert also nicht nur bereits bestehende Konflikte und Kämpfe, er ermöglicht es auch der deutschen Bundesregierung offiziell eine "Zeitenwende" zu erklären, die wir seit über 20 Jahren haben, und auf eine kreditfinanzierte Kriegswirtschaft – mittels "Sondervermögen" – zu setzen.

Tatsächlich befinden wir uns im Jahr 24 der neuen Weltkriegsordnung, die mit den gravierenden Rechtsbrüchen im Jugoslawien-Krieg und der daraus resultierenden Nato-Doktrin 1999 eingeleitet worden ist.

Die darin formulierten Kriegsgründe – "humanitäre Intervention", "Ressourcensicherung" und "starke Migrationsbewegungen" – sehen wir heute allerorten greifen. Das Völkerrecht wird kaum noch bemüht, UNO und OSZE wurden über Jahre ins Abseits gestellt – vor allem durch die USA, die notfalls auch mit einer "Koalition der Willigen" zu Felde zieht, ob die UNO ihr nachträglich eine Resolution zubilligt oder nicht.

Die sich im Kontext von Klimakrise und Ressourcenkämpfe sowie Flucht- und Migrationsbewegungen abzeichnende Weltkriegsordnung wurde also von den führenden Strategen frühzeitig ins Auge gefasst. Die Gelegenheit ist nun günstig, sie dem entgleisten Putin als Alleinverantwortlichem zuzuweisen.

Gute Aussichten sind das wahrlich nicht, weil es ein Schlaglicht auf das Ziel der diskursiven Eskalation hierzulande wirft und im Falle eines begrenzten Atomkriegs auf europäischem Boden nur einer gewinnt: die weit entfernten USA, die bereits durch die Änderung des Energiemix in Europa, der nun auch bis dato unverkäufliches Fracking-Gas umschließt, zu den Kriegsgewinnlern zählt.

Untermauert werden die einseitigen Schuldzuweisungen durch sprachliche Lenkung. Der Phrase vom "War on Terror" eines George W. Bush, die das Völkerrecht nachhaltig ausgehebelt und Staatsgrenzen für obsolet erklärt hat, folgte eine weitere strategische Phrase, die des "preemptive strike", die als Bush-Doktrin uns weiter unten noch beschäftigen wird.

Weitere strategische Begriffe, sogenannte Spins, sind "asymmetrischer Krieg" oder "hybride Kriegsführung". Sie ermöglichen eine Täter-Opfer Umkehr im machtanalytischen Sinne. Sie dienen dem Erhalt bestehender Machtverhältnisse und suggerieren eine "Übermacht des (eigentlich unterlegenen) Bösen".

Eine verbale False-Flag-Operation also, die dazu dient, das militärische Vorgehen einer Übermacht als "Selbstverteidigung" zu inszenieren. Desinformation und Manipulation durch strategische Sprache kann also nicht nur Putin.

Er kopiert zudem erfolgreiche Strategien sowohl der Kriegspropaganda (vgl. Bush-Doktrin des preemptive strike) als auch der Kriegsführung (vgl. Warden-Doktrin der Five Rings, die u.a. in Jugoslawien Anwendung fand) zur Zerstörung ziviler Infrastruktur. Verurteilt und dämonisiert wird im Freund-Feind-Schema aber nur die Feindseite und das ist im deutschen Kriegsdiskurs einzig Russland.

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