Mit oder ohne Wagenknecht: Quo vadis, Die Linke?

Nicht alle, die sie wegen mancher Positionen schon länger scharf kritisieren, wüssten im Fall ihres Parteiaustritts auch gleich, wie es weitergeht. Foto: DiG/Trialon

Mit der angekündigten Entscheidung, ob sie eine neue Partei gründen will, sorgt die Mandatsträgerin für Unmut. Doch die Lager sind neu durchmischt. Ein Kongress im Mai soll zur Klärung beitragen.

Eine Satire über Sahra Wagenknecht, die ohne Geschichtsrevisionismus, ohne Sexismus und ohne den Vorwurf der Feindbegünstigung auskommt, hat schon fast Seltenheitswert, seit die Noch-Linke-Politikerin im Februar mit der Emma-Gründerin Alice Schwarzer das "Manifest für Frieden" veröffentlicht hat.

Eine solche Satire befasste sich neulich mit ihrer unbestreitbar häufigen Abwesenheit im Bundestag und ihrer ebenso unbestreitbar häufigen Präsenz in Talkshows. Das ist auch innerhalb ihrer Partei ein seit Jahren wiederkehrender Kritikpunkt. Jetzt, wo sie vor wenigen Tagen öffentlich eine Frist genannt hat, in der sich entscheide, ob sie eine neue Partei gründen werde – "Als One-Woman-Show kann ich das nicht" – wird wieder verstärkt problematisiert, dass sie eigentlich seit Jahren die Ressourcen ihres Mandats nutze, um ihr eigenes Ding zu machen. Nun soll bis "Ende des Jahres" klar sein, wie es weitergeht.

"Jetzt gibt es nun wirklich nichts mehr zu interpretieren oder zu analysieren. Der Anstand und der Respekt vor den Mitgliedern und den Wähler:innen gebietet es, dass sie ihr Mandat abgibt und sich Zeit nimmt für was auch immer", twitterte daraufhin am Wochenende der Brandenburger Linken-Chef Sebastian Walter.

Laut Anwesenheitslisten des Bundestags hat Wagenknecht 2022 bei den letzten neun namentlichen Abstimmungen im Parlament gefehlt; sie selbst spricht von "Terminkollisionen".

Berechtigte Kritik und staatstragende Schmähkritik

Als das Satire-Portal Der Postillon dazu titelte: "Bundestag will Sitzung im Talkshow-Format abhalten, damit Sahra Wagenknecht mal wieder vorbeischaut", klang das allerdings angenehm fair.

Denn manch andere Wagenknecht-Satire sah in letzter Zeit verdächtig nach Brainstorming von Kaiser Wilhelm, Joseph McCarthy und Mario Barth auf Jägermeister und Speed aus. Im manipulierten Zusammenschnitt einer Wagenknecht-Rede machte das "Bohemian Browser Ballett" als öffentlich-rechtlicher Auftragnehmer vor allem Frauen klar, dass sie metaphorisch zum Abschuss freigegeben sind, wenn sie antimilitaristische Positionen vertreten: "Alice Schwarzer und ich fangen jetzt auch an, uns die Schamhaare zu rasieren, um Putin ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten."

Durchmischung der Lager im innerparteilichen Streit

Klar ist: Der Ukraine-Krieg und die toxische Stimmungsmache gegen alles Friedensbewegte in Deutschland haben die Lager in der Linkspartei noch einmal durchmischt. So wurde Wagenknecht in den letzten Wochen zumindest punktuell von Linken verteidigt, die in den letzten Jahren nicht gut auf sie zu sprechen waren – weil sie vor allem zur Migrations- und Klimapolitik Töne angeschlagen hatte, die nur schwer mit dem Programm der Linkspartei vereinbar schienen.

Einige, die sie deshalb kritisierten und immer noch kritisieren, haben aber ähnlich große Vorbehalte gegen Parteifreunde aus dem "Reformerlager", die sich für eine baldige Regierungsbeteiligung auch schnell zur Nato bekennen und und den militärischen Lösungsansatz mit weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten würden. In diesem Punkt vertritt Wagenknecht gemäß Parteiprogramm die konsequentere linke Position.

Manche, die das so sehen, würden sich aber aus den erstgenannten Gründen keiner neuen Partei mit ihr an der Spitze anschließen. Sie könnten dann aber in der "alten" Linkspartei mit ihren antimilitaristischen Positionen auf verlorenem Posten stehen, weil wiederum zu viele Antimilitaristen in die neue Partei abgewandert sind.

Thies Gleiss, der zeitweise dem Parteivorstand angehörte und in der Strömung "Antikapitalistische Linke" aktiv ist, nennt die Gemengelage "schwierig". Er kritisiert Sahra Wagenknecht seit Jahren – aber nicht wegen ihrer antimilitaristischen Positionen, für die sie momentan am heftigsten angegriffen wird. Gleiss warf ihr mehrfach eine unsolidarische Haltung gegenüber Geflüchteten und "nationale Borniertheit" vor. Als sie 2021 in dem Buch "Die Selbstgerechten" mit linker Identitätspolitik abrechnete, sah Gleiss bereits ihre Trennung von der Partei kommen und betonte, er bedauere das "angesichts ihrer Inhalte" nicht.

Die von Wagenknecht und Schwarzer initiierte Friedenskundgebung am 25. Februar in Berlin nannte Gleiss zwar "politisch schwach und ambivalent", nahm sie aber im Gespräch mit der linken Tageszeitung junge Welt gegen aus seiner Sicht falsche und überzogene Vorwürfe in Schutz. Unterstellungen, es habe sich um eine "Querfront" mit Rechten gehandelt, nannte er "durchsichtige Albernheiten des politischen Gegners".

Eine Querfront wird es dann, wenn es bewusste Absprachen und Desorientierungen in den politischen Grundlagen für gemeinsame Aktionen gibt, die von bekannten linken und rechten Gruppen oder Prominenten betrieben werden. Das ist hier nicht geschehen.


Thies Gleiss, Antikapitalistische Linke

Der Hamburger Linke Andreas Grünwald wäre dagegen ziemlich sicher dabei, falls es zu einer Neugründung durch das sogenannte Wagenknecht-Lager kommt. Ausgemacht ist das nach seiner Aussage aber noch nicht. Wenn die Mehrheit der Linkspartei "ohne Einschränkungen zurück zum Erfurter Programm" kehre, gäbe es für eine Neugründung keine Grundlage, betonte Grünwald am Wochenende gegenüber Telepolis. Ansonsten scheine ihm die Sache klar zu sein.

Mehr dazu soll laut Grünwald am 6. Mai auf einem Kongress unter dem Motto "Was tun?! – Die Linke in Zeiten des Krieges" in Hannover besprochen werden.

Das Problem ist allerdings, dass in anderen Punkten auch Wagenknecht Abweichungen vom Erfurter Parteiprogramm von 2011 vorgeworfen werden, das manche ihrer Parteifreunde wohl anders lesen als andere – dass eine zeitliche Einordnung von "Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen" fehlt, hat in der Vergangenheit mehrfach für Streit gesorgt, da Wagenknecht öffentlich immer wieder betonte, dass sie dies für eine sehr ferne Utopie hält.

Antimilitaristen, die den "linkskonservativen" Kurs von Wagenknecht – Gleiss nennt ihn "national-sozialdemokratisch" – im 21. Jahrhundert für eine Sackgasse halten, könnten politisch heimatlos werden, wenn es endgültig zum Bruch kommt.

Ex-Parteichef Bernd Riexinger droht Wagenknecht mit einem Ausschluss: "Sobald es konkrete Schritte zu einer Neugründung gibt, darf es für sie keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben", sagte Riexinger dem Portal The Pioneer am Montag.

Die Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde

Nur einige Tage zuvor hatte der Ko-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, für eine stärkere Rolle Wagenknechts in der Partei geworben.

Hier dürfte auch die Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde, die mit der aktuellen Wahlrechtsreform nicht mehr durch Direktmandate zu umgehen ist, eine Rolle spielen. Hätte diese Regel schon 2021 gegolten, wäre Die Linke bereits jetzt nicht mehr im Bundestag vertreten. Jahrelang galt Wagenknecht als wichtiges "Zugpferd". Allerdings würde eine neue Partei mit ihr an der Spitze laut Umfragen zu großen Teilen von Menschen gewählt werden, für die es in letzter Zeit keine Option war, ihre aktuelle Noch-Partei zu wählen.

Laut einer Anfang März veröffentlichten Spiegel-Umfrage könnten sich 64 Prozent der bisherigen AfD-Wähler vorstellen, für das mögliche neue Projekt mit Wagenknecht an der Spitze zu stimmen. Insofern wäre es als Deradikalisierungsprogramm aus antifaschistischer Sicht nicht zu verachten. Aber deradikalisierte Ex-AfD-Anhänger sind eben noch keine Linken.

Die Frage ist, was sie von einer neuen Partei erwarten – und wie viel Verständnis Linke in dieser neuen Partei für einen antiökologischen Standort-Deutschland-Egoismus aufbringen müssten.

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