Bachmut als Symbol für Kompromisslosigkeit

So sah die Stadt bereits vor einem Monat aus. Die genaue Zahl der Gefallenen ist ungewiss, aber hoch. Foto: Armed Forces of Ukraine / CC-BY-4.0

Selenskyj meint, eine Aufgabe der umkämpften Stadt könne den Druck auf ihn, Kompromisse zu schließen, erhöhen. Kiew setzt auf Offensive.

Der Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut ist noch lange nicht entschieden. Die Russen haben nach Informationen des American Institute for the Study of War (ISW) 65 Prozent des Stadtgebiets im Laufe der letzten Monate erobert und eine Weile sah es so aus, dass die ukrainische Armee bald den Rückzug aus dem von drei Seiten eingeschlossenen Ort antreten würden.

Unerwartete ukrainische Verstärkung in Bachmut

Doch es kam anders. Gerade als Spekulationen über einen Abzug ihren Weg sogar in die deutsche Presse fanden, verstärkten die Ukrainer unerwartet ihre örtlichen Truppen. So ging seitdem der russische Vormarsch, getragen auch von der privaten Söldnertruppe PMC Wagner, nur sehr langsam voran. So brachten nach ISW-Angaben in der letzten Woche die Russen nur zwei Quadratkilometer des Stadtgebiets neu unter ihre Kontrolle, was sie etwas näher an das Zentrum heranbrachte.

Für einen entscheidenderen Erfolg hätten die russischen Truppen die letzte Versorgungsroute der Ukrainer von Westen einnehmen müssen. Diese Einnahme konnten die ukrainischen Truppen unter großer Kraftanstrengung verhindern, auch wenn die Straße unter russischem Beschuss steht. Nach Auskunft des Militärexperten Alexander Kowalenko gegenüber der exilrussischen, regimekritischen Onlinezeitung "The Insider" gibt es in Bachmut aktuell keine stabile Situation.

Die PMC-Wagner-Söldner wären aufgrund großer Verluste von regulären russischen Einheiten verstärkt worden. Sie versuchten weiter von Norden und Süden auf das Stadtzentrum vorzurücken, während von Osten der Vormarsch komplett zum Erliegen gekommen sei.

Um die Russen an der Übernahme von Bachmut zu hindern, setzen die Ukrainer eine große Streitmacht ein, die angesichts der oft postulierten geringen strategischen Bedeutung der Stadt überrascht. 80.000 ukrainische Soldaten sollen laut der regierungsnahen Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta vor Ort kämpfen.

Das wären mehr als die Einwohnerzahl der inzwischen weitgehend entvölkerten Stadt vor dem Krieg. Während die Nesawisimaja Gaseta berichtet, die offensive Initiative vor Ort läge weiter bei den russischen Truppen, geben westliche Medien an, der Vormarsch der Russen in der Stadt sei gestoppt worden.

Truppenbedarf wäre anderswo groß

Brauchen würde Kiew die dortigen Truppen eigentlich an anderer Stelle, weiter im Süden, bei der oft in Presseberichten unter Berufung auf Kiewer Offizielle angekündigten ukrainischen Gegenoffensive im April oder Mai. Ob diese erfolgreicher wird als die weitgehend stecken gebliebene Winteroffensive der Russen, ist unsicher.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht selbst in einem Interview mit einem japanischen Journalisten davon, dass die Lage in der Ostukraine für die eigenen Truppen "nicht gut" sei und es seinen Truppen an Munition mangele. So wäre es eigentlich logisch, alle verfügbaren Kräfte zur Offensive zusammenzuziehen, um ihr eine Chance zu geben.

Diese findet aber voraussichtlich weiter südwestlich von Bachmut statt, in der Region Saporischschja, glaubt nicht nur die exilrussische Onlinezeitung Meduza.

Auch der russische Ex-Militär und Strategieexperte Wladimir Popow geht in der Nesawisimaja Gaseta von einem Eroberungsversuch an dieser Stelle aus. Dort könnte durch einen Vorstoß zum Asowschen Meer das russisch besetzte Gebiet in zwei Teile geteilt werden.

Um das zu erreichen, glauben Militärexperten beider Seiten mit einem ukrainischen Einsatz der von der NATO gelieferten modernen Panzer bei einer solchen Offensive, wobei der deutsche Typ Leopard 2 die meiste Erwähnung findet. So bezeichnete etwa durch den ukrainischen Verteidigungsminister bei einem TV-Interview in Estland den Typ als "Mercedes" unter den Panzermodellen.

Wladimir Popow geht von aktuell 200 westlichen Panzern in der Ukraine aus. Genau aus dem prognostizierten Durchbruchsgebiet berichten Quellen von vor Ort auch von schwerem Beschuss der Ukrainer auf russisches besetztes Gebiet unter anderem mit von den USA gelieferten HIMARS-Raketenwerfern, wobei auch zivile Infrastruktur getroffen worden sein soll. In der getroffenen Stadt Melitopol kam es zu einem Stromausfall.

Bollwerk Bachmut schadet den Offensivplänen

Ein Problem bei all diesen großen Planungen sind die knappen Ressourcen der Ukrainer, von denen im Kampf um Bachmut noch viele gebunden sind. So kann der aus symbolischen Gründen hoch gehaltene Widerstand in der fast eingeschlossenen Stadt der zu erwartenden Offensive Durchschlagkraft kosten.

Interessant dabei ist, dass Präsident Selenskyj in einem Interview mit AP News erklärte, eine Niederlage in Bachmut werde dazu führen, dass ihn die Internationale Gemeinschaft und Kräfte im eigenen Land zur Annahme eines Kompromisses mit den Russen drängten.

Solche Aussagen zeigen, dass Bachmut weniger als Symbol für einen heldenhaften Widerstand der Ukrainer als zu einem der fehlenden Kompromissbereitschaft ihrer Führung taugt. Diese führt hier sogar zur Inkaufnahme einer Schwächung der kommenden eigenen Offensive.

Putin reagierte auf all diese Berichte in einem Interview mit der staatlichen Medienholding WGTRK mit der eigenen Ankündigung, 1.600 eigene Panzer in Russland zusätzlich zu produzieren oder zu modernisieren und an die Front zu werfen. Darunter könnten auch technisch stark veraltete Modelle der Typen T-54 und T-55 sein, glaubt das "Conflict Intelligence Team", eine Gruppe von russischen Regierungsgegnern, die häufig mit westlichen Medien kooperiert. Dieses ist die Quelle zahlreicher Meldungen, die von der Verlegung solcher Uraltpanzer aus Lagern in Russisch Fernost in Richtung zur Kriegszone berichten.

Ob wirklich die Verstärkung der Russen nur aus Oldtimer-Panzer besteht, bleibt abzuwarten – mit der größten Panzerschlacht in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg mit entsprechenden Todesopfern ist zu rechnen.

Gesicherte Opferzahlen sind rar – die Opfer aber zahlreich

Die Opferzahlen des grausamen Krieges im ukrainischen Osten steigen währenddessen auch vor der Offensive stetig an, wobei die gemeldeten Zahlen meist Spekulationen und Schätzungen sind, die häufig die Verluste der eigenen Seite ausschweigen und die des Kriegsgegners übertreiben.

Nur drei Mindestopferzahlen sind verlässlich, da sie vom üblichen Schema abweichen: Die UNO zählt bis März 8.370 nachweislich getötete Zivilisten, die exilrussische Onlinezeitung Media.zona anhand von lokalen Todesanzeigen mindestens 18.023 gefallene russische Soldaten und ein Berater von Selensky sprach im Dezember von bis zu 13.000 umgekommenen ukrainischen Verteidigern. In allen drei Fällen ist jedoch mit höheren tatsächlichen Opferzahlen zu rechnen.

Eine große Rolle im Krieg im Donbass spielen auch weiter Angriffe unbemannter Drohnen, die die Russen schon in den letzten Monaten häufig gegen die ukrainische Infrastruktur einsetzten, wobei auch viele Zivilisten zu Tode kamen. Nun hat auch die Ukraine drei Kompanien Angriffsdrohnen in Dienst gestellt, teilte das Kiewer Regierungsmitglied Michail Fedorow mit.

Sie sollen eine Reichweite von bis zu 3.000 Kilometer haben, was auch erneute Angriffe ins russische Hinterland nahelegt. Auch russische Drohnenangriffe werden wohl weiter fortgesetzt. Der britische Geheimdienst geht davon aus, dass die Russen inzwischen regelmäßig Iranische Kampfdrohnen als Nachschub erhalten und so auch bei dauerhaftem Einsatz und Verlusten immer wieder neue ferngelenkte UAVs starten können.