E-Mail-Affäre um Springer-Chef: Der Ekel vor Demokraten

Hinlümmeln und diffamieren: Mathias Döpfner. Bild: Hubert Burda Media, CC BY-NC-SA 2.0

Die Debatte um Verleger Mathias Döpfner ist heuchlerisch, meint unsere Autorin. Diffamierende Äußerungen über Ostdeutsche sind Mainstream. Was wir aus dem Eklat wirklich lernen können.

Es würde nicht lohnen, auf dieses unterirdische SMS-Geschwätz zu reagieren, wenn die Debatte nicht von großer Scheinheiligkeit wäre. Die ganze Empörung erwächst aus dem Umstand, dass es hier um einen der einflussreichsten Medien-Bosse des Landes geht, Chef und Eigentümer nicht nur des Springer-Konzerns, sondern auch langjähriger Präsident des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger.

Der nun vom Blatt der konkurrierenden Holtzbrinck-Konzerne durch selektive Veröffentlichung mehr oder weniger privater Kommunikation an den Pranger gestellt wird. Nicht, dass man diesem Anprangerer vom Dienst die Pein nicht gönnt. Aber wirklich überraschen können die Enthüllungen über die Denkweise der Führung in diesem Tendenzmedium nicht.

Letztlich bestimmen genau diese Inhalte seit Jahrzehnten ohne größeren Widerspruch nicht nur die internen Botschaften im Hause Springer, sondern oft auch die veröffentlichten. Und nicht nur dort. Scheinheilig ist die Debatte, weil sowohl die Aufregung über die Vorwürfe, als auch die Entschuldigung, unglaubwürdig sind.

Daniela Dahn ist deutsche Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin. Ihr neues Buch "Im Krieg verlieren auch die Sieger" ist bei Rowohlt erschienen. Bild: Holger John, VIADATA

Um von den Verleumdungen hier nur die herauszugreifen, mit der ich mich am besten auskenne: Dass die Ostdeutschen allesamt geistig deformiert und deshalb demokratieuntauglich sind, war jahrelang prominent gesetzte Indoktrination.

Der Spiegel veröffentlichte schon im Februar 1990 eine achtseitige Schmähschrift über das DDR-Bildungssystem "Erziehung zu Drill und Duckmäusertum". Wurde im Herbst noch die couragierte politische Reife der ihre Bürgerrechte erkämpfenden Ostdeutschen allseits gelobt, musste man jetzt den Eindruck gewinnen, dass Revolutionen mit Vorliebe dort ausbrechen, wo die Konzentration von Duckmäusern besonders hoch ist. Sie alle hätten eine "Gehirnwäsche" durchlaufen, einen "permanenten Akt geistiger Vergewaltigung".

Zitiert wurde in dem unsignierten Artikel immer wieder der angebliche Pädagogik-Experte Johannes Niermann, der später auch in einer öffentlichen Anhörung des Bundestages seinen Auftritt hatte. In dem Gutachten beschuldigte er "die gesamte Intellegentia" (gehören Rechtschreibschwäche und Denunziation zusammen?), das "Lügengebäude" aufgebaut zu haben und attestiert, dass dies zu einer "ganz primitiven Konditionierung, wie bei Tierdressuren" geführt habe.

Er bedauert, dass die Peiniger nicht hinter Schloss und Riegel gesetzt wurden, stattdessen "laufen diese weiter frei herum". Mit einer dringenden Empfehlung, entwickelte er missionarischen Eifer: Abiturabschlüsse seien in den neuen Bundesländern auf 10 bis 30 Prozent zu reduzieren, dafür an den Mittel- und Realschulen Schwerpunkte wie Hauswirtschaft als Pflichtfach für Mädchen, sowie Werken und Handarbeit einzuführen. Die Berliner Zeitung veröffentlichte eine Karikatur mit dem Kanzler in Ritterrüstung vor dem Schild "Bundesdeutsche Kohlonie!" Der Plan, Ostdeutschland zu einem minderbemittelten Agrarland ohne eigene Kapitalisten zu machen, ist weder neu noch ganz misslungen.

Auch der Historiker Arnulf Baring, beliebter Talkshow-Gast, hatte in seinem Buch "Deutschland, was nun?" spürbares Vergnügen an der Herabwürdigung von DDR-Akademikern. Sie seien durch das Regime fast ein halbes Jahrhundert "verzwergt" und "verhunzt" worden.

Ob sich einer dort Arzt, Ingenieur oder Pädagoge nenne, "das ist völlig egal. Sein Wissen ist über weite Strecken völlig unbrauchbar." Die Westdeutschen könnten diesen "politisch und charakterlich Belasteten ihre Sünden vergeben", es würde nichts nutzen, denn die Ostdeutschen "haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktwirtschaft einbringen könnten".

Der aus allen Zusammenhängen gerissene und immer wieder bemühte Adorno-Satz, es gäbe kein wahres Leben im falschen, stempelte rückwirkend handstreichartig sämtliche DDR-Leben als wertlos. Im Kontext von Eignung für Führungspositionen war die Interpretation: unwert. Das Narrativ von gut-böse und richtig-falsch blockierte einen beidseitigen Austausch.

Dabei sind die Unterschiede nur gradueller Natur, letztlich gibt es wohl nichts anderes als wahres Leben im falschen. Der Molekularbiologe und DDR-Oppositionelle Jens Reich beklagte, dass in der vielbeachteten Gesellschaftsgeschichte des Historikers Hans-Ulrich Wehler Millionen Ostdeutsche "nicht als Akteure dargestellt auftreten, sondern als eine Art Schafherde".