Der deutsche Motor Europas – ein Auslaufmodell

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Deindustrialisierung: Auftragsrückgang und andere Signale. Am Umgang mit China entscheidet sich die Zukunft. Kommt die Ökonomie zu kurz? Zwischenbilanz des Wirkens von Habeck.

Vielleicht fürchtet man sich vergebens vor dem großen Knall und alles ist gar nicht so dramatisch. Das beteuert zumindest Robert Habeck (Grüne) immer wieder. Eigentlich schon seit Beginn seiner Amtszeit als Leiter des Ministeriums, das nicht erst seit Kurzem dafür kritisiert wird, mehr mit Klima und Vettern als mit Wirtschaft zu tun haben.

Dass die Ökonomie im immer ökologischeren Deutschland zu kurz kommt, scheint sich auch durch eine Reihe neuer Hiobsbotschaften zu verdeutlichen, die abermals – Telepolis berichtete bereits im Oktober – das Gespenst der Deindustrialisierung heraufbeschwören.

Rezession für die Sanktionierenden – Aufschwung für die Sanktionierten

So erlebte die deutsche Industrie den Anfang Mai veröffentlichten neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts (StBa) zufolge im März den "deutlichste[n] [Auftrags-]Rückgang seit dem Einbruch in der Pandemie im April 2020" – 11 Prozent gegenüber dem Vormonat. Betroffen waren demnach besonders die Automobilindustrie sowie Metallverarbeitung und Maschinenbau.

Habecks Ministerium beschwichtigte mit dem Verweis auf einen "volatilen Auftakt", der sich im Laufe des Jahres einpendeln werde – eine Meinung, die der von der dpa zitierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer nicht teilt: Zum einen sei der Lieferketten-bedingte Auftragsstau nun abgearbeitet, zum anderen drohten die weltweit geplanten Zinserhöhungen die Industrie zu belasten.

Wie das StBa Ende April mitteilte, ist Deutschland mit einem Wirtschaftswachstum von 0,0 Prozent knapp an der Rezession vorbeigeschrammt – denn das Vorjahresquartal hat die Bilanz mit einem negativen Wachstum von minus 0,4 Prozent noch unterboten. Für das Haus Habeck besteht allerdings auch hier: kein Grund zur Sorge.

So rechnete das Bundeswirtschaftsministerium noch Ende April mit einem Wachstum von 0,4 Prozent für das laufende Jahr.

Das widerspricht allerdings der kurz zuvor veröffentlichten Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Deutschland 2023 ein negatives Wachstum von 0,1 Prozent voraussagt, bevor es 2024 mit 1,1 Prozent wieder aufwärtsgehen soll.

Während die deutsche Konjunktur also infolge der Reaktion auf die geopolitischen Umwälzungen weiter eingetrübt bleibt, prognostiziert der IWF für das sanktionierte Russland eine Prognose von 0,7 beziehungsweise 1,3 Prozent in den kommenden zwei Jahren.

Investitionen: Abkehr vom Standort im In- und Ausland

Eine weitere Meldung, die die Habecksche Zuversicht und Bundeskanzler Olaf Scholz' Versprechen eines neuen "Wirtschaftswunders" konterkariert, ist die abnehmende Attraktivität Deutschlands für ausländische Investoren, die der Wirtschaftsprüfer Ernest & Young (EY) in einer Studie vom 11. Mai aufgezeigt hat. Demnach sind entsprechende Investitionen auf den niedrigsten Stand seit 2013 gesunken.

Bereits Anfang des Jahres bezeichnete die Lobby-Institution Stiftung Familienunternehmen Deutschland als den "großen Verlierer im Standortwettbewerb" und ließ die Nation im Länderindex auf Rang 18 vor Ungarn, Spanien und Italien abrutschen.

Mitte April warnte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie BDI, Siegfried Russwurm, erneut vor Abwanderung deutscher Unternehmen ins Ausland. "Viele schauen dabei gezielt nach Nordamerika", so Russwurm mit Blick auf den umstrittenen Inflation-Reduction-Act.

Welche Gründe gibt es jenseits der hohen Energiepreise, Deutschland den Rücken zu kehren, wie es nicht nur die großen Konzerne à la BASF, Bosch und Mercedes tun, sondern jeder vierte mittelständische Produzent, wie der Bundesverband für Mittelständische Wirtschaft (BVMW) angibt?

Abgesehen von den hohen Energiekosten, die sich in Deutschland nicht zuletzt dem verzweiflungs-getriebenen Kauf von teurem Fracking-Gas und – auf Umwegen – verteuertem russischem Gas verdanken, zählt der Länderindex eine Reihe weiterer abschreckender Standortbedingungen auf:

Auch abseits des Themas Energie lassen sich keine Standortfaktoren finden, bei denen eine klare Aufwärtsbewegung zu verzeichnen wäre. Der mit Abstand größte Aktivposten des deutschen Standorts bleibt der Bereich der Finanzierung, in dem Deutschland die Spitzenposition einnimmt. Vergleichsweise gute Resultate erzielt Deutschland auch im Subindex "Infrastruktur und Institutionen". Auch hier kann Deutschland jedoch nicht mit den Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa oder Skandinavien mithalten.

Schwach sind demgegenüber die Ergebnisse in den Bereichen "Steuern", "Arbeitskosten, Produktivität, Humankapital", "Energie" und vor allem "Regulierung". Die Beurteilung der Regulierungslasten in Deutschland hat sich dabei noch einmal verschlechtert. Offenbar haben sich hier die Erfahrungen mit dem regulativen Management der Pandemie ungünstig ausgewirkt.

Zusammenfassung, Länderindex Stiftung Familienunternehmen

Damit aber noch nicht genug. In Wirtschaftskreisen werden noch weitere Argumente angeführt. Abgesehen davon, dass Deutschland mit einer steuerlichen Belastung von 28 Prozent weit über dem EU-Durchschnitt von 18,8 Prozent liegt, leben Deutsche zugleich in einem Hochlohnland. Das ist unter sozialen Gesichtspunkten wünschenswert, wird aber mit sinkender Wirtschaftsleistung zum Problem.

Das weiß man auch bei Wikipedia. Im Eintrag "Hochlohnland" wird der Vorsitzende der Deutschen Erfinder-Akademie Erfinder Michael Herrlich mit den folgenden Worten zitiert:

Als rohstoffarmes Hochlohnland kann Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit nur halten und erhöhen, wenn es schnell und umfassend gelingt, weltmarktfähige Produktinnovationen mit ökonomisch effizienten sowie ökologisch optimalen Verfahren in großer Menge gewinnbringend zu verkaufen.

Michael Herrlich

Export: Gewerbegebiet der Großmächte?

Gibt man Herrlich recht und sieht das deutsche Geschäftsmodell im weltweiten Export verankert, könnten die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts ebenfalls für Verunsicherung sorgen: Am vergangenen Freitag meldete das StBa, dass der Außenhandel mit Deutschlands wichtigstem Handelspartner China im ersten Quartal 2023 um 10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken sei.

Die wichtigsten deutschen Exportgüter 2022 waren laut StBa – wie bereits in den Jahren zuvor – mit 245,4 Milliarden Euro und einem Anteil von 15,6 Prozent: Kraftwagen und Kraftwagenteile. Nun gesellen sich zu den ohnehin schon erschwerten Standortbedingungen in Deutschland weitere öko-politische Barrieren wie das Verbrenner-Verbot hinzu.

Das führt – wie im ersten Deindustrialisierungs-Text vom Oktober bereits angesprochen – zu der skurrilen Situation, dass Deutschland den ökologischen Wettbewerb möglicherweise gewinnt, während es im ökonomischen und geopolitischen droht, zerrieben zu werden.

Um einmal nicht die viel diskutierten Beispiele von Kernreaktoren, Kohlekraftwerken oder der Haltungsfreundlichkeit in der chinesischen Viehzucht zu bemühen, kann ich ein persönliches Beispiel aus meiner Heimat anführen, dem einst durchaus stolzen Industriestandort Saarland.

Dort hat nicht nur der einer der größten Arbeitgeber Saarstahl AG bereits angekündigt, dass eine rein strombasierte Zukunft aus Gründen der Versorgungssicherheit keine Option ist.

Mit der Schließung der Werke des Autobauers Ford in Saarlouis sind 9.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Der Automobil-Zulieferer Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF), ebenfalls einer der größten Arbeitgeber im Saarland, plant offenbar, deutschlandweit genauso viele Stellen zu streichen. Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, sagen manche. In dem Fall kleidet es sich scheinbar in das Gewand von China und den USA.

So kündigte ZF im November an, sein größtes Getriebewerk in ein Elektro-Leitwerk umzuwandeln, um ab 2024 Antriebe für E-Autos zu bauen. Darüber hinaus plant die (einstige) Zahnradfabrik, gemeinsam mit dem US-Hersteller Wolfspeed den Bau einer Chipfabrik – am symbolträchtigen Standort eines alten Kohlekraftwerks.

Was Ford angeht, so hatte der Automobilhersteller zwischenzeitlich erwogen, das Werk im Norden des Saarlandes an den chinesischen E-Auto-Hersteller BYD zu veräußern. Chinesische E-Autos stellen die größte Bedrohung für die hiesige Automobilindustrie dar, schrieb das Fachmagazin Auto Motor und Sport noch vergangene Woche.

BYD hat seinerseits fest geplant, nach Europa zu expandieren – ob nach Saarlouis oder anderswohin. Das heißt – wenn die Politik nicht dazwischenkommt.