Türkei: Fünf Highlights eines Wahlkrimis

Leicht loszuwerden ist Recep Tayyip Erdogan nicht. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Erdogan klebt an der Macht. Intrigen, Gewalt, Manipulation und Unregelmäßigkeiten bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Eine unvollständige Liste.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan muss bis zur Stichwahl am 28. Mai um seine Macht bangen. Im ersten Wahlgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahl verfehlte er knapp eine absolute Mehrheit knapp. Dabei gibt es zahlreiche Indizien und Belege für Wahlmanipulation, in den meisten Fällen eindeutig zu seinen Gunsten. In manchen Fällen sind jedoch die Auswirkungen unklar.

1. Kandidat wirft wegen Deepfake-Pornovideo das Handtuch

Wenige Tage vor der Wahl hatte einer der Bewerber um das Präsidentenamt aufgrund einer Intrige seine Kandidatur zurückgezogen: Muharrem Ince, Spitzenkandidat der kemalistischen "Heimatpartei" (Memleket Partisi) galt zwar als chancenlos – der Wegfall dieser Option konnte aber im ersten Wahlgang große Auswirkungen haben, da zwischen Erdogan und seinem Hauptherausforderer Kemal Kilicdaroglu ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt wurde. Die Memleket Partisi ist eine Abspaltung der Republikanischen Volkspartei CHP, der Kilicdaroglu angehört.

Grund für den Rückzug des Kandidaten war ein mutmaßliches Deepfake-Sexvideo, das ihn kompromittieren sollte. Es sei "von einer israelischen Pornoseite" geklaut und manipuliert worden, sagte er. "Das ist nicht mein Privatleben, das ist Verleumdung." Die CHP verdächtigte Russland, dessen Regierung Erdogan bevorzuge, einer Deepfake-Kampagne. Allerdings hätte Inces Kandidatur auch Kilicdaroglu Stimmen kosten können.

2. Männer sollen für ihre Ehefrauen abgestimmt haben

In manchen Wahllokalen wurde am Sonntag laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD keine freie und geheime Abstimmung sichergestellt. Abgesehen von offenen Abstimmungen, die Anhänger der Opposition unter Druck setzen, war teilweise nicht einmal gewährleistet, dass die richtige Person an die Urne ging: In der Ortschaft Alacali in Heran bei Riha wurde sogar beobachtet, dass Männer anstelle ihrer Ehepartnerinnen abstimmen durften. Naheliegend ist, dass es sich dabei um ultrakonservative Anhänger Erdogans handelte.

3. Social-Media-Sperren am Wahltag

Auf Wunsch der aktuellen Regierung Erdogan sperrte Twitter am Wahltag "bestimmte" Inhalte. Das Unternehmen gab die Entscheidung selbst in mehreren knappen Tweets auf Englisch und auf Türkisch bekannt. Nähere Angaben, um welche Inhalte es ging, wurden zunächst nicht gemacht. Twitter-Chef Elon Musk verteidigte die Entscheidung gegen die Kritik eines Journalisten und warf ihm vor, deren Tragweite nicht zu verstehen: Das Unternehmen habe nur die Wahl gehabt, bestimmte Tweets zu blockieren, oder insgesamt in der Türkei abgeschaltet zu werden.

4. Gewalt gegen Wahlbeauftragte und Beobachter

Im Zuge der Abstimmung kam es auch zu körperlicher Gewalt gegen Wahlbeauftragte und Wahlbeobachter. In Akçakale (Südostanatolien) wurde nach Angaben des Menschenrechtsvereins ein Wahlbeobachter der CHP mit kochendem Wasser übergossen. Dem Angriff, der mutmaßlich von Anhängern der Regierungspartei AKP verübt wurde, ging seine Weigerung voraus, der rund 50-köpfigen Gruppe eine gesammelte Stimmabgabe zu gestatten. In Uludere sei der IHD-Aktivist und unabhängige Wahlbeobachter Fevzi Kara vom Chef eines paramilitärischen "Dorfschützer"-Clans und dessen Gefolgsleuten angegriffen worden und leicht verletzt worden, teilte der Verein mit.

5. Stempel-Tricks an den Urnen

in der Türkei werden Wahlzettel nicht von Hand ausgefüllt, sondern gestempelt. Beispielsweise in Giresun im Nordosten des Landes tauchten vorgestempelte Wahlzettel auf. "In allen Fällen wurden die Kreuze für den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesetzt", teilte der IHD mit. Laut einem ARD-Bericht war in einem Internetvideo zu sehen, wie jemand den Wahlstempel scheinbar reihenweise bei Erdogan von der AKP setzt.

Auch von "halb-manipulierten Wahlzetteln" ist die Rede: Für die Bestätigung, dass es sich um einen offiziellen Wahlzettel handelt, sind diese auf der Rückseite gestempelt – und zwar an der Stelle, wo auf der Vorderseite des Zettels der Stempel für Erdogan hinkäme. Weil sich die Tinte offenbar durch das Papier saugt, sah es aus wie eine Stimme für den aktuellen Präsidenten. Wie solche Wahlzettel gewertet wurden, war zunächst unklar.