"100.000 Tote für einen Haufen Lügen"
Der britische Abgeordnete George Galloway gab dem US-Senat eine Lehrstunde in demokratischer Opposition und demontierte drei Jahrzehnte Irak Politik
Er war geladen, weil man ihm unlautere Bereicherung vorwarf, doch dann wurde der Angeklagte George Galloway, der vor dem Untersuchungsausschuss des US-Senats zu den Betrügereien beim irakischen "Food-For-Oil-Program" aussagte, zum bisher schärfsten Ankläger der Irak-Politik der USA auf politischem Parkett.
Der britische Parlamentsabgeordnete George Galloway - wegen seiner Anti-Kriegshaltung Ende 2003 aus der Labour-Party geworfen und gerade als Vertreter seiner neu gegründeten Respect-Partei wiedergewählt – konnte vor dem Ausschuss nicht nur sämtliche Vorwürfe, von dem Food-For-Oil-Programm profitiert zu haben, überzeugend zurückweisen, sondern nutzte die Plattform um seinerseits zum Angriff überzugehen.
"Ich weiß, dass die Standards in Washington stark nachgelassen haben", sagte er dem Ausschussvorsitzenden Senator Norm Coleman, "aber für einen Rechtsanwalt gehen sie erstaunlich hochmütig mit der Gerechtigkeit um.(..) Senator, dies hier ist die Mutter aller Nebelwände, sie versuchen, die Aufmerksamkeit von den Verbrechen abzulenken, die Sie unterstützt haben… In allem, was ich über den Irak gesagt habe, stellte sich heraus, dass ich recht behalten habe – und Sie hatten unrecht und 100.000 Iraker haben mit dem Leben dafür bezahlt, 1.600 von ihnen amerikanische Soldaten, in den Tod geschickt für einen Haufen Lügen."
Schon vor der Anhörung hatte der Senatsausschuss einen Bericht veröffentlicht, wonach neben Galloway auch russische und französische Politiker irakische Bestechungsgelder erhalten hätten .Er habe nie einen Penny aus irakischen Ölverkäufen bekommen, sagte Galloway und warf den Senatoren ein Ablenkungsmanöver vor, um die Verschwendung irakischer Ressourcen durch die amerikanische Besatzung nach dem Einmarsch zu kaschieren.
Neben seiner furiosen Anklage – hier ein Video seines Auftritts und eine Abschrift - konnte Galloway auch die gegen ihn als Beweise vorgebrachten angeblichen Dokumente als Fälschungen überführen.
Peinlicherweise hatten die Ankläger im US-Auschuss ähnliches Material benutzt, mit dem auch schon der rechtsgerichtete britische "Daily Telegraph" dem rebellischen Abgeordneten am Zeug flicken wollte (Britischer Labour-Abgeordneter am Pranger) – und vergangenes Jahr zu 1,4 Millionen Pfund Schadensersatz verurteilt worden war. Auch der "Christian Science Monitor" hatte eine Liste veröffentlicht, nach der Galloway 10 Millionen Dollar Bestechungsgelder von der Regierung Saddam Husseins erhalten haben soll – diese dann aber selbst als Fälschungen erkannt und widerrufen. Dass jetzt der Senatsausschuss als einzigen "Beweis" für Galloways Fehlverhalten dieselben Vorwürfe nochmals präsentierte, machte es dem Angeklagten, der freiwillig unter Eid aussagte, leicht, die Vorwürfe gegen ihn in ein Tribunal für die verblüfften Senatoren zu verwandeln. Selten hat der Ausschuss, der normalerweise von seinen "Gästen" – Politikern und Bankern, die verhört und "gegrillt" werden - devote Antworten und zurückhaltende Töne gewohnt ist, ein derart kritisches und giftiges Feedback hinnehmen müssen.
Doch die Souveränität, mit der der kämpferische Schotte den US-Senatoren Paroli bot, nötigte selbst dem rechtslastigen Murdoch-Sender Fox-News Respekt ab, der ihm einen "klaren K.O.Sieg" bescheinigte. Der britische "Independent" sah nach Galloways One-Man-Show (The man who took on America) gar die historische Schmach bei der WM von 1950 gerächt, bei der ein unbedeutendes US-Team die beherrschende Fußballmacht England 1:0 besiegt hatte. Höheres Lob kann man auf der fußballverrückten Insel kaum einfahren.
Dass die Bush-Regierung mit der Vorladung des nun über Nacht vom Schurken zum Helden gewandelten Abgeordneten ein Eigentor fabriziert hat, ist ebenso offensichtlich wie die Funktion der gesamten Untersuchung als Ablenkungsmanöver. Selbst wenn es bei dem Food-For-Oil-Programm von Mitte der 90er Jahre bis zur Invasion 2003 zu Unstimmigkeiten und Korruptionsfällen gekommen sein soll, so waren diese - verglichen mit dem, was seitdem im Irak gemacht wurde - eher Lappalien. Galloway hat nicht nur dieser Nebelkerzen-Aktion einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern allen Amerikanern mit seiner klaren und schonungslosen Analyse der Irakpolitik auch vorgeführt, was in ihrem "Ein-Parteien-System mit zwei rechten Fügeln" (Gore Vidal) erfolgreich ausgemerzt worden ist: politische Opposition.