11,7 Milliarden Euro für noch nix: Berliner Schulbau als Luftbuchung
120 neue Lehranstalten für die Hauptstadt. Bezirke liefern rasch und günstig, landeseigene Wohnungsgesellschaft bummelt und verpulvert Geld ohne Ende.
Wo gerade so viel von Schattenhaushalten die Rede ist. Das Land Berlin hat auch einen und in puncto Skandalpotenzial stellt der das höchstrichterlich beanstandete Finanzgebaren der Ampelregierung noch in den Schatten. Wobei es in diesem Fall nicht um Wärmepumpen oder Energiepreisbremsen geht, sondern um den Bau von Schulen, was an sich ja nicht schlecht ist – aber extrem schlecht gemacht.
2016 entwarf der damals noch rot-rot-grüne Senat den Plan, dem riesigen Mangel an Schulplätzen in der Hauptstadt mit der großangelegten "Berliner Schulbauoffensive" (BSO) zu begegnen. Dafür brachten sich vier Akteure in Stellung: die Landesbauverwaltung, die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die zwölf Bezirke und die Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Gemeinsam wollten sie 120 Bauvorhaben stemmen, das meiste davon Neubauten, der Rest Sanierungen. Kosten sollte das Ganze 5,5 Milliarden Euro und fertig sein 2026.
An der Schuldenbremse vorbei
Eine Milliarde Euro waren für die Howoge eingeplant, ein städtisches Unternehmen zwar, aber als privatrechtliche GmbH aufgestellt. Dieser wurden insgesamt 40 Projekte zugeschlagen. Der Clou dabei: Anders als das Land und die Bezirke muss die nicht auf die Schuldenbremse achten, die 2020 auf Landesebene in Kraft trat. Die Howoge besorgt sich die ausgelobte Milliarde vorbei am Landeshaushalt einfach auf dem freien Kapitalmarkt, das Land begleicht die Rechnung schrittweise, es wird schnell und eifrig gebaut und alles ist prima.
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Von wegen: Am Donnerstag präsentierte der Verein "Gemeingut in BürgerInnenhand" (GiB) bei einer Onlinepressekonferenz die Quittung für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Statt einer Milliarde Euro wird die Howoge voraussichtlich zwölfmal so viel verpulvern – womöglich auch mehr. Die Zahl stammt vom Senat, der inzwischen die Farben auf schwarz-rot gewechselt hat. Wie die Finanzverwaltung auf eine Anfrage der Links- und Grünen-Fraktion mitteilte, ergebe sich ein "Bedarf an Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von circa 11,7 Milliarden Euro".
Das hatte sich abgezeichnet: 2020 beanspruchte die Howoge bereits 1,5 Milliarden Euro, 2022 waren es 2,6 Milliarden Euro, die sich vor knapp drei Monaten zu einem Kreditrahmen von 5,6 Milliarden Euro mehr als verdoppelten. Diese Hausnummer hatte Anfang September die Bildungsverwaltung ins Spiel gebracht. Damit sollten "trotz" der Preissteigerungen am Bau, bei Material und Energie die vorgesehenen Maßnahmen "zügig" umgesetzt werden, erklärte Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Mit Blick auf die Zielstellung, 26.000 Schulplätze durch Neubau und Sanierung zu realisieren, bestehe nun "Planungssicherheit".
Ach ja, die Zinsen
Allerdings sind bei der Kalkulation ein paar Pöstchen durchgerutscht: die Grunderwerbssteuer, Notar- und Versicherungskosten, eine Managementgebühr für die Howoge. Und dazu die Belastungen durch Zinsen und Tilgung der Kredite, die allein mit rund sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen. Wobei der Zinssatz von vier Prozent nur "unterstellt" ist. "Es können auch sechs oder sieben Prozent werden", bemerkte GiB-Sprecher Carl Waßmuth und weiter: "Wir haben es hier mit Ausgabensteigerungen zu tun, die noch über die Dimensionen des Hauptstadtflughafens BER und Stuttgart 21 hinausgehen – und zwar deutlich."
Das schwant inzwischen auch anderen: "Offenbar herrscht inzwischen das Motto: Geld spielt keine Rolle, auch wenn das niemand ausspricht", zitierte am Mittwoch der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) Michael Mackenrodt von der Berliner Architektenkammer. "Letztendlich ist es ein Komplettversagen, vor allem in der Verwaltung", aber niemand sei bereit, "diesen Irrweg wieder zu korrigieren" oder bloß als solchen einzugestehen.
Der Vorwurf geht auch an die Linke sowie die Grünen, die die Konstruktion seinerzeit als tollste Errungenschaft und unter dem Label "öffentlich-öffentliche Partnerschaft" (ÖÖP) verkauft hatten. Waßmuth und seine Mitstreiter sehen dagegen ein "verstecktes Privatisierungsmodell" am Werk, an dem sich Banken, Baulöwen und Berater eine goldene Nase verdienten. Vordergründig seien dabei nur staatliche Akteure beteiligt, im Hintergrund mischten aber mächtige Profiteure mit, die sich schamlos aus der Staatskasse bedienten.
Miete zum Quadratmeterpreis von: 115,21 Euro
Es hätte auch anders gehen können, auf die klassische Tour, und zwar viel besser und schneller. Die Berliner Bezirke haben in den vergangenen zwei, drei Jahren richtig rangeklotzt und den Großteil ihrer Projekte im Rahmen der BSO abgearbeitet. So entstanden bis heute 33.000 neue Schulplätze. Für 25.000 kennt man die Endsumme: 907,7 Millionen Euro, also 36.300 Euro pro Platz. Die Howoge soll insgesamt 28.000 Plätze beisteuern. Eine Kalkulation auf Basis des 2022er-Kostenansatzes ergab 123.513 Euro pro Schulplatz. Auf Grundlage der neuen Senatszahlen sind es 215.385 Euro.
"Das geht im Wortsinn nicht mit rechten Dingen zu", beklagte Waßmuth. Und mit der Howoge geht auch nichts voran. In ihrer Regie wurde noch kein einziger Schulplatz übergeben, bisher gibt es lediglich fünf Baustellen. Mit den Neubauten will man 2029 fertig sein, mit den Sanierungen 2031. Das Blöde daran: Die ganze Bauerei fällt in eine Hochzinsphase, während die Bezirke auf niedrige Zinsen bauen konnten, dazu auf die lange Zeit spottbilligen Landesanleihen. Die Howoge kann das nicht und mit der Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) wird alles noch viel teurer.
Warum hat sie nicht früher losgelegt? Weil jahrelang Verträge verhandelt wurden, um die ganze Konstruktion wasserdicht zu machen. Die sieht nämlich vor, dass die Howoge die fraglichen Grundstücke und Schulgebäude per Erbpacht übertragen bekommt. Pro Schule mussten allein drei bis vier Kontrakte zwischen der Gesellschaft, dem Senat und den Bezirken abgeschlossen werden, insgesamt bis zu 160. Im Gegenzug müssen die Bezirke die fraglichen Schulen künftig über Laufzeiten von 25 bis 37 Jahren zurückmieten – zum Preis von 115,21 Euro pro Quadratmeter und Monat, wie GiB errechnet hat.
Kein Plan, null Erfahrung
Waßmuth glaubt, den politisch Verantwortlichen sei "gar nicht bewusst, worauf sie sich da eingelassen haben". Bei solch horrenden Mieten müsse künftig bei Leistungen gekürzt werden, die heute noch selbstverständlich seien: etwa die Beschaffung von Möbeln, Zuschüsse zu Exkursionen, Lehr- und Lernmittel, Spielgeräte, Grünflächenpflege, Mensabetrieb. "Das wird es bald nur noch teilweise oder gar nicht mehr geben."
Diese Sorge teilt Christian Müller, Vorstand bei der Baukammer Berlin. "Diese Howoge-Finanzierung ist eine Katastrophe", sagte er dem rbb. "Es ist ein Schattenhaushalt, der über mehr als 20 Jahre lang abgestottert wird" und den Bezirken den Handlungsspielraum in den kommenden Jahrzehnten raube.
Schon 2020 hatte der Landesrechnungshof (RHvB) das Konstrukt in seinem Jahresbericht förmlich zerrissen. Die Hauptbefunde: zu langsam, lausig geplant und viel zu teuer. Weder sei eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt worden, noch habe die Howoge im Schulbau überhaupt Erfahrungen vorzuweisen.
Kropf am Hals
Nun ja, unter solchen Voraussetzungen kann man sich schon mal um zehn, elf Milliarden Euro verschätzen. Auf rbb-Anfrage verlautete von der Howoge, der ursprüngliche Ansatz sei ein "Finanzrahmen ohne weitere Konkretisierung" gewesen. Vom Mathelehrer würde es dafür eine Strafarbeit setzen. Dagegen will der Berliner Senat von einer Sanktionierung wegen Steuergeldverschwendung oder verspäteter Fertigstellungen nichts wissen. Mögliche Bußgelder müssten auf die Mieten für die Schulen umgelegt werden und träfen damit indirekt das Land Berlin selbst, gab die Finanzverwaltung zu verstehen.
GiB-Sprecher Waßmuth kündigte an, die juristische Konstruktion auf ihre Vereinbarkeit mit Landes- und Bundesrecht prüfen zu lassen. "Die laut Landesverfassung bestehende Zuständigkeit der Bezirke für die Schulen würde ausgehebelt. Und es spricht manches dafür, dass hier analog zu den Vorgängen auf Bundesebene gegen das Grundgesetz verstoßen wurde."
Die Initiative fordert, alle Verträge mit der Howoge "sofort aufzuheben und dafür die erfolgreiche Bau- und Sanierungstätigkeit der Bezirke und der Landesbauverwaltung fortzusetzen". Die regionale Bauwirtschaft könne dasselbe liefern, Berliner Planungsbüros dasselbe planen, "nur eben vier Milliarden Euro günstiger". Waßmuth ist überzeugt: "Der Berliner Schulbau braucht die Howoge so dringend wie einen Kropf am Hals."
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