300 Esel und rege Tätigkeiten im Hintergrund

Afghanistan: Wahlen für Bush?

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Soviel steht fest: die dreihundert Esel werden ihre Zeit brauchen; es wird aber nicht ihre Schuld alleine sein, wenn alles viel langsamer und doch ganz anders vonstatten geht als vom Westen gewünscht.

Es ist noch eine Woche bis zur Präsidentschaftswahl in Afghanistan am 9.Oktober, die letzten Vorbereitungen sind getroffen, meldet die UN Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA): die Leiter ("Supervisors") der 5000 Wahllokale werden gegenwärtig noch ausgebildet, damit sie in der verbleibenden Zeit geschätzte 115.000 (!) Wahlhelfer instruieren können. Es wird also offensichtlich Tempo gemacht in Afghanistan, selbst wenn beim Spurt zur Demokratisierung des Landes auch dreihundert Lasttiere zum Transport von Wahlunterlagen eingesetzt werden, die ja eher für ihre Langsamkeit bekannt sind: der harmloseste Widerspruch zwischen den Ansprüchen und Interessen der westlichen Demokratien und den realen Verhältnissen im Land.

Das "Happy End" wird anvisiert

Es gäbe einiges an unterschiedlichen Auffassungen aufzuzählen, worin sich die politischen Wertmaßstäbe und Ideale des Westens von denen unterscheiden, die vor Ort in den östlichen Ländern praktiziert werden; im Fall Afghanistan fällt besonders auf, dass der Westen – vor allem die USA – ein ganz anderes Timing auf seiner politischen Agenda hat, als es das Land nötig hätte; vorausgesetzt das politische Ziel Nummer eins in Afghanistan sind stabile, friedliche Verhältnisse und ein verbesserter Lebensstandard der Bevölkerung. Doch Wahlen gelten gegenwärtig mehr denn je als deutlichstes Indiz für demokratische und also richtige Verhältnisse und der amerikanische Präsident kann die Vollzugsmeldung, dass die ersten freien und demokratischen Wahlen in Afghanistan seit mehr als dreißig Jahren durchgeführt wurden, für seinen eigenen Wahlkampf gut gebrauchen, also muss der Erfolg auch rechtzeitig gemeldet werden. Favorisierter Kandidat der Amerikaner ist der amtierende Präsident Karsai und im anvisierten "Happy End" der afghanischen Erfolgsgeschichte sollte Karsai auch als Sieger dastehen, selbst wenn diese Wahlen das Credo des Verteidigungsministers Rumsfeld zu 150% erfüllen, wonach keine Wahl perfekt ist. So stehen für Manipulationen der Wahl in Afghanistan Tür und Tor offen - und jeder mischt dabei mit, von den so genannten Warlords und ihren Milizen, über die Taliban, dem amerikanischen Botschafter in Afghanistan, Salmai Khalilsad, bis hin zu den offiziellen Organisateuren der Wahl, dem Joint Electoral Managment Board (JEMB).

Gefahr für die Bevölkerung

Schon die Zahlen der registrierten Wähler werfen Fragen auf, hatte die UN im letzten Jahr noch die Wahlberechtigten auf etwa 9, 5 Millionen beziffert, wird neuerdings von 10,5 erfolgreichen Registrierungen gesprochen – kein Wunder, so die englische Zeitung Independent, da viele Wähler sich gleich mehrfach registrieren ließen.

Das größte Hindernis für faire und gerechte Wahlen ist jedoch die Gefahr, in der die wählende Bevölkerung schwebt. Nur ein Beispiel: Die Zahl der afghanischen Wähler, die Analphabeten sind, ist recht hoch. Um auch ihnen die Wahl zu ermöglichen, wählen sie mit schwer löschbarer Tinte auf den Fingerkuppen. Für Talibangruppen, die erklärtermaßen die Wahl sabotieren wollen, sind somit die "Kollaborateure" der Amerikaner leicht zu "entlarven". Viele haben Angst, dass ihnen die Finger abgeschnitten werden. So wird vermutet, dass vor allem im Süden nur sehr wenige die Wahl wagen werden. Nach dem neuesten Bericht der Human Rights Watch-Organisation von Ende September werden es größtenteils die Warlords sein, die den Menschen diktieren, welcher Kandidat in Frage kommt. Die Lage im Land ist so gefährlich, dass international renommierte Wahlbeobachter, wie die Organisation for Security and Co-operation in Europe (OSCE) nur ein kleines Support-Team nach Afghanistan schicken (vgl. Deals in Hinterzimmern). Von einer zuverlässigen Überwachung der Wahlen kann demnach keine Rede sein.

Für die Amerikaner gilt eine starke Zentralregierung unter dem amtierenden Präsidenten Karsai, von Kritikern als Washingtoner Puppe bezeichnet, als Garant einer friedlicheren Zukunft. Angesichts der komplexen Machtstrukturen im Land und der verschiedenen ethnischen Gruppen, die dazu geneigt sind, dem Kandidaten aus ihren Reihen die Stimme zu geben, ist dessen Wiederwahl nicht so sicher, wie es sich Washington wünscht, weshalb, so der Vorwurf, der vor zehn Tagen in der Los Angeles Times zu lesen war, der US-Botschafter in Afghanistan, Salmay Khalilsad, starken Druck auf die Gegenkandidaten ausübt, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Angesichts der geäußerten demokratischen Maximen sind derartige Aktivitäten natürlich besonders peinlich:

Zu schnell und nicht schnell genug

Kritiker, welche die Wahlen als überhastet einstufen, wie etwa Andrew Wilder von dem unabhängigen und gut beleumdeten Afghan Research and Evaluation Unit, der die Situation als zu gefährlich für "ordnungsgemäße Wahlen" einstuft, bekommen übrigens auch von Wirtschaftsexperten Zustimmung.

In Kriegen, auch in Bürgerkriegen, würden sich häufig typische ökonomische Strukturen bilden oder zementieren, die später einer Befriedung entgegenwirken. Weit davon entfernt, das Land, das sie im Bürgerkrieg erobert haben, an die Gemeinschaft zurückzugeben, nutzen die Warlords ihre Macht als Landbesitzer und Herren der Opiumrekordernte, um die Demokratie schon im Keim zu unterhöhlen. Rasche demokratische Wahlen und große finanzielle Soforthilfe können durchaus kontraproduktiv wirken; Demokratie hilft meist nur Staaten, die wirtschaftlich bereits auf den Beinen stehen, meinten Teilnehmer einer Tagung von Wirtschaftsexperten zu diesem Thema in der Schweiz im letzten Monat.

Es geht dem Westen also wieder einmal nicht schnell genug; man darf gespannt sein, ob die eingesetzten Esel, auch die Wahlergebnisse rechtzeitig bis zu den amerikanischen Wahlen zu den richtigen Stellen bringen. Denn die Auszählung kann Wochen dauern.