311.000.000 Texte analysiert: So blickt unsere Presse auf Ostdeutschland
Medienanalyse deckt Trends auf. Ostdeutschland oft negativ dargestellt. Rechte Themen dominieren.
Mit welchen Schlagworten und Zuschreibung berichtet die deutsche Presse über Ostdeutschland? Dies hat ein Projekt des MDR, der Hoferichter & Jacobs Film- und Fernsehproduktion und der Universität Leipzig analysiert.
Schlüsselbegriffe im Fokus der Untersuchung
Dazu wurden aus der Pressedatenbank GBI-Genios 311 Millionen Zeitungsartikel auf das Vorkommen bestimmter Schlüsselbegriffe ausgewertet. Danach wurde geprüft, ob diese Schlüsselbegriffe in Texten häufiger oder seltener vorkommen, wenn es um Ostdeutschland geht.
Untersucht wurde der Zeitraum 3. Oktober 1990 bis 12. August 2024, den Schwerpunkt legt das Projekt dabei auf die jüngste Zeit seit Januar 2020. Die 1990er-Jahre, die 2000er- und die 2010er-Jahre wurden separat ausgewertet.
"Das Vorhaben verfolgt in seiner Methodik insofern ein journalistisches Vorgehen und versteht sich dezidiert nicht als wissenschaftliche Studie", heißt es in der Publikation der Ergebnisse, die unter dem Titel "Es ist kompliziert... Der Osten in den Medien" zum Download angeboten wird.
1.200 Wörter wurden auf die Häufigkeit ihres Vorkommens in der Presse untersucht – Substantive, Adjektive, Verben, Parteinamen etc. Als überrepräsentiert gilt ein Begriff, wenn er im Zusammenhang mit "ostdeutsch*" häufiger auftaucht als ohne.
"Überfremdet" und "PDS" dominieren die Berichterstattung
Für den jüngsten Zeitraum steht "überfremdet" an der Spitze überrepräsentierter Wörter: 94-mal häufiger wird von "überfremdet" berichtet, wenn es um Ostdeutschland geht. Auf Platz zwei folgt die Partei "PDS", die seit Juli 2005 "Die Linkspartei.PDS" hieß und seit dem Zusammenschluss mit der WASG ("Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative") im Sommer 2007 unter "Die Linke" firmiert.
Obwohl diese Partei in ganz Deutschland auftritt, kommt das Schlagwort "PDS" in ostdeutschem Kontext 64-mal so oft vor wie ohne diesen Zusammenhang.
"Völkisch" kommt zusammen mit Ostdeutschland, ostdeutsch oder Ostdeutsche(r) 23-mal häufiger vor (eine Überrepräsentanz von 2.278 Prozent), "Lügenpresse" 18-mal mehr, "ausländerfeindlich" und "rechtsradikal" jeweils 17-mal und "AfD" 16-mal.
15 Begriffe aus den Top 50 der am stärksten überrepräsentierten Begriffe lassen sich laut Studienautoren dem "Themen-Cluster rechte Ideologie" zuordnen.
Negative Zuschreibungen dominieren
Auch wenn die Analysemethode nichts über die konkret vermittelten Inhalte aussagen kann, geben die Ergebnisse doch Hinweise auf das Bild, welches medial über den Osten Deutschlands vermittelt wird.
Unter den 30 Adjektiven, die in Artikeln, in denen das Wort ostdeutsch* vorkommt, am stärksten überrepräsentiert verwendet werden, sind nur drei als positiv zu wertende Begriffe dabei. Einerseits der Begriff antifaschistisch (+1.916 Prozent), dessen Wortsinn, sich auf die Gegnerschaft gegen Faschismus und Nationalsozialismus bezieht, der auch mit linksradikaler Ideologie sowie dem Staatsverständnis der DDR assoziiert wird.
Zudem ist der Begriff demokratisch (+729 Prozent) überrepräsentiert und schließlich der insgesamt eher selten verwendete Begriff geschichtsbewusst (+693 Prozent), der darauf verweisen könnte, dass sich Ostdeutsche mit den politischen Umbrüchen in Deutschland beschäftigen. 21 der 30 am stärksten überrepräsentierten Adjektive sind negativ.
"Es ist kompliziert...", Seite 20
Westlicher Blick auf Ostdeutschland
Da nur Print-Berichterstattung untersucht wurde, zeigt die Auswertung im Wesentlichen einen westlichen Blick auf Ostdeutschland. Denn mit der Wiedervereinigung gingen fast alle ostdeutschen Zeitungen an westdeutsche Verlage.
Deshalb wäre eine Analyse der MDR-Berichterstattung interessant, da diese Rundfunkanstalt neu für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geschaffen wurde.
Intern gibt es durchaus auch dort Kritik an der Berichterstattung. Die junge Welt betitelte einen Bericht über eine Klausurtagung des Rundfunkrats: "Mehr Osten wagen".
Ursache und Wirkung
Einen kleinen Hinweis auf das Problem mit Ursache und Wirkung gibt die Studie: 17 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik leben in Ostdeutschland. Von diesen werden jedoch nur zwei bis sechs Prozent der überregionalen Pressepublikationen gekauft. Fehlt der ostdeutsche Blick, weil es an Kunden dafür mangelt, oder mangelt es an Lesern, weil das Medienangebot nicht passt?
Vertiefend geht dieser Frage eine Dokumentation des MDR-Fernsehens nach, die im Zusammenhang mit der Presseauswertung entstanden und in der Mediathek abrufbar ist. Darin kommen auch Medienforscher zu Wort, die sich zur Entwicklung seit der Wende äußern.
KI-Einsatz zur Erzeugung von Personenporträts
Auch KI kommt hier zum Einsatz: Aus den als typisch identifizierten Begriffen in der Berichterstattung wurden für verschiedene Publikationszeiträume künstlich Personenporträts erzeugt, die das Stimmungsbild der Ostdeutschen widerspiegeln sollen. Eben so, wie es von den Medien (vermutlich) vermittelt wurde. Diese Bilder finden sich auch am Ende der schriftlichen Dokumentation.
In der Beschreibung zu den vier künstlichen Bildnissen von Ostdeutschen zum 3. Oktober 2020 heißt es:
2020 scheint der Zenit eines ostdeutschen Selbstbewusstseins wieder überschritten zu sein. Die Ostdeutschen wirken entmutigt. Benachteiligung und Unterrepräsentation zeichnen sich in ihren Gesichtern ab. Sie wirken skeptisch, distanziert und vorsichtig.
"Es ist kompliziert...", Seite 56