650 Sichtungen: Ufo-Anhörung vor US-Senat

Zwischenbilanz des neu ausgerichteten Ufo-Untersuchungsprogramms, das wissenschaftliche Prinzipien reklamiert: "Wir folgen den Daten, ganz gleich, wohin sie uns fĂŒhren." Seltene anormale PhĂ€nomene.
Zum mittlerweile dritten Mal haben sich die Verantwortlichen der neuen Ufo-Untersuchungseinheit des US-Verteidigungsministeriums vor Vertretern des US-Senats zum Stand ihrer Untersuchungen von Sichtungen unidentifizierter Flugobjekte und PhĂ€nomene (Ufos/UAP) durch Angehörige des US-MilitĂ€rs und der Geheimdienste geĂ€uĂert.
Am vergangenen Mittwoch war es nun der Leiter der im Juli 2022 neu formierten All-Domain Anomaly Resolution Office (AARO) [1], Sean Kirkpatrick, der sich den Fragen von Mitgliedern des United States Senate Committee on Armed Services [2] unter dem Vorsitz der New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand stellte.
Als Unterbehörde des Verteidigungsministeriums untersucht das AARO anomale Objekte und PhÀnomene in allen DomÀnen, also sowohl im Weltraum, in der Luft wie auch unter Wasser.
Neujustierung der Ortungsalgorithmen
ZunÀchst unterstrich Gillibrand erneut, dass erst durch die Anpassung der Radarsysteme mittlerweile auch Flugobjekte detektiert werden, die sich jenseits der Flugparameter konventioneller und bekannter Flugzeuge verhalten.

Zuvor wurden Radarziele mit exotischem Flugverhalten, etwa extrem schnelle oder langsame Geschwindigkeiten, Stillstand, 90-Grad-Winkel, Zickzack-FlĂŒge, aber auch Objekte auf ungewöhnlichen Flughöhen, von den Systemen im Sinne der Ăberschaubarkeit der Radaranzeigen automatisch aussortiert.
Auch in Europa und Deutschland wird mit solchen "Ufo-Ortungen" auf diese Weise verfahren [3]. Trotz der neusten Anpassungen der US-Systeme sieht man hingegen in Deutschland fĂŒr eine Ă€hnliche Neujustierung der Ortungsalgorithmen derzeit keinen Grund [4].
"Etwas mehr als drei Dutzend Experten"
In seinen AusfĂŒhrungen zur Arbeit des AARO erlĂ€uterte Fitzpatrick, der zuvor als Chefwissenschaftler im Missile and Space Intelligence Center der Defense Intelligence Agency (DIA [5]) tĂ€tig war, dass seine Behörde ĂŒber einen Stab von "etwas mehr als drei Dutzend Experten" verfĂŒge, die Ufo/UAP(Unidentified Anomalous Phenomena) â Sichtungsmeldungen von Angehörigen des US-MilitĂ€rs und der Geheimdienste, vorrangig aber Meldungen von Piloten von Navy und Air Force, untersuchen.
In den vergangenen neun Monaten seit der Neuausrichtung des Ufo-Untersuchungsprogramms sei es mittlerweile gelungen, "die internen UAP-Meldeprozedere innerhalb des Verteidigungsministeriums zu standardisieren und einen Rahmen fĂŒr grĂŒndliche wissenschaftliche wie geheimdienstliche Analysen zu etablieren".
DarĂŒber hinaus arbeite das AARO weiterhin intensiv an der vom Kongress geforderten, bis in Jahr 1945 zurĂŒckreichenden historischen Aufarbeitung der Akten zu frĂŒheren UAP/Ufo-bezogenen Projekten.

Die Untersuchungen des AARO sieht deren Leiter ausschlieĂlich wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet. Ziel sei die Untersuchung von Ufo-Sichtungsmeldungen und deren AufklĂ€rung:
Dabei folgen wir keinen Vermutungen, sondern den Daten â ganz gleich, wohin diese uns fĂŒhren.
Kleiner Anteil von anormalen Signaturen
Kirkpatrick unterstrich zugleich, dass "bis heute nur ein kleiner Anteil von UAP-Sichtungsberichten Signaturen beinhaltet, die tatsĂ€chlich auch als anormal bezeichnet werden können. Die Mehrheit der an AARO gemeldeten unidentifizierten Objekte zeigen gewöhnliche Eigenschaften etwa von Ballons, unbemannten Flugsystemen, Verunreinigungen des Luftraums (sog. clutter), natĂŒrlichen oder anderweitig erklĂ€rbaren PhĂ€nomenen".
Ebenso betonte der AARO-Chef ausdrĂŒcklich, "dass AARO bislang keine glaubwĂŒrdigen Beweise fĂŒr auĂerirdische AktivitĂ€ten, Technologie oder fĂŒr Objekte gefunden hat, die den bekannten Gesetzen der Physik widersprechen".
GĂ€nzlich ausschlieĂen möchte er aber auch diese Option nicht und verweist auf den Umstand, dass man mit den Untersuchungen erst am Anfang stehe.
In jenen FĂ€llen, in denen zu einem UAP (Unidentified Anomalous Phenomena, deutsch: Nicht identifizierte anomale PhĂ€nomene; Einf. d. Red.) ausreichend Daten erbracht werden könnten, die nur durch eine auĂerirdische Herkunft erklĂ€rt werden können, sind wir der innerbehördlichen Zusammenarbeit mit unseren Partnern bei der Nasa verpflichtet, um sodann in angemessener Weise die FĂŒhrung der US-Regierung ĂŒber diese Entdeckungen zu informieren.
Sean Kirkpatrick
Bislang liegen der AARO demnach etwas mehr als 650 Sichtungsmeldungen vor, die nach unterschiedlichen Kriterien priorisiert, untersucht und bewertet werden. Am wichtigsten seien hierbei Sichtungen durch Piloten, da diese meist auch mit zusÀtzlichen wichtigen Daten der Bordsensorik (visuelle Kameras, Radar, WÀrmebild etc.) einhergehen.
Zu diesen FÀllen prÀsentierte Kirkpatrick eine Infografik (siehe ganz oben am Artikel), die bisherige Trends der Untersuchungsergebnisse darstellt. Demnach komme es erwartungsgemÀà zu den meisten UFO-Sichtungen durch Piloten innerhalb der Flughöhen konventioneller Flugzeuge, also bis zu 10.000 Metern Höhe.
Zum Vergleich: Höhenballone wie der im Februar 2023 ĂŒber den USA abgeschossene "China-Ballon" bewegen sich doppelter bis dreifacher Höhe. Auch die geografische Verteilung von Ufo-Hotspots bilde eher jene Orte ab, an denen sich auch gehĂ€uft Beobachtungs- und Einsatzorte von US-MilitĂ€r und -Geheimdiensten finden, als dass es sich um eine tatsĂ€chliche Ballung von Ufo-Sichtungen in diesen Regionen handele.
Mehr als die HÀlfte (52 Prozent) der von den US-Piloten gemeldeten Ufos bzw. UAP sei als rund, kugelförmig oder SphÀre beschrieben worden. Entsprechend fasst die Grafik denn auch die "typischen, von den Zeugen berichteten UAP-Eigenschaften wie folgt zusammen:
"(âŠ) meist rund; 1 bis 4 Meter groĂ, weiĂ, silbrig, durchsichtig bis metallisch. (Die Objekte) bewegten sich auf bis zu 30.000 FuĂ mit Geschwindigkeiten von stillstehend bis zu Mach 2 (rund 2.500 km/h) und weisen keine thermalen Abgaben (Abgase usw.) auf". Zudem liegen "typischerweise teils unterbrochene Radarechos, Radiosignale und thermale Signaturen dieser Objekte vor".
Als Beispiele fĂŒr die untersuchten FĂ€lle zeigte Kirkpatrick dann zwei hierzu freigegebene Videos, die von US-Drohnen vom Typ MQ-9 (so. Reaper) 2022 in einem nicht weiter genannten Einsatzgebiet im Nahen Osten und 2023 im sĂŒdasiatischen Raum aufgenommen wurden: Video 1 (Naher Osten 2022) [6] und Video 2 (SĂŒdasien 2023) [7].
WĂ€hrend das Video eines metallisch wirkenden kugelförmigen Objekts von 2022 aufgrund mangelnder Daten bislang nicht erklĂ€rt werden konnte und der Fall weiterhin als "aktiv" gefĂŒhrt werde, konnte das Objekt im Video von 2023 als Hitzesignatur eines entfernten Passagierflugzeugs identifiziert werden, die jedoch zunĂ€chst aufgrund technischer Effekte und Bildstörungen nicht als solche erkannt wurde.

ErwartungsgemÀà streiten sich Ufo-Forscher und -Skeptiker seit der Veröffentlichung des "Kugel-Videos" ĂŒber dessen Aussagekraft: WĂ€hrend die einen darin einen Beleg fĂŒr ein gĂ€nzlich unkonventionelles Flugobjekt sehen, dem jegliche aerodynamischen Eigenschaften fehlen (Metallkugel ohne erkennbaren Auf- und Antriebe), sehen Skeptiker darin lediglich einen Folienballon und schreiben die gezielt wirkende schnelle Flugbewegung dem perspektivischen Paralaxen-Effekt zu, der diese Eigenbewegung des Objekts vor dem Hinter- bzw. hier dem Untergrund nur vortĂ€uscht.

UnabhÀngig von dieser Diskussion zeigt das Video aber nicht nur, dass besagte Reaper-Drohnen (MQ-9) derartige Objekte offenbar immer wieder in dieser Region dokumentieren (schon im Januar wurde eine Àhnliche Aufnahme veröffentlicht [8]), sondern auch, dass diese Drohnen diese Objekte offenbar auch gezielt detektieren und visuell verfolgen (können).
Zugleich offenbarte Sean Kirkpatrick aber auch weiterhin existierende EinschrĂ€nkungen der Möglichkeiten seiner Untersuchungen und bemĂ€ngelte, dass AARO lediglich ĂŒber die Informationsfreigabestufe "Title 10 Authoritiy" verfĂŒge.
Kritik: Stark begrenzter Zugang zu Regierungsquellen
Entsprechend hat das AARO also nur bedingt und zugleich stark begrenzten Zugang zu bestimmten Informationen bestimmter Regierungsquellen hat. Ein vollstÀndiger Informations- und Datenzugriff gilt erst ab Stufe "Title 50 Authority".
Auf diese Weise bleiben der AARO mit Stufe 10 zahlreiche Regierungsquellen, etwa zu Geheimoperationen und zahlreichen Geheimdienstquellen, verwehrt. Senatorin Gillibrand sicherte indes zu, dies mit dem nĂ€chsten US-Verteidigungshaushaltsgesetzt (NDAAâ24) Ă€ndern zu wollen.
Weiterhin arbeite das AARO an der Umsetzung des ebenfalls vom US-Kongress im vergangenen Verteidigungshaushalt festgelegten UAP-Whistleblower-Gesetzes, innerhalb dessen Vorgaben es ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von US-Ufo-Untersuchungsprogrammen ermöglicht werden soll, sich an das AARO zu wenden und unbefangen von eventuell existierenden Verschwiegenheitsverpflichtungen ĂŒber Ihre TĂ€tigkeiten zu berichten.
Hierzu hĂ€tten bereits mehr als 20 AARO-Anhörungen mit diesen Zeugen stattgefunden, â darunter MilitĂ€rzeugen von Ufo-Erscheinungen ĂŒber US-NuklearstĂŒtzpunkten. Auch die Umsetzung eines öffentlichen Webportals, dassĂŒber die Arbeit und jene Ergebnisse der AARO informieren soll, die fĂŒr die Ăffentlichkeit freigegeben ("declassified") werden können, sei in Arbeit und warte derzeit auf eine Freigabe durch den Under Secretary of Defense for Intelligence & Security (USD/I&S).
Auf die erneute Nachfrage, wie viele UAP man bislang untersucht habe und wie viele erklĂ€rt werden konnten, fĂŒhrte Kirkpatrick aus:
Unser letzter Bericht vom Januar dieses Jahres erklĂ€rte, dass es sich damals bei etwa der HĂ€lfte der FĂ€lle (damals rund 150) wahrscheinlich um Ballons oder um Ballon-artige Objekte oder etwas Ăhnliches gehandelt habe. Das bedeutet aber nicht, dass alle diese FĂ€lle damit auch erklĂ€rt wurden.
Sean Kirkpatrick
Zugleich verwies er aber auf den nĂ€chsten vierteljĂ€hrlichen AARO-Bericht, der schon bald erscheinen soll, sowie auf den nĂ€chsten Jahresbericht seiner Einheit, der laut Kongressvorgabe im Sommer erscheinen muss. Diese Berichte sollen dann weitere erste Ergebnisse und Abschlussberichte der laufenden Analysen beinhalten â ob öffentlich oder in klassifizierter Form bleibt abzuwarten.
Den vollstÀndigen Mitschnitt der Senatsanhörung finden Sie auf der Webseite des United State Senate Committee on Armed Services [9].
Andreas MĂŒller, Jahrgang 1976, studierte Kommunikationsdesign an der HBK Saar und arbeitet als Journalist mit Schwerpunkt anomalistischer PhĂ€nomene. Er ist Herausgeber des Nachrichtenportals GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi), in dieser Position assoziiertes Mitglied am InterdisziplinĂ€ren Forschungszentrum fĂŒr Extraterrestrik (IFEX) an der UniversitĂ€t WĂŒrzburg und Autor des im Oktober 2021 erschienen Buches Deutschlands Ufo-Akten â Ăber den politischen Umgang mit dem Ufo-Thema in Deutschland [10].
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-8980542
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.defense.gov/News/Releases/Release/Article/3100053/dod-announces-the-establishment-of-the-all-domain-anomaly-resolution-office/
[2] https://www.armed-services.senate.gov/
[3] https://www.telepolis.de/features/UFO-Ortung-Auch-in-Deutschland-und-Europa-eine-Frage-der-Einstellung-7495091.html
[4] https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/neue-informationen-ufo-untersuchungen-deutscher-ministerien-und-behoerden20230307/
[5] https://www.dia.mil/
[6] https://youtu.be/TQwhj5VD_Cs
[7] https://youtu.be/PILNDDlcJWI
[8] https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/corbell-knapp-us-ufo-journalisten-leaken-weiteres-angebliches-offizielles-ufo-foto20230124/
[9] https://www.armed-services.senate.gov/hearings/to-receive-testimony-on-the-mission-activities-oversight-and-budget-of-the-all-domain-anomaly-resolution-office
[10] https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/deutschlands-ufo-akten20211006/
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