75 Jahre Nordatlantikpakt: Zur Nato und ihrem gefährlichen Drang nach Überlegenheit
Seite 2: Die Bundeswehr und die Gesellschaft müssen wieder kriegstauglich werden
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"Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen", so die "Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023". Des Weiteren wird ausdrücklich betont, dass je nach Lageentwicklung die Bundeswehr auch international einsatzfähig sein müsse.
Die Nato ist mit inzwischen 32 Mitgliedsstaaten das größte Militärbündnis, das Russland konventionell überlegen und atomar ebenbürtig ist. Die jährlichen Rüstungsausgaben der Nato mit über einer Billion US-Dollar liegen weit über denen Russlands.
Diese Entwicklung zeigt sehr deutlich, dass immer wieder die gleichen Muster der Krisenbewältigung zur Anwendung kommen. Aus einer vermeintlichen Bedrohung entwickelt sich ein Rüstungswettlauf.
Der durch Abschreckung erkaufte Sicherheitszustand ist bereits nicht mehr stabil. Die Atomwaffenstaaten fürchten stets durch die wachsende Treffgenauigkeit der gegnerischen Trägersysteme um den Verlust ihrer Zweitschlagfähigkeit.
Des Weiteren beinhaltet die "Nukleare Teilhabe" europäischer Nato-Staaten konkrete atomare Kriegführungsoptionen mit weitreichenden Konsequenzen:
- Nuklearwaffen könnten "chirurgisch" gezielt und begrenzt eingesetzt werden.
- Rüstungstechnisch führt diese Entwicklung zur Miniaturisierung der Atomwaffen mit hoher Zielgenauigkeit sowie sicherheitspolitisch zu einer Herabstufung der "Nuklearen Schwelle".
Hier zeigt sich, dass Abschreckung weder politisch noch technisch stabil ist. Mit ihr verbinden sich kontinuierlich neue Rüstungsschübe, um die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit aufrechterhalten zu können.
Auf der politischen Handlungsebene ist der Preis dieser Sicherheit eine ständige gefährliche Grenzsituation, deren Überschreiten katastrophale Folgen für die Menschheit hätte.
Der Ukraine-Krieg zeigt sehr deutlich, wie ein Kriegsgeschehen unkontrolliert eskalieren könnte. Im schlimmsten Fall sogar zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der Nato führen könnte. Ein Einsatz von Atomwaffen wäre mit dem Risiko eines globalen Atomkriegs verbunden.
Dieses Szenario ist real und eine existenzielle Gefahr für die Menschheit. 75 Jahre Nato wäre ein Anlass, sich wieder verstärkt um Rüstungskontrolle und Abrüstung zu bemühen.
Sie ist nicht nur dringend geboten. Sie wäre in der aktuell festgefahrenen Situation auch ein möglicher Türöffner für Verhandlungen mit Russland. Ein Angebot der Nato, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten, könnte als Verhandlungseinstieg dienen.
Das Nato-Jubiläum ermöglichte, Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, Russland zu Gesprächen einzuladen und über Rüstungskontrolle zu verhandeln. Das wäre vielleicht ein erster Schritt, die verhärteten Fronten zu lockern und sich an einem neutralen Verhandlungsort – wie schon oft in Genf praktiziert – zu treffen.
Vielleicht gelingt es über diesen Weg, auch den Ukraine-Krieg in einem weiteren Gesprächsverlauf zum Verhandlungsthema zu machen.
Diese einmalige Chance sollte die Nato nutzen. Das wäre ein würdiges Jubiläum, das vielleicht Geschichte schreiben könnte.
Rolf Bader, geb. 1950 ist ehem. Offizier der Bundeswehr. Studium der Pädagogik an der Universität der Bundeswehr, München. Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vorstandsmitglied am Institut für Psychologie und Friedensforschung e.V. (IPF), München (inzwischen aufgelöst).
Er ist ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte:innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte:innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).