9. Mai 2024: Sowjetfahne verboten!
Auch Symbole des Sieges über Nazi-Deutschland stehen unter Strafe. Das ist beachtlich, aber im größeren Kontext zu sehen. Eine Staatskritik zum Tag der Befreiung.
"Polizei schützt Versammlungen und Veranstaltungen zum 8. und 9. Mai", ist die Pressemitteilung der Berliner Ordnungshüter überschrieben. Doch der Titel ist irreführend. Denn zentral ist eine Verbotsliste, die der Rundfunk Berlin-Brandenburg folglich auch in den Mittelpunkt seiner Meldung gestellt hat. Demnach sind verboten:
Fahnen mit russischem Bezug
Georgsbänder
Uniformen oder Uniformteile, auch in abgewandelten Formen zu zeigen.
Verboten ist auch
Marsch- bzw. Militärlieder abzuspielen und
Symbolik und Kennzeichen zu zeigen, die geeignet sind, den Russland-Ukraine-Krieg zu verherrlichen.
Aus der Pressemitteilung der Polizei
Vergeltung für die Niederlage 1945
Wie in den beiden Vorjahren gehört auch die sowjetische Fahne zu den verbotenen Symbolen. Der Umgang mit ihr ist besonders kontrovers, weil sie in mehrfacher Hinsicht deutsche Geschichtspolitik berührt.
Das Bild der sowjetischen Fahne über dem zerstörten Reichstag symbolisiert die endgültige Zerschlagung des Nationalsozialismus. Es dokumentiert aber auch, dass es nicht das deutsche Volk war, das die Nazis besiegte.
Im Gegenteil, die deutsche Volksgemeinschaft stand noch fest hinter den Nazis, als allen klar sein musste, dass der Untergang nahte. Kleine Widerstandsgruppen bestätigten dies nur. Zu ihnen gehörte die Kampfgruppe Osthafen , an die zwei Stadtteilinitiativen am 6. Mai erinnerten.
Es handelte sich um eine Gruppe von Männern und Frauen, meist aus dem Umfeld der KPD, die im April 1945 den Sturz der Nazis beschleunigen wollten. Sie forderten Soldaten zur Desertion auf, entwaffneten fanatische Nazis und verhinderten, dass die Pläne der NS-Führung vollständig umgesetzt werden konnten, etwa die Vernichtung von Lebensmittellagern.
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Paul Schiller und Fritz Fieber, zwei Mitglieder der Kampfgruppe Osthafen, verloren noch am 22. April 1945 durch deutsche Hände ihr Leben. Dass diese Gruppe kaum bekannt ist und in der offiziellen Erinnerungspolitik völlig ausgeblendet wird, ist auch ein wichtiger Hinweis darauf, dass ein solch konsequenter Widerstand gegen die Nazis und die gesellschaftlichen Hintergründe, die sie an die Macht brachten, bis heute nicht erwünscht ist.
In diesem Zusammenhang ist auch das Verbot sowjetischer Symbole am 8. und 9. Mai als ein Stück offiziellen Geschichtsrevisionismus zu sehen. Ausgerechnet am 8. und 9. Mai wird das Symbol verboten, das von den Truppen getragen wurde, ohne die die Zerschlagung des deutschen Faschismus nicht möglich gewesen wäre.
Deutscher Nationalismus jetzt blau und gelb
Es ist auch historisch unhaltbar, das Verbot der Sowjetflagge mit dem Krieg in der Ukraine zu begründen. Putins Russland ist nicht die Sowjetunion. Im Gegenteil: Putin beruft sich ideologisch auf ausgewiesene rechte Gegner der Oktoberrevolution und steht auch politisch in deren Lager, was er mehrfach betont hat.
Wenn er gelegentlich auch bestimmte Erscheinungen aus der Sowjetzeit hochhält, so ist das eine populistische Anbiederung an Teile der Bevölkerung. Das heißt aber nicht, dass Putin ein Freund der Sowjetunion ist.
Und die Sowjetunion war eben nicht nur Russland. Die Ukraine spielte in diesem Staatenbund eine wichtige Rolle.
Ukrainische Einheiten waren Teil der Roten Armee, die die wenigen Überlebenden von Auschwitz befreit und auch eine wichtige Rolle bei der Zerschlagung des Nationalsozialismus gespielt hat. Das wurde auch in der sowjetischen Geschichtsschreibung nicht verschwiegen, wie es heute gerne dargestellt wird. Schaut man in Bücher aus den 1950er- und 1960er-Jahren, so wird die wichtige Rolle der ukrainischen Verbände in der Roten Armee immer wieder gewürdigt.
Die ukrainische Führung und die Zerschlagung des Nazismus
Allerdings gab es in der Ukraine immer auch politische Kräfte, die der Zerschlagung des Nationalsozialismus nachtrauerten. Es sind die Erben jener Fraktion des ukrainischen Nationalismus, die sich zumindest zeitweise mit den Nazis verbündet hatte. Der gemeinsame Feind waren Juden und Kommunisten. Diese ukrainischen Nationalisten flohen mit den Wehrmachtssoldaten ins nationalsozialistische Deutsche Reich und erlebten wenig später dessen Zerschlagung als große Niederlage.
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Doch im Kalten Krieg wurden sie bald zu engen Verbündeten des globalen Westens. Doch erst mit dem Zerfall der Sowjetunion kamen die deutschfreundlichen Kräfte wieder in die Offensive und mit dem Umsturz 2014 an die Schalthebel der Regierung in Kiew. Sie verwandelten das Land in ein antirussisches Bollwerk. Auch das gehört zur Vorgeschichte der russischen Aggression gegen die Ukraine.
Zeichen deutschen Geschichtsrevisionismus
Wenn nun der deutsche Staat sowjetische Fahnen verbietet, ist das auch ein Zeichen dafür, wie weit die Umschreibung der Geschichte in Deutschland vorangeschritten ist.
Viele hätten es Anfang der 90er-Jahre wohl nicht für möglich gehalten, dass in Deutschland wieder über einen Krieg gegen Russland diskutiert wird und die Erben ehemaliger Verbündeter aus braunen Zeiten wieder an der Macht sind.
Wenn dann auch noch ehemals staatskritische Medien wie die Wochenzeitung Jungle World mit ihren Reportagen aus der Deutsch-Ukraine nationalistischen Kitsch für den bewaffneten Liberalismus liefern, dann wird klar, wie weit sich die deutschnationale Ideologie durchgesetzt hat.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Verbote sowjetischer Symbole rund um das 8. und 9. Mai kaum auf Widerstand stoßen.
"Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus"
Es ist das antimilitaristische Bündnis "Rheinmetall Entwaffnen", das in einer Pressemitteilung daran erinnert, dass das Vermächtnis der Zerschlagung des Nationalsozialismus "Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus" heißt.
Eine Parole, die darauf hinweist, dass von deutschem Boden aus zwei Weltkriegen, genauso wie der mörderische deutsche Faschismus ausgingen. Eine Parole, die auch darauf hinweist, dass wir als heute in Deutschland lebende Menschen die Verantwortung dafür tragen, dass es nie wieder so weit kommt …
Aus der Erklärung des Bündnisses "Rheinmetall Entwaffnen"
Dort wird darin auch kritisiert, dass nach dem 23. Februar 2023 in Deutschland ein regelrechter nationaler Taumel eingesetzt hat und manche Politiker des bewaffneten Liberalismus aus FDP, Grünen und CDU/CSU überbieten sich in bisher noch verbalen Angriffen auf Russland.
Die Zerstörungen und das Leid, das deutsche Truppen über die Sowjetunion gebracht haben, und die Ukraine war Teil dieser Sowjetunion, wird bagatellisiert und sogar oft ignoriert. Dass es sich Deutschland heute wieder leisten kann, die sowjetischen Fahnen in Berlin zu verbieten, zeugt von wiedererstarkten deutschen Nationalismus.
Schwur von Buchenwald als Grundlage
Es ist auch eine Kampfansage an den Schwur von Buchenwald, mit dem Überlebenden der Nazi-Konzentrationslager den Kampf um ein antifaschistisches Deutschland skizzierten. Dort heißt es:
Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen.
Aus dem Schwur von Buchenwald
In Westdeutschland war der Schwur von Buchenwald, anders als in der DDR, kaum bekannt. Das Verbot der sowjetischen Fahnen ist eine Kampfansage an dieses wichtige Dokument der Zuversicht auf den Aufbau einer Welt ohne Krieg und ohne Nazismus und Faschismus.
Daran knüpft der Verband VVN-BdA in seiner Erklärung zum 8. Mai an. Gefordert wird darin, den 8. Mai bundesweit als Feiertag anzuerkennen. Wichtiger als solche Symbolpolitik wäre aber ein verstärkter Kampf gegen jeden deutschen Gesichtsrevisionismus und die Auseinandersetzung mit der neuen deutschen Kriegsfähigkeit.