A Framework for Global Internet Commerce
Das neoliberale Heil für den Cyberspace
Am 2. Juli präsentierten Bill Clinton und Al Gore ein Rahmenprogramm für den globalen elektronischen Markt, das international und national den elektronischen Marktplatz stärken und ihn ganz im neoliberalen Dogma der Deregulierung zu einem weitgehend von staatlichen Eingriffen freien globalen Markt, zu einer globalen Freihandelszone, machen soll.
Das Programm ist das Ergebnis einer von Präsident Clinton einberufenen Arbeitsgruppe, die die grundlegenden Prinzipien der USA für den elektronischen Handel formuliert hat, und soll, so Al Gore, sicherstellen, daß der Handel sich digitalisiert und der Markt sich globalisiert. Das heißt natürlich, daß die amerikanische Initiative global umgesetzt werden und zu internationalen Absprachen führen soll: "Der Handel im Internet kann bis zum Ende dieses Jahrhunderts einen Umfang von mehreren Milliarden Dollar haben. Damit diese Möglichkeit voll verwirklicht werden kann, müssen die Regierungen einen nicht-regulativen, marktorientierten Zugang zum elektronischen Handel übernehmen, der die Entstehung von transparenten und voraussagbaren rechtlichen Bedingungen erleichtert, um den globalen Markt und Handel zu unterstützen." Die USA haben natürlich ein besonderes Interesse an der Förderung der Cyberspace-Wirtschaft, da das Internet technisch und inhaltlich noch immer von Amerika dominiert wird. Stets ging die Forderung nach unbedingter Öffnung der Märkte von den herrschenden Wirtschaftsmächten aus.
Wir befinden uns auf der Schwelle einer Revolution, die einen ebenso radikalen Wandel mit sich bringen wird, wie dies die industrielle Revolution gemacht hat. Bald werden elektronische Netzwerke es den Menschen ermöglichen, die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden und zu ihrem Vorteil die globalen Märkte und Handelschancen benutzen, die heute noch nicht einmal vorstellbar sind und die eine neue Welt wirtschaftlicher Möglichkeiten und ökonomischen Fortschritts eröffnen.
Al Gore
Große Worte stehen also am Beginn. Unter der Entdeckung einer neuen Welt und dem Eintritt einer neuen Revolution kann man offensichtlich nichts mehr anpreisen. Wir stünden am Beginn einer Revolution, deren treibende Kraft das Internet sei. Die Global Information Infrastructure (GII) stehe zwar noch erst an ihrem Beginn, aber sie verändere bereits unsere Welt und werden im Laufe des nächsten Jahrzehnts jeden Aspekt des Alltagslebens verändern - und natürlich auch die Ökonomie und die wirtschaftlichen Interaktionen. Neue Unternehmen können leichter und mit geringeren Anfangsinvestitionen begründet werden, und sie können eine weltweite Konsumentenschaft erreichen, die von Zuhause aus bestellt und zahlt. "Der elektronische Handel ist", sagte Bill Clinton auf der Pressekonferenz, "wie der Wilde Westen der Wirtschaft. Im 21. Jahrhundert können wir einen Großteil unseres Wohlstandes aus Innovationen im Cyberspace auf Weisen beziehen, die die meisten von uns sich noch gar nicht vorstellen können." Deswegen sind weitere Deregulierung und Rückzug des Staates die Grundlagen der künftigen Politik.
Noch freilich seien die Menschen und Firmen zu vorsichtig, um den virtuellen Markt auch richtig und umsatzsteigernd zu nutzen. Das gelte besonders für internationale wirtschaftliche Tätigkeiten, da in anderen Ländern vieles im Argen liege, die rechtliche Situation verwirrend sei und viele Unternehmen sowie Internet-Benutzer fürchten, daß einige Regierungen das Internet und den elektronischen Handel umfassend regulieren wollen.
Da die Aktivitäten von Regierungen also einen großen Einfluß auf das wirtschaftliche Wachstum des Internet haben, werden im Blueprint Prinzipien formuliert, wann sie handeln und vor allem wo sie sich zurückhalten sollen, um die Entwicklung nicht zu bremsen. Man setzt ganz auf dezentrale "Bottom-up"-Prozesse und lehnt "Top-down"-Regulierungen weitestgehend ab - sofern sie nicht nationale Interessen schaden oder nicht den staatlich geschützten freien Handel fördern. An erster Stelle steht, daß die Industrie weitgehend die Möglichkeit zur Selbstregulation haben soll, die Regierungen sich so wenig wie möglich einschalten und keine "neuen und unnötigen Regulierungen, bürokratische Verfahren, Steuern oder Zölle" einführen sollen. Durch internationale Abmachungen und einfache, technikneutrale Regeln und Normen sollte gewährleistet werden, daß das Internet ein "nicht-reguliertes Medium" ist, in dem Wettbewerb und Konsumentenentscheidungen den Marktplatz gestalten. In einer "langfristigen Perspektive" aber, so wird gleich wieder eingeschränkt, kann die Selbstregulation des Marktes und der Industrie vielleicht alle diese Probleme doch nicht lösen: "Beispielsweise muß die Regierung vielleicht eingreifen, um die Sicherheit und Stabilität elektronischer Zalungssysteme zu gewährleisten, die Konsumenten zu schützen oder auf die Einhaltung wichtiger Gesetze zu achten."
Wichtig seien insbesondere die Standardisierung von elektronischen Geldsystemen, die Sicherung des intellektuellen Eigentums, einschließlich der von Warenzeichen und Domainnamen, die Ausbalancierung des Datenschutzes im Einklang mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und dem Schutz des freien Informationsflusses und die Gewährleistung von Sicherheit durch Verschlüsselung und digitale Signaturen.
Die Regierung besteht weiterhin auf die Wahrung der nationalen Sicherheitsinteressen, so daß die erwünschten freiwilligen Key Managment Infrastrukturen weiterhin für die Behörden offen bleiben. Schnell reagiert wurde auf das CDA-Urteil des obersten Bundesgerichts. Die Regierung unterstütze den größtmöglichen freien Informationsfluß für alle Daten, die über das Internet gesendet werden, und über alle Grenzen hinweg. Das Internet sei ein neues Medium, das nicht mit den herkömmlichen elektronischen Massenmedien vergleichbar sei. "Wir sollten nicht unterstellen, daß die während der letzten 60 Jahre eingeführten gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Telekommunikation, den Rundfunk und das Fernsehen für das Internet geeignet seien." Daher unterstütze die Regierung auch hier die Selbstregulierung, die Entwicklung von Ratingsystemen und einfach zu bedienenden Filterprogrammen. Gleichwohl gibt es hier Unterschiede zwischen Nationen und Kulturen, die unterschiedliche Inhalte aus kulturellen, politischen oder sozialen Gründen blockieren wollen: "Die Regierung betrachtet eine Internet-Regulierung dieser Art mit großer Sorge und wird in einen informellen Dialog mit den wichtigen Handelspartnern über solche öffentlichen politischen Probleme wie Äußerung von Haß, Gewalt, Aufwiegelung, Pornographie und anderem eintreten, um zu gewährleisten, daß Unterschiede der nationalen Regulierung, besonders jene zur Förderung der kulturellen Identität, nicht als verschleierte Handelsbarrieren dienen." Internationale Standards werden also unter dem Blickpunkt der wirtschaftlichen Priorität zu einer globalen Kultur führen, deren Themen und Produkte vermutlich von Amerika vorgegeben werden, das sich stets als Erlöser der Welt empfindet.
Aber die Kinder müssen vor der Beeinflussung von Werbung geschützt werden. Und es müssen Mittel gefunden werden, um die Menschen vor Betrug zu schützen und den Konsumenten das Vertrauen zu vermitteln, daß es im elektronischen Handel mit rechten Dingen zugehe. Hier sei der Eingriff der Regierung angemessen. Und man kann erwarten, daß der Regierung über diesen Umweg doch noch einiges zur Kontrolle des Internet einfallen wird.
Der nächste Schritt jedenfalls wird sein, den Rest der Welt von der frohen Botschaft des neoliberalen Cyberspace zu überzeugen. Nächste Woche wird Deutschland bereits das Ziel des Wirtschaftsministers William Daley sein, um in Bonn zu erläutern, wie man im digitalen Zeitalter den elektronischen Handel betreiben soll. Auf einer Bonner Konferenz mit europäischen Ministern und Vertretern anderer Organisationen soll es dann zu einer gemeinsamen "Bonner Erklärung" über Themen wie Sicherheit, Datenschutz und Zensur kommen. Man darf gespannt sein.