Absoluter Ausnahmestern?
HE 0107-5240: Uralt, metallarm und sehr rätselhaft
Im Wissenschaftsjournal Nature liefern drei Forscherteams verschiedene Erklärungen für die Existenz eines im vergangenen Jahr entdeckten, metallarmen Sterns aus der Frühzeit des Universums.
Ende 2002 machte der Stern HE 0107-5240 Schlagzeilen (vgl. Stellares Relikt aus der frühen Milchstraße). Seinen wenig poetischen Namen verdankt das erstaunliche Relikt dem Projekt "Hamburg/ESO-Survey" (HE), denn mithilfe eines Weitwinkel-Teleskops der Europäischen Südsternwarte in Chile suchen Hamburger Astronomen systematisch den südlichen Sternenhimmel ab. HE0107-5240 liegt am äußeren Rand der Milchstraße, in einer Art Hülle unserer Galaxis, dem so genannten Halo (vgl. Galaktische Physik), und die Bezeichnung "0107-5240" definiert seine Position im Sternbild Phoenix, 36'000 Lichtjahre von uns entfernt. Verblüffend an diesem Stern war für die Astronomen, dass es die Kombination seiner Größe und seiner Metallarmut eigentlich gar nicht geben dürfte. Als Metalle bezeichnen die Astrophysiker alle Elemente, die schwerer sind als Helium (vgl. Die Entstehung der Elemente).
Die Existenz von HE0107-5240 widerspricht den theoretischen Modellen zur Entstehung von metallarmen Sternen. Er ist nach den bisherigen Annahmen gemessen an seiner inneren Zusammensetzung deutlich zu klein, denn er hat 80 Prozent der Masse und nur ein Zweihundertstel des Mettalgehalts unserer Sonne. Er stammt aus der Frühzeit des Universums, gehört wahrscheinlich zur zweiten Generation der Sterne. Die Astronomen bezeichnen die Halo-Sterne als Population II, im Gegensatz zu den jüngeren Sternen der Scheibe, die Population I genannt wird. Sterne der Population II enthalten Metalle, die in älteren und bereits nicht mehr existierenden Sternen entstanden sind. Als diese Sterne in Novae und Supernovae ihr Leben aushauchten, wurde ihre Materie die Grundlage der Existenz ihrer Sternenkinder.
Nature präsentiert nun drei Ansätze zur Erklärung der Entstehung von HE 0107-5240. Hideyuki Umeda und Ken'ichi Nomoto von der University of Tokyo sehen den Ursprung des kosmischen Relikts in Supernovae, also Explosionen von massereichen Sternen und zwar solchen mit einer 20-130fachen Masse unserer Sonne. Die Sorte, aus denen sich schwarze Löcher bilden. Genau das ist der Meinung der japanischen Astronomen nach auch geschehen, wobei die schweren Elemente im Rachen des kosmischen Verschlingers landeten und die leichten sich in eine Gaswolke verflüchtigten, um sich dann in HE 0107-5240 wieder zu vereinen.
Das italienisch-amerikanische Team, Raffaella Schneider vom Osservatorio Astrofisico di Arcetri, A. Ferrara und R. Savaterra von der International School of Advanced Studies und V. Bromm vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics geht ebenfalls davon aus, dass ein sterbender Stern die Materie für HE 0107-5240 lieferte. Seine Reste bildeten Staubwolken, aus denen sich der metallarme Zwerg zusammen klumpen konnte. Sie vermuten jedoch, dass dieses Elterngestirn sehr viel schwerer gewesen sein muss, wahrscheinlich doppelt so schwer wie in dem Ansatz ihrer japanischen Kollegen. Sie gehen von bis zu 250 Sonnenmassen aus.
Die dritte Gruppe, Piercarlo Bonifacio vom Osservatorio Astronomico di Trieste, Marco Limongi vom Osservatorio Astronomico di Roma und Alessandro Chieffi vom Istituto di Astrofisica Spaziale dagegen betrachtet eine Supernovae als nicht ausreichend. Sie sind überzeugt, dass mindestens zwei metalllose Riesensterne der Urzeit ihr Material ins All geschleudert haben müssen, damit HE 0107-5240 sich aus dieser gigantischen Wolke bilden konnte. Die Eltern waren unterschiedlich: ein massereicher Stern lieferte als Mutter die leichten Elemente und ein kleinerer Stern lieferte als Vater Magnesium und alle Elemente, die noch schwerer sind.
Erst die Erforschung der weiteren metallarmen Sterne, die bereits vom "Hamburg/ESO-Survey" entdeckt wurden, wird zeigen, ob HE 0107-5240 ein absoluter Ausnahmestern oder ein eher durchschnittlicher Vertreter der zweiten Generation Sterne im Universum ist. Noch ist nichts klar, aber es bleibt spannend. In seinem begleitenden News&Views-Artikel in Nature kommentiert Timothy C. Beers von der Michigan State University:
Obwohl wir vor einer frustrierenden Vielfalt an Möglichkeiten stehen, sollte HE0107-5240 uns die Beantwortung vieler Fragen bezüglich der Entstehung und Evolution der Sterne der ersten Generation im Universum ermöglichen.