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Absperren, verschieben, verlagern, kompensieren

Noch keine Lösung für den Umgang mit hochradioaktiven Abfällen aus Fukushima: Wiederaufarbeitungsanlage und oberflächennahes Endlager Rokkasho. Bisher werden dort Fässer mit radioaktiven Abfällen mit Beton vergossen und dann mit Erde überdeckt so dass man sie nicht mehr sieht. Bild: Nife/GNU-Lizenz für freie Dokumentation

Die Energie- und Klimawochenschau: Fukushima wird Sperrzone, CO2-Problem wird verdrängt und Ökostrommarkt wird zum Verschiebebahnhof der Stromhändler

Am Samstag schlägt für die Japaner und besonders die ehemaligen Bewohner der 20km-Sperrzone um die zerstörten Fukushima-Reaktoren die Stunde der Wahrheit. Ministerpräsident Kan will dann nach Fukushima reisen, um den ehemaligen Bewohnern der Sperrzone persönlich mitzuteilen, dass viele von denen, die immer noch in Turnhallen und Übergangsunterkünften untergebracht sind, wahrscheinlich nie wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Die Belastung mit radioaktiven Partikeln wird an vielen Stellen langfristig zu hoch sein. Eine Tragödie, die auch die trügerische Hoffnung vieler zerstört, ein Hochtechnologieland wie Japan hätte bessere Chancen, die Folgen der Kernschmelzen zu meistern als das marode Russland des Jahres 1986.

Stunde der Wahrheit in Fukushima

Rein technisch gesehen gibt es aber durchaus Fortschritte. Die Strahlung ist weiter gesunken, aus den Reaktoren 1, 2 und 3 treten noch maximal 200 Mio. Bequerel pro Stunde aus, vor einem Monat lag der Wert noch bei 1 Mrd. Bequerel. Tepco meldete, dass die Temperatur im Reaktorblock 1 erstmals unter 100 Grad gefallen ist und auf diesem Niveau stabil gehalten werden könne.

Bis zum Anfang des nächsten Jahres soll Fukushima 1 soweit heruntergekühlt sein, dass eine genauere Revision des Reaktors beginnen kann. Geklärt werden soll dann, in welchem Zustand das Material der geschmolzenen Brennstäbe und Reaktorüberreste ist. Noch ist es wegen der hohen Strahlung nicht möglich, in die ehemaligen Druckreaktoren hineinzuschauen. Geräte dafür müssen erst noch entwickelt werden. Dringend muss auch eine Lösung für die Lecks gefunden werden, über die immer noch ein Teil des Wassers, das zur Kühlung in die Druckkammern gepumpt werden muss, unkontrolliert in die Umwelt abfließt.

Hajimu Yamana von der Kyoto-Universität berichtet, dass um die zerstörten Gebäude dann eine Betonhülle errichtet werden soll, innerhalb derer dann ferngesteuerte Geräte die Arbeiten durchführen sollen. Dabei will man auf Erfahrungen und Simulationsberechnungen aus der Reaktorkatastrophe von Three Mile Island zurückgreifen. Allerdings stellt Fukushima eine ungleich größere Herausforderung dar, denn es sind drei Reaktorkerne betroffen, die Druckkammern beschädigt und die Kraftwerksbauten zerstört. Auch für die Frage, wohin dann mit dem hochradioaktiven Reaktorschrott und den Brennstäbe, gibt es ebenfalls noch keine Lösung.

Bisher gibt es nur eine Deponie für schwachradioaktive Abfälle bei der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho. Dort liegen bisher rund 150.000 Fässer, die mit Beton zu einem Block vergossen und dann mit Erde überdeckt werden. Das Ganze wird als "oberflächennahes" Endlager bezeichnet.

Doch spätestens mit den Abfällen aus Fukushima muss Schluss sein mit dem bisherigen saloppen Umgang mit Reaktorabfällen. Um die Mengen zu reduzieren, sind auch Überlegungen im Gange für die, wahrscheinlich miteinander verbackenen Materialien aus dem Reaktorinneren Wiederaufbereitungsverfahren zu entwickeln. Die Entscheidungen dazu sollen ab Anfang 2012 ein Gremium unter Leitung von Yamana, Tepco-Mitarbeitern und Regierungsmitgliedern treffen. Eins ist jedoch jetzt schon absehbar: Zwar soll Tepco einen Teil der Kosten zahlen, die Hauptlast wird aber der Staat und damit alle Japaner tragen müssen.

CO2-Deponierung der demokratischen Kontrolle entziehen?

In seiner Jahresbilanz sprach der Deutsche Wetterdienst (DWD) von deutlichen Wetteränderungen, der Erwärmungstrend setze sich fort. Trotz des nasskalten Julis war das Frühjahr 2011 mit 705 Sonnenstunden das sonnigste seit 1951. Als Grund nennt der DWD die anthropogenen Treibhausgase, allen voran das Kohlendioxid.

Während an den Börsen über schwankende Kurse lamentiert wurde, brachte der Wirtschaftsaufschwung 2010 mit 31 Mrd. Tonnen auch einen neuen Rekord an jährlichen CO2-Emissionen. Auch für 2011 dürfte es neue Rekorde zu Lasten des Klimas geben. Wolfgang Schäuble berichtete am Montag von Hochrechnungen, nach denen es 2011 in Deutschland rund drei Prozent Wirtschaftswachstum geben werde. Das bedeutet in der herkömmlichen quantitativen Wachstumslogik vor allem eins: noch mehr CO2-Emissionen.

Vor dem Hintergrund dieses wie ein Mantra geradezu herbeigesehnten Mehr an Verschmutzung für das "Wirtschaftswachstum" als alleinigem Wohlstandsmaßstab nehmen sich die Geplänkel um den Umgang mit den Emissionen zunehmend absurd aus, insbesondere in der CCS-Debatte. Dieses angedachte Mittel, CO2-Emissionen aus der Atmosphäre und aus den nationalen Emissionsbilanzen fernzuhalten ist, eigentlich eine Erfindung der Politik, um den Status Quo der Industrielandschaft zu erhalten, mithin keine wirklichen Entscheidungen treffen zu müssen.

Brandenburg mit seiner Braunkohleförderung stimmte daher zunächst nicht nur für CCS, sondern förderte Vattenfalls Demonstrationsprojekt bereits mit mindestens 180 Mio. Euro. Vielen südlichen Bundesländern war CCS bisher als bequeme Lösung ohnehin recht, weil ausgemacht schien, dass es, wenn überhaupt, dann per Pipeline in den norddeutschen Untergrund abgepumpt werden soll. Nachdem jetzt aber die Kieler Landesregierung wegen der flächendeckenden Bürgerproteste im eigenen Land im CCS-Gesetzentwurf eine Widerspruchsmöglichkeit gegen die Erprobung von CCS für das Festland und eine Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste durchsetzte, verfällt [1] das Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften [2] (IFM-GEOMAR) auf die Idee, CO2 dann doch einfach außerhalb der 12-Meilen-Zone vor der Küste in den Untergrund zu pumpen - das heißt ein steuerfinanziertes Institut fordert eine Lösung, um die Deponierung von Kraftwerksabfällen der demokratischen Kontrolle zu entziehen.

Dabei zeigt schon ein Blick auf die Ausgangssituation, wie nutzlos CCS ist. Während die Rauchgasreinigung von Stickoxiden und Schwefeldioxid heute Stand der Technik ist, gibt es kein Verfahren, dass in nennenswerten Volumenströmen CO2 aus den Kraftwerksabgasen abscheiden könnte, ohne die Effizienz der Kraftwerke um Jahrzehnte zurückzuwerfen. Bei herkömmlichen Kohlekraftwerken mit einem Wirkungsgrad von 38 % entstehen aus 0,32 kg Steinkohle ca. 0,88 kg Kohlenstoffdioxid und 1 kWh elektrischer Strom. Der CO2-Anteil im Abgas beträgt etwa 15 Prozent, der Rest vor allem Stickstoff. Zur Erzeugung der gleichen Strommenge müsste in einem Kraftwerk mit CCS zusätzliche Kohle zur Erzeugung von Wärmeenergie für die Abtrennung von Kohlenstoffdioxid verbrannt werden, was den Wirkungsgrad erheblich verschlechtert.

Nach bisherigen Schätzungen liegt die Einbuße bei etwa 15 Prozent, das entspricht der historisch erreichten Verbesserung des Wirkungsgrades von Kraftwerken zwischen 1930 und 1980. Für die gleiche Menge erzeugten Stroms müsste also mehr Kohle verbrannt werden, die wieder mehr CO2 freisetzt. Negativwirkungen befürchtet [3] der BUND auch für den Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien. So würden unterirdische Deponien den zukünftigen Bau von Geothermiekraftwerken und Druckluftspeichern behindern.

Jemand sollte den Politiker also möglichst bald reinen Wein einschenken, dass Auslagern und Vergraben keine Lösung der Ursachen für hohen Energieverbrauch und Emissionen sind, bevor tatsächlich noch CO2-Pipelines beschlossen und weiter Geldmittel für die CO2-Deponieforschung vergeben werden. Die Entscheidung darüber wird am 23. September fallen, wenn der Bundesrat über das geplante CCS-Gesetz zur "Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid" entscheidet.

Verschiebebahnhof Ökostrom - für Energiesicherheit oder Stromhandel?

Apropos Auslagern und Wirkungsgradverluste. Auch bei den Stromhändlern findet eine Entwicklung statt, die den zögerlichen Ausbau der regenerativen Stromerzeugungskapazitäten durch teils physikalische, teils nominelle Importe zu umgehen versucht. So reden nicht nur die Deutsche Energieagentur Dena und Politik vom Bau neuer Fernleitungen, sondern auch die Ökostromhändler. Ihr Problem: Die Nachfrage nach sauber hergestelltem Strom ist höher als das Angebot.

Verschiebebahnhof Strommarkt, hier am Beispiel der europäischen Stromtransfers. Weil Strom aus neuen Regenerativkraftwerken in Deutschland ohnehin über das EEG eingespeist wird, importieren viele Anbieter von Ökostrom diesen aus Ländern wie Norwegen, Finnland, Österreich. Die Salden zeigen, dass damit in der Summe nichts gewonnen ist, die Exportländer importieren fast die gleichen Mengen wieder die sie vorher exportiert haben. Bild: ENTSOE

Der Grund ist das EEG. Es garantiert den Betreibern 20 Jahre lang die kostendeckende Abnahme des erneuerbaren Stroms, so dass sich nicht jeder Photovoltaikanlagenbesitzer mit der Frage herumschlagen muß, wie er denn seinen Strom am Markt verkauft. Die Netzbetreiber müssen ihn abnehmen und so liegt der Ökostromanteil im deutschen Strommix bereits bei rund 18%. Engagierte Ökostromhändler wie etwa Naturstrom bieten daher Anlagenbetreibern höhere Preise als das EEG, um so wenigstens teilweise Ökostrom aus Neuanlagen in Deutschland anbieten zu können. Greenpeace Energy betreibt aus dem gleichen Zweck in geringem Maßstab eigene Wasserkraftwerke und bemüht sich diese ökologisch mit Fischpässen zu betreiben.

Als Grund für Neubaustrecken werden gegenüber der Öffentlichkeit die Erneuerbaren genannt. Die Rolle, die der liberalisierte Stromhandel dabei spielt, ob etwa Strecken tatsächlich vornehmlich aus Gewinninteressen aus dem Stromhandel gebaut werden, darüber herrscht Schweigen. Bild: Agentur für Erneuerbare Energien

Dennoch beziehen die meisten Ökostromangebote ihren Strom von weit her, aus österreichischen Donaustaustufen, aus Norwegen und sogar aus Finnland. Die Export-Import-Bilanz [4] der ENTSOE, dem europäischen Verband der Stromnetzbetreiber offenbart aber, dass den Exporten fast ebenso hohe Importe von konventionell erzeugtem Strom aus Ländern wie Deutschland entgegenstehen. Dazu kommen zweitens die Übertragungsverluste. Sie lassen sich mit einer 800 kV Höchstspannungsleitungen zwar auf bis zu 0,5 % je 100 km reduzieren, betragen aber bei einer 110kV-Leitung schon 6 % je 100 km. Stromfernleitung bedeutet also Energieverlust. Und drittens sind da noch die Neubaupläne für immer neue Stromleitungen, von denen nicht klar ist, ob sie für eine sichere Stromversorgung oder nur für den Stromhandel gebaut werden.

Der genaue Verlauf einer dieser Höchstspannungsstrecke vom niedersächsischen Wahle (Landkreis Peine) nach Mecklar in Hessen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) ist gerade festgelegt worden. Begründet wird auch ihr Bau mit einer Notwendigkeit, Windstrom aus dem Norden in den dichtbesiedelteren Süden zu leiten. Doch die Enttäuschung ist groß, die 380 kV-Leitung, die eigentlich als Test für die Erdverkabelung angekündigt worden war, wird weitgehend oberirdisch gebaut. Nur um Göttingen herum sollen 8 der 229 Kilometer unter die Erde gelegt werden.

Statt entsprechender Auflagen legte der niedersächsische Landwirtschaftsminister dem Netzbetreiber Tennet TSO nahe, - freiwillig - größere Streckenteile unter die Erde zu legen. Proteste sind da bereits vorprogrammiert. Bürgerinitiativen pro Erdverkabelung [5] und einige an der Strecke gelegene Kommunen wollen im jetzt folgenden Planfeststellungsverfahren alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Der Bürgermeister von Kreiensen sagte, man werde sich die Klagerechte nicht für die angebotene Entschädigung von 40.000 Euro pro Leitungskilometer abkaufen lassen, man wird sehen.

Auch die Erneuerbaren sind also drauf und dran, in eine Art Zentralisierungsfalle zu geraten. Die konventionellen Großkraftwerke würden dann durch zentrale Windparks, hohe Leitungsmasten und neue Energiekonzerne abgelöst. Dabei setzte die Idee einer Stromerzeugung mit erneuerbaren Energieträgern ursprünglich auf eine dezentrale Energiegewinnung und die Nutzbarmachung der Energieangebote aus Wind, Sonne, Wasser, Geothermie und Gezeiten in der Fläche, vor Ort und mit kurzen Leitungswegen. Dies gerade auch als Gegenentwurf zum bestehenden Oligopol der Energiekonzerne.

Als Grund für Neubaustrecken werden gegenüber der Öffentlichkeit die Erneuerbaren genannt. Die Rolle, die der liberalisierte Stromhandel dabei spielt, ob etwa Strecken tatsächlich vornehmlich aus Gewinninteressen aus dem Stromhandel gebaut werden, darüber herrscht Schweigen.


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https://www.heise.de/-3390984

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[1] http://www.ndr.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/pressemeldungsh295.html
[2] http://www.ifm-geomar.de/
[3] http://www.bund-brandenburg.de/index.php?id=2448&tx_ttnews[tt_news]=9890&tx_ttnews[backPid]=2417
[4] https://www.entsoe.eu/fileadmin/user_upload/_library/publications/ce/monthlystats/Monthly_Statistics_2009_6.pdf
[5] http://www.abindieerde.de/U-Seiten/Trassenergebniss-12-08-2011.html